Merkel trifft Erdogan Deutsch-türkische Beziehungen auf dem Tiefpunkt

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Terroranschläge haben Türkei wirtschaftlichen Schaden zugefügt

Der nächste Punkt, bei dem die Wahrnehmungen diametral auseinander liegen, ist das im Frühjahr stattfindende Referendum über die Einführung eines Präsidialsystems. Während Erdogan und seine Anhänger das neue System als Ausdruck des Volkswillen betrachten, das das Land regierbarer und reformfähiger machen sollen, sehen Kritiker im Ausland wie in der Türkei es als Sargnagel der türkischen Demokratie. Manche Investoren hoffen zumindest, dass mit der Einführung des Präsidialsystems Ruhe einkehrt, und mit der Unsicherheit auch die Polarisierung der türkischen Gesellschaft wieder abnimmt.

Ein EU-Beitritt des Landes aber ist in weite Ferne gerückt. Zwar laufen die Beitrittsverhandlungen offiziell weiter. Doch von den 33 Kapiteln ist gerade einmal eines (Wissenschaft und Forschung) abgeschlossen, 15 wurden noch nicht einmal eröffnet. Problematisch ist dabei auch, dass die EU-Euphorie der Türken rapide abgenommen hatten. Waren 2004 noch eine Mehrheit der Türken für einen EU-Beitritt, sind heute 70 Prozent dagegen. Auch Oppositionelle fühlen sich von der EU hingehalten, oder als mehrheitlich moslemisches Land ungewollt.

Probleme im deutsch-türkischen Verhältnis

Daran wird Angela Merkel nichts ändern: Sie war es, die 2004 den - schön klingenden, aber nichtssagenden - Begriff der "privilegierten Partnerschaft" prägte. Mit dem Brexit haben die Türken auch innerhalb der EU ihren wichtigsten Fürsprecher Großbritannien verloren.

Und wirtschaftlich? Die Terroranschläge im vergangenen Jahr und das rigide Vorgehen der türkischen Regierung gegen vermeintliche Gülen-Anhänger haben tiefe Spuren hinterlassen. Deutsche Unternehmen berichten von massiven Schwierigkeiten, überhaupt noch Expats rekrutieren zu können. Zwar halten Großkonzerne zumeist an ihren geplanten Investitionen fest. Kleinere Mittelständler aber scheuen die Türkei aufgrund der politischen Lage. Die Lira hat in den letzten Monaten 30 Prozent ihres Werts verloren.

Natürlich spürt Iyzico auch die aktuellen politischen Ereignisse, auch wenn sich diese eher positiv auf das Geschäft auswirken. „Menschen scheuen sich aktuell vor großen Investitionen in Immobilien oder Autos, geben eher Geld für Kleidung oder Elektronik aus", sagt Gründer Özbugutu. "Aber das ist nicht unbedingt schlecht für uns: Es bleiben auch mehr Leute daheim und kaufen online ein."

Chronologie: Schwere Anschläge in der Türkei

Tatsächlich ist die Zahl der deutschen Unternehmen in der Türkei sogar gestiegen und hat mit über 6800 einen neuen Höchststand erreicht. Für die Türkei ist und bleibt Deutschland der wichtigste Handelspartner. Das Volumen lag 2015 bei 36 Milliarden Euro. Dieses Jahr sollen Verhandlungen mit der EU über eine Vertiefung der Zollunion beginnen. Die dürfte den Warenaustausch nochmals erhöhen. Hinzu kommt das Humankapital.

Drei Millionen türkisch-stämmige Menschen leben in Deutschland. Sie oder ihre Eltern und Großeltern kamen ab den Sechzigern als Gastarbeiter. In den Nuller Jahren gingen manche der Kinder und Enkelkinder wieder ins Land ihrer Vorfahren, weil sie wegen der Dynamik der Türkei bessere Chancen für sich sahen. Die Chancen mögen sich in den letzten Jahren verschlechtert haben - die Verbindungen zwischen den beiden Ländern aber bleiben bestehen.

In den nächsten Jahren will Iyzico expandieren - in Märkte wie Bulgarien oder Griechenland, aber auch in Westeuropa. Gerade erst ist ein deutscher Freund von Özbugutu eingestiegen, der von München aus Expansionspläne koordiniert.

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