Kredite Russlands kleiner Inkasso-Krieg

Immer mehr Russen verschulden sich bei privaten Kreditbüros, weil das Geld knapp wird und Banken keine Kredite geben. Wer die Schulden nicht begleicht, macht Bekanntschaft mit skrupellosen Eintreibern.

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Moskau: Krise in Russland.

Russische Geldeintreiber, das klingt ungemütlich. Schwere Jungs mit Akzent und schwarzen Klamotten klingeln an Türen und überreichen Mahnbriefe. Weil das ein bisschen wie Mafia aussah, war das Inkasso-Team-Moskau einmal eine große Nummer in der deutschen Branche. Auch Dank ausgiebiger Reportagen im Privatfernsehen. Doch die Phantasie pseudorussischer Inkassounternehmen hat mit der Realität im echten Russland, wie sich nun herausstellt herzlich wenig zu tun.

Da ist zum Beispiel die Geschichte von Anna und Anton Biskup aus Nowosibirsk, die eines Tages das Foto ihrer kleinen Tochter an der Wand einer U-Bahn-Station in Novosibirsk kleben sahen. Darunter die Aufschrift: Überraschend Verstorben. In Erinnerung, Liebe und Trauer. Eine unverhohlene Drohung der Inkassoabteilung eines Kreditbüros, bei dem sich die beiden knapp 200 Euro geliehen hatten.

Vor wenigen Monaten sorgte ein anderer Fall für Schlagzeilen als Geldeintreiber das Haus des Schuldners mit einem Molotowcocktail anzündeten. Der Brandsatz landete im Bett des schlafenden Enkels des Hausbesitzers, der schwere Verbrennungen davontrug. Streitsumme: knapp 500 Euro. Der Täter: Ein entlassener Polizist, der nun für eine Inkasso-Agentur arbeitet.

Fünf Folgen der Wirtschaftskrise in Russland

Weil immer mehr Russen in der Krise mit ihrem Geld nicht auskommen, landen viele von Ihnen in Büros von sogenannten Mikrofinanz-Instituten. „Das Segment der Mikrokredite wächst sehr schnell, weil die Realeinkommen sinken”, sagt Iwan Uklejin von der Ratingagentur Expert. Klassische Banken seien zudem zunehmend zurückhaltend und kämen wegen der langen Bewilligungsprozeduren als Kreditgeber bei Engpässen oft ohnehin nicht infrage. Die Leihbüros vergeben dagegen meist Kurzkredite mit Laufzeiten von einigen Wochen zu horrenden Zinsen, die sich aufs Jahr gerechnet auf mehrere Hundert Prozent summieren.

Allein im vergangenen Jahr ist die Vergabe von Kurzkrediten bis 600 Euro und einer Laufzeit von weniger als zwei Monaten um fast die Hälfte gestiegen, auf umgerechnet 900 Millionen Euro. Das Geschäft boomt. An belebten Kreuzungen, vor Bahnhöfen und Metrostationen werben die Geldbuden mit verlockenden Angeboten. Wer ein paar schnelle Rubel braucht, muss nur seinen Ausweis dabei haben und sonst nichts. „Wegen der hohen Zinsen ist das Geschäft profitabel, selbst wenn die Ausfallraten naturgemäß hoch sind“, meint Uklejin. Laut Berechnungen der seiner Agentur Expert wird jeder zweite Mikro-Kredit nicht fristgerecht zurückgezahlt.

Das Problem haben meistens die ohnehin klammen Schuldner: Wer nicht zahlt gerät schnell in einen Schuldensog und kann sich auf Konsequenzen gefasst machen. Die Strafzinsen für Zahlungsverzug können direkt pro Tag bis zu drei Prozent der Restschuld betragen. Aus einigen Tausend Rubeln Schulden werden schnell Zehntausende und mehr. „Anders als Banken, schrecken die kleinen Geldverleiher dabei nicht davor zurück, Eintreiber, sogenannte Kollektoren, mit zweifelhaften Arbeitsmethoden zu engagieren“, erklärt Kreditjurist Daniil Mikhalischew. Meistens werden die Schulden für wenige Prozent ihres nominellen Werts an Inkassobüros, die sich auf solche Geschäfte spezialisiert haben, verkauft.

