Russische Geldeintreiber, das klingt ungemütlich. Schwere Jungs mit Akzent und schwarzen Klamotten klingeln an Türen und überreichen Mahnbriefe. Weil das ein bisschen wie Mafia aussah, war das Inkasso-Team-Moskau einmal eine große Nummer in der deutschen Branche. Auch Dank ausgiebiger Reportagen im Privatfernsehen. Doch die Phantasie pseudorussischer Inkassounternehmen hat mit der Realität im echten Russland, wie sich nun herausstellt herzlich wenig zu tun.
Da ist zum Beispiel die Geschichte von Anna und Anton Biskup aus Nowosibirsk, die eines Tages das Foto ihrer kleinen Tochter an der Wand einer U-Bahn-Station in Novosibirsk kleben sahen. Darunter die Aufschrift: Überraschend Verstorben. In Erinnerung, Liebe und Trauer. Eine unverhohlene Drohung der Inkassoabteilung eines Kreditbüros, bei dem sich die beiden knapp 200 Euro geliehen hatten.
Vor wenigen Monaten sorgte ein anderer Fall für Schlagzeilen als Geldeintreiber das Haus des Schuldners mit einem Molotowcocktail anzündeten. Der Brandsatz landete im Bett des schlafenden Enkels des Hausbesitzers, der schwere Verbrennungen davontrug. Streitsumme: knapp 500 Euro. Der Täter: Ein entlassener Polizist, der nun für eine Inkasso-Agentur arbeitet.
Fünf Folgen der Wirtschaftskrise in Russland
Das von den Einnahmen aus dem Geschäft mit Öl und Gas abhängige Russland steckt in einer Rezession. Wirtschaftsminister Alexej Uljukajew erwartet einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um drei Prozent. Im Staatshaushalt klafft eine Finanzlücke.
Wegen des starken Ölpreisverfalls ist der Rubelkurs im vergangenen Jahr im Vergleich zum Dollar und Euro massiv eingebrochen. Den Höhepunkt erreichte der Wertverfall Mitte Dezember, als ein Euro vorübergehend fast 100 Rubel kostete - das entspricht einem Absturz von 90 Prozentpunkten seit Januar 2014. In den vergangenen Wochen erholte sich der Rubel ein wenig. Anfang März mussten Russen für einen Euro noch rund 66 Rubel bezahlen, fast doppelt so viel wie ein Jahr zuvor.
Um den schwächelnden Rubel zu stützen, verkauft die russische Zentralbank im großen Stil Devisen, die die Rohstoffmacht mit dem Verkauf von Öl und Gas angespart hat. Die internationalen Währungsreserven schrumpften nach Angaben der Notenbank seit März 2014 um mehr als ein Viertel von fast 500 Milliarden Dollar (etwa 460 Mrd Euro) auf 360 Milliarden Dollar.
Das Leben in Russland wird rasant teurer. Das merken die Menschen vor allem an der Miete und an der Kasse im Supermarkt. Das Wirtschaftsministerium erwartet für dieses Jahr eine Inflation von rund 12 Prozent. Die Preise für Lebensmittel stiegen in den vergangenen Monaten aber im Durchschnitt sogar um rund 20 Prozent. Experten warnen wegen der Krise in Russland vor einer deutlich höheren Inflation. Manche gehen von bis zu 17 Prozent aus.
Der massive Abzug von Kapital aus Russland ist nach Meinung von Ex-Finanzminister Alexej Kudrin ein schwerer Schlag für die heimische Wirtschaft. 2014 wurden nach Angaben der Zentralbank Vermögenswerte im Wert von mehr als 150 Milliarden Dollar (140 Mrd Euro) aus Russland verlegt, fast zweieinhalb Mal so viel wie im Vorjahr. Für 2015 erwarten die Behörden eine Kapitalflucht von bis zu 100 Milliarden Dollar. Wegen der Senkung der Kreditwürdigkeit Russlands durch internationale Ratingagenturen warnen Experten sogar vor Kapitalflucht von bis zu 135 Milliarden Dollar.
Weil immer mehr Russen in der Krise mit ihrem Geld nicht auskommen, landen viele von Ihnen in Büros von sogenannten Mikrofinanz-Instituten. „Das Segment der Mikrokredite wächst sehr schnell, weil die Realeinkommen sinken”, sagt Iwan Uklejin von der Ratingagentur Expert. Klassische Banken seien zudem zunehmend zurückhaltend und kämen wegen der langen Bewilligungsprozeduren als Kreditgeber bei Engpässen oft ohnehin nicht infrage. Die Leihbüros vergeben dagegen meist Kurzkredite mit Laufzeiten von einigen Wochen zu horrenden Zinsen, die sich aufs Jahr gerechnet auf mehrere Hundert Prozent summieren.
