Gabriel besucht Türkei Differenzen ja, Dauerstreit nein

Am Montag trifft Außenminister Sigmar Gabriel seinen türkischen Amtskollegen, um den Streit um das Besuchsrecht bei deutschen Soldaten beizulegen. Trotz der diplomatischen Beziehungskrise zwischen Berlin und Ankara senden beide Länder vorab versöhnliche Signale. Ob es etwas nützt?

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Eine weitere Eskalation der deutsch-türkischen Beziehungen soll verhindert werden. Quelle: dpa

Ankara Wenn Politiker vor Staatsbesuchen vorab eine nette Geste senden wollen, dann klappt das ziemlich gut über ein Zeitungsinterview. Und so nutzte Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) vor seiner Reise in die Türkei am Montag ein Interview in der „Bild am Sonntag“, um klar zu machen: Eine weitere Eskalation der deutsch-türkischen Beziehungen soll verhindert werden.

Im Gegenzug will Gabriel eine andere Richtung einschlagen. „Wir suchen nach Möglichkeiten, mit der Türkei wieder zu einem normalisierten Verhältnis zu kommen“, stellte er in dem Interview in Aussicht. Unabhängig der Streits „müssen wir neue Anknüpfungspunkte suchen“. Außerdem forderte er, die „Megafon-Politik“ der vergangenen Monate müsse ein Ende finden. Offenbar reift in Berlin und Ankara der Gedanke, dass eine Zusammenarbeit beider Länder unabdingbar ist – egal, wie oft die Meinungen auseinanderklaffen.

Am Montag wird der SPD-Politiker in Ankara erwartet, um dort seinen Amtskollegen Mevlüt Cavusoglu zu treffen. Um 10 Uhr Ortszeit (9 Uhr MESZ) sollen die beiden zum Begrüßungsfoto zusammenkommen, danach sind Gespräche unter vier Augen geplant. Es dürfte die wichtigste Reise von Gabriel in seiner gut viermonatigen Amtszeit als Außenminister sein. Es geht um den letzten Versuch, den Streit um das Besuchsverbot für Bundestagsabgeordnete auf dem Luftwaffenstützpunkt Incirlik beizulegen.

Streitpunkte sind Yücel und Incirlik

Von einem normalisierten Verhältnis zueinander, auf das Gabriel laut Zeitungsinterview hinarbeiten will, sind beide Länder derzeit weit entfernt. Momentan liegt die Stimmung zwischen Berlin und Ankara irgendwo zwischen Eiszeit und Rosenkrieg: normal geredet wird schon lange nicht mehr, und erst recht will keine Seite nachgeben.

Bei vielen Themen gehen die Meinungen auseinander, etwa beim Umgang mit mutmaßlichen türkischen Putschisten, aber auch anderen Dissidenten und kritischen Journalisten, denen in der Türkei der Prozess gemacht wird. Ankara wiederum ist erbost, dass im Wahlkampf um eine Verfassungsänderung türkischen Ministern ein Auftrittsverbot in Deutschland erteilt worden war, wo sie zu hier lebenden Türken sprechen wollten. Diese Verfassungsänderung gilt wiederum in Deutschland als höchst umstritten. Nicht zuletzt belastet der Fall deutsch-türkischen Korrespondenten der Tageszeitung „Die Welt“ Deniz Yücel, der seit Februar in der Türkei unter Terrorvorwürfen in Untersuchungshaft sitzt, die bilateralen Beziehungen.

Aktuell streiten Berlin und Ankara über das Besuchsrecht für Abgeordnete des Bundestags, der im Dezember 2016 mehrheitlich die Verlegung von 260 Bundeswehrsoldaten auf den türkischen Stützpunkt Incirlik angeordnet hatte. Schon Mitte 2016 hatte die Türkei deutschen Abgeordneten verboten, die Soldaten zu besuchen, weil der Bundestag zuvor die sogenannte Völkermordresolution zu den Armeniern im Osmanischen Reich verabschiedet hatte. Ankara vermeidet seit Jahrzehnten, die Massenmorde an Armeniern im Vorläuferstaat der Türkischen Republik als Völkermord zu bezeichnen. Die Bundesregierung distanzierte sich am Ende von der Resolution, anschließend durften deutsche Abgeordnete nach Incirlik.

Bilaterale Beziehungen sind satrapaziert

Im April beantragten Mitglieder des Verteidigungsausschusses erneut eine Besuchserlaubnis. Wenige Tage vor dem geplanten Reisebeginn kam eine Absage. Nach Angaben des Auswärtigen Amtes geht es darum, dass Deutschland türkischen Offizieren Asyl gewährt hat. Ankara beschuldigt diese, Angehörige der Bewegung Fethullah Gülens zu sein, der von der türkischen Regierung und weiten Teilen der Bevölkerung für den Putschversuch vom vergangenen Juli verantwortlich gemacht wird. Außerdem wirft die Türkei Deutschland vor, nicht nur Anhänger Gülens, sondern auch Mitgliedern und Sympathisanten der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK Schutz zu gewähren.