Psychologischer Druck

Mikhalischew, der früher selbst in der Inkasso-Abteilung der privaten Bank Russkij Standard gearbeitet hat, kennt die Methoden. „Das ganze System baut auf psychologischem Druck auf. Erst erzählt du den Schuldnern am Telefon, was sie für schlechte Menschen seien. Wenn das nicht hilft, dann drohst du mit Konsequenzen auf der Arbeit, rufst Freunde oder Verwandte an, drohst mit einem Hausbesuch“, erklärt der Kreditexperte. Im Fachjargon heißt die Methode Soft-Collection. Branchenkenner sagen, dass das bereits ausreicht, um die meisten Schuldner zum Zahlen zu bewegen.

Vor allem in der Provinz, abseits der großen Städte, wo die Not größer ist und das Allgemeinwissen in Finanzangelegenheiten geringer, reiche das meistens aus, erzählt Michalischew. Mittlerweile hat der Jurist die Seiten gewechselt und verdient sein Geld als sogenannter Antikollektor. „Wir regeln diese ganzen Angelegenheiten juristisch. Unsere Aufgabe ist den Leuten klarzumachen, dass sie keine Angst haben sollen. Sobald die Geldeintreiber kapieren, dass unser Klient nicht alleine dasteht und von uns beraten wird, dann ist der Fall meistens gegessen“, sagt der Jurist.

Eine richtig formulierte Beschwerde bei der Staatsanwaltschaft, tue Wunder. Der Clou: sobald die Kreditschuld an ein Inkasso-Büro übergeben wurde, habe dieses keine juristische Grundlage, um Geld einzutreiben. Denn dafür bräuchte es die Lizenz eine Finanzinstitutes, die die meisten Eintreiber allerdings nicht haben.

So benehmen Sie sich in Russland richtig

„Tatsächlich haben das einige Kunden schon begriffen und nutzen das aus, auch weil die Geldleiher nur sehr laxe Bonitätskontrollen haben“, verrät Mikhalischew. Sogenannte Antikollektor-Büros wie seines, sind mittlerweile keine Seltenheit in Russland. Manche locken offen damit, dass sie den Spieß umdrehen können und ihren Kunden dabei helfen, ausstehende Kredite nicht begleichen zu müssen. In einschlägigen Communities in sozialen Netzwerken wie Vkontakte prahlen einige Nutzer mittlerweile mit acht oder neuen verschiedenen Krediten, die sie dank der Antikollektoren nicht beglichen haben.

Andere Büros werben damit, dass sie mit privaten Sicherheitsdiensten zusammenarbeiten, die ihre Kunden vor potenziellen Übergriffen der Geldeintreiber schützen können. So hat zum Beispiel ein Antikollektor-Büro in Pawlow-Possad bei Moskau einen Vertrag mit dem örtlichen Kosakenverband unterschrieben. Falls nötig sollen diese den Eintreibern dann Respekt einflößen, zum Beispiel mit einem Gespräch beim Kunden.

Für Anna Biskup aus Nowosibirsk waren keine Kosaken notwendig, um die Täter zur Verantwortung zu ziehen. Die lokale Polizei hat ein Verfahren gegen ihre Gläubiger eingeleitet. Wie sich herausgestellt hat, brachten diese nicht nur Fotos ihrer Tochter sondern auch gefälschte Sex-Anzeigen mit ihrem Bild online in den Umlauf. „Diese ganze Blamage ist zum Glück Vergangenheit. Mittlerweile ist das vergessen. Ich habe erreicht, was ich wollte und führe nun ein neues Leben“.

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