Allein im vergangenen Jahr ist die Vergabe von Kurzkrediten bis 600 Euro und einer Laufzeit von weniger als zwei Monaten um fast die Hälfte gestiegen, auf umgerechnet 900 Millionen Euro. Das Geschäft boomt. An belebten Kreuzungen, vor Bahnhöfen und Metrostationen werben die Geldbuden mit verlockenden Angeboten. Wer ein paar schnelle Rubel braucht, muss nur seinen Ausweis dabei haben und sonst nichts. „Wegen der hohen Zinsen ist das Geschäft profitabel, selbst wenn die Ausfallraten naturgemäß hoch sind“, meint Uklejin. Laut Berechnungen der seiner Agentur Expert wird jeder zweite Mikro-Kredit nicht fristgerecht zurückgezahlt.
Das Problem haben meistens die ohnehin klammen Schuldner: Wer nicht zahlt gerät schnell in einen Schuldensog und kann sich auf Konsequenzen gefasst machen. Die Strafzinsen für Zahlungsverzug können direkt pro Tag bis zu drei Prozent der Restschuld betragen. Aus einigen Tausend Rubeln Schulden werden schnell Zehntausende und mehr. „Anders als Banken, schrecken die kleinen Geldverleiher dabei nicht davor zurück, Eintreiber, sogenannte Kollektoren, mit zweifelhaften Arbeitsmethoden zu engagieren“, erklärt Kreditjurist Daniil Mikhalischew. Meistens werden die Schulden für wenige Prozent ihres nominellen Werts an Inkassobüros, die sich auf solche Geschäfte spezialisiert haben, verkauft.
Psychologischer Druck
Mikhalischew, der früher selbst in der Inkasso-Abteilung der privaten Bank Russkij Standard gearbeitet hat, kennt die Methoden. „Das ganze System baut auf psychologischem Druck auf. Erst erzählt du den Schuldnern am Telefon, was sie für schlechte Menschen seien. Wenn das nicht hilft, dann drohst du mit Konsequenzen auf der Arbeit, rufst Freunde oder Verwandte an, drohst mit einem Hausbesuch“, erklärt der Kreditexperte. Im Fachjargon heißt die Methode Soft-Collection. Branchenkenner sagen, dass das bereits ausreicht, um die meisten Schuldner zum Zahlen zu bewegen.
Vor allem in der Provinz, abseits der großen Städte, wo die Not größer ist und das Allgemeinwissen in Finanzangelegenheiten geringer, reiche das meistens aus, erzählt Michalischew. Mittlerweile hat der Jurist die Seiten gewechselt und verdient sein Geld als sogenannter Antikollektor. „Wir regeln diese ganzen Angelegenheiten juristisch. Unsere Aufgabe ist den Leuten klarzumachen, dass sie keine Angst haben sollen. Sobald die Geldeintreiber kapieren, dass unser Klient nicht alleine dasteht und von uns beraten wird, dann ist der Fall meistens gegessen“, sagt der Jurist.
Eine richtig formulierte Beschwerde bei der Staatsanwaltschaft, tue Wunder. Der Clou: sobald die Kreditschuld an ein Inkasso-Büro übergeben wurde, habe dieses keine juristische Grundlage, um Geld einzutreiben. Denn dafür bräuchte es die Lizenz eine Finanzinstitutes, die die meisten Eintreiber allerdings nicht haben.
So benehmen Sie sich in Russland richtig
Vorsicht bei Dekorationen! Mit bestimmten Farben und Zahlen assoziieren Russen Gutes oder Schlechtes. Günstig: Rot (Schönheit, Auferstehung, Liebe), Grün, Blau, Drei, Sieben, Zwölf. Ungünstig: Schwarz, Dreizehn. Weiß steht für Reinheit, aber auch für Trauer.
Die typische Form besteht aus Vornamen und Vatersnamen (dem abgewandelten Vornamen des Vaters). Heißt Ihr Gegenüber Sergej und sein Vater Oskar, lautet die Anrede: „Sergej Oskarowitsch“. Mit hierarchischen Titeln werden nur hochrangige Personen wie Generaldirektoren oder Minister angeredet.
Operatives regelt man beim Lunch, das preiswert bleiben darf. Beim Abendessen sollten Sie aber nicht knausern! Hier werden Freundschaften vertieft.
Der Körperabstand in Russland ist geringer als bei uns. Im Gespräch wird auch schon mal der Arm berührt oder auf die Schulter geklopft. Ein Sympathiebeweis! Wenn man sich besser kennt, geht das – auch unter Männern – bis zur Umarmung oder zum Wangenkuss.
Seien Sie am Anfang nie zu freundlich. Betont lockeres und humorvolles Auftreten stößt Russen als zu amerikanisch auf. Es kann sogar als Schwäche ausgelegt werden. Der Ton wird freundlicher, je besser man sich kennt.