Auch der türkische Premierminister Binali Yildirim stellte am Wochenende klar, dass die strapazierten bilateralen Beziehungen entlastet werden sollen. Vor dem Besuch von Außenminister Gabriel in Ankara hoffe er auf eine Verbesserung der Beziehungen zu Deutschland und der EU. Ziel der Türkei sei eine Normalisierung, sagte der Ministerpräsident nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu.

Er mahnte jedoch, dass das keine einseitige Angelegenheit sei. „Es ist grundlegend, dass sich Deutschland dazu bewegt“, sagte er. Yildirim warf Deutschland zudem vor, nicht die „nötige Haltung“ im Umgang mit der Gülen-Bewegung zu haben. Die Bundesregierung sei zudem zu nachsichtig im Umgang mit Anhängern der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK, so Yildirim.

Die PKK ist in der Bundesrepublik verboten

Gabriel machte am Wochenende deutlich, dass er Raum für einen gemeinsamen Nenner bei strittigen Themen sieht. So erklärte er, dass es im Sinne der Bundesregierung sei, alle Finanzierungsquellen der PKK in Deutschland auszulöschen. Es liege in seinem Interesse, der PKK keinen Raum für Aktivitäten im Bundesgebiet einzugestehen, betonte Gabriel. Die PKK, die einen kleinen Teil der kurdischen Bevölkerung in der Türkei und der Region repräsentiert, ist unter anderem in der EU verboten und gilt als Terrororganisation. Im jährlichen Bericht des Bundesverfassungsschutzes wird regelmäßig festgehalten, dass die PKK dennoch über sogenannte Kadermitglieder in Deutschland mehrere Millionen Euro akquiriert.

Im Dezember hatte die Bundesanwaltschaft einen 36-jährigen Türken wegen Verdachts der Mitgliedschaft in der PKK angeklagt. Nach Angaben der Behörde vom Donnerstag soll Zeki E. von März 2013 bis Ende August 2014 unter dem Decknamen „Siyar“ als hauptamtlicher Kader der PKK in Deutschland gewesen sein und organisatorische, finanzielle, personelle sowie propagandistische Angelegenheiten in seinem Zuständigkeitsbereich geleitet haben. Der Türkei ist das zu wenig.

Der türkische Staatspräsident Tayyip Erdogan, den Gabriel am Montag treffen will, erklärte, dass er ein Besuchsrecht für deutsche Abgeordnete nicht kategorisch ausschließen wolle. Es möge einzelne Abgeordnete geben, die in Aktivitäten gegen die Türkei verwickelt seien, erklärte Erdogan. „Unsere Vorbehalte richten sich ausschließlich gegen diese Parlamentarier.“

Auch ein Ende der Stationierung ist vorstellbar

Am Pfingstmontag will Gabriel mit allen drei türkischen Spitzenpolitikern zusammenkommen. Zwei Ergebnisse sind anschließend möglich: Entweder dürfen wieder Abgeordnete nach Incirlik reisen oder die 260 dort stationierten deutschen Soldaten werden den Stützpunkt verlassen - in Richtung Jordanien. Weil aber das Asylrecht in Deutschland zu den Grundrechten zählt, kann sich die Bundesregierung nicht darüber hinwegsetzen, dass die mutmaßlichen türkischen Putschoffiziere vorerst in Deutschland bleiben dürfen. Es gilt daher im Gegenzug als unwahrscheinlich, dass die Türkei im Incirlik-Streit einlenkt.

Beide Seiten machen sich daher darauf gefasst, dass die deutschen Soldaten Incirlik bald verlassen werden. Offenbar sehen die Regierungsvertreter beider Länder darin aber kein Problem. Die Türkei müsse ein Besuchsrecht zweifelsfrei zusichern, betonte Gabriel zwar am Sonntag, fügte aber hinzu: „Wenn die Türkei das in Incirlik aus Gründen der Innenpolitik nicht kann oder will, sollten wir uns ohne Streit und partnerschaftlich auf eine Beendigung der Truppenstationierung verständigen.“

Gabriel hält dieses Szenario für folgenlos für die deutsch-türkische Zusammenarbeit, die Soldaten nach Jordanien zu verlegen. „Jordanien ist seit Jahrzehnten einer der wenigen Stabilitätsanker der Region“, erklärte er und fügte hinzu, auf das Flüchtlingsabkommen hätte ein Abzug der Bundeswehr aus Incirlik „keine Auswirkungen“. Vielmehr war ihm am Pfingstwochenende daran gelegen, dass man sich zumindest „partnerschaftlich“ auf einen Abzug der Soldaten verständige.

Auch Erdogan hat auf die deutsche Drohung mit einem Abzug der Soldaten demonstrativ gelassen reagiert. Ein solcher Schritt sei „für uns kein großes Problem“, sagte er. „Wenn sie gehen, dann sagen wir eben auf Wiedersehen. Nichts weiter.“

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