Von Frauen wird famoses Aussehen und verbale Zurückhaltung erwartet. Frauen passiert es, dass ihnen nur ein Nicken geschenkt wird, während ein Geschäftspartner ihrem männlichen Kollegen ausgiebig die Hand schüttelt. Das ändert sich: In modernen Unternehmen nimmt die Zahl der Frauen im Management zu.
Kleine Hilfestellungen fördern das Vertrauen und werden erwartet. Ein Russe verstünde es nicht, wenn Sie ihm die Bitte abschlagen, beim Visumantrag zu helfen oder sich in Deutschland über Ausbildungschancen für seine Kinder zu erkundigen. Umgekehrt werden Gefälligkeiten nicht vergessen.
Geschenke mitzubringen, gehört zum guten Ton. Ihr Wert, der persönliche Bezug und die Sorgfalt bei der Auswahl sollten mit der Dauer und Tiefe der Beziehung zunehmen. Blumen sind gut, aber: In gerader Zahl schenkt man sie nur bei Begräbnissen. Gelbe und weiße Blumen werden mit Trauer und Verlust assoziiert.
Zugeständnisse sollten Sie nur mit Gegenleistungen machen. Begründen Sie Ihr Einlenken mit persönlicher Sympathie und dem Interesse an einer langfristigen Beziehung. Wer zu schnell Kompromisse eingeht, wirkt schwach – und wird nicht geschätzt.
Der wichtigste Mann im Unternehmen ist der Chef. Halten Sie sich stets an ihn, denn in den meisten Unternehmen passiert nichts, was nicht über seinen Tisch gegangen ist. Delegiert wird selten.
Russen sind belesen und interessieren sich sowohl für Technik und Naturwissenschaft als auch für Kunst, Musik und Literatur. Wer auf hohem Niveau mitplaudern kann, gewinnt an Format. Wer Tolstoi, Dostojewski oder Puschkin gelesen hat, genießt Respekt.
Deutsche stehen im Ruf, pünktlich, verlässlich und diszipliniert zu sein. Das ist ein Bonus, der genutzt werden sollte. Wer hingegen die Erwartungen enttäuscht, verliert enorm an Sympathie.
Wer etwas erreichen will, sollte Russisch sprechen, zumindest aber einen Dolmetscher haben. Viele Russen halten es so wie die Amerikaner: unsere Sprache oder keine.
Verliert ein Russe plötzlich die Contenance, sollten Sie ihm selbstbewusst und entschieden begegnen – jedoch nie belehrend. Lassen Sie sich nicht aus der Ruhe bringen, wenn er auf den Tisch haut oder wutschnaubend den Raum verlässt. Das ist Temperament – zuweilen auch Taktik.
Um das Wodkatrinken kommt man in Russland oft nicht herum. Der erste Trinkspruch ist Sache des Gastgebers. Später wird aber auch ein Toast vom Gast erwartet. Trinksprüche drehen sich dabei häufig um die Freundschaft, das Leben oder die Schönheit der
Frauen. Den Gastgeber zu loben, ist selbstverständlich immer angebracht
„Tatsächlich haben das einige Kunden schon begriffen und nutzen das aus, auch weil die Geldleiher nur sehr laxe Bonitätskontrollen haben“, verrät Mikhalischew. Sogenannte Antikollektor-Büros wie seines, sind mittlerweile keine Seltenheit in Russland. Manche locken offen damit, dass sie den Spieß umdrehen können und ihren Kunden dabei helfen, ausstehende Kredite nicht begleichen zu müssen. In einschlägigen Communities in sozialen Netzwerken wie Vkontakte prahlen einige Nutzer mittlerweile mit acht oder neuen verschiedenen Krediten, die sie dank der Antikollektoren nicht beglichen haben.
Andere Büros werben damit, dass sie mit privaten Sicherheitsdiensten zusammenarbeiten, die ihre Kunden vor potenziellen Übergriffen der Geldeintreiber schützen können. So hat zum Beispiel ein Antikollektor-Büro in Pawlow-Possad bei Moskau einen Vertrag mit dem örtlichen Kosakenverband unterschrieben. Falls nötig sollen diese den Eintreibern dann Respekt einflößen, zum Beispiel mit einem Gespräch beim Kunden.
Für Anna Biskup aus Nowosibirsk waren keine Kosaken notwendig, um die Täter zur Verantwortung zu ziehen. Die lokale Polizei hat ein Verfahren gegen ihre Gläubiger eingeleitet. Wie sich herausgestellt hat, brachten diese nicht nur Fotos ihrer Tochter sondern auch gefälschte Sex-Anzeigen mit ihrem Bild online in den Umlauf. „Diese ganze Blamage ist zum Glück Vergangenheit. Mittlerweile ist das vergessen. Ich habe erreicht, was ich wollte und führe nun ein neues Leben“.