Ukraine Soldaten laufen zu Separatisten über

In der Ukraine hat der "Anti-Terror-Einsatz" gegen die Separatisten im Osten begonnen. Schon nach wenigen Stunden liefen laut Medienberichten Regierungseinheiten mit mindestens zehn gepanzerten Fahrzeugen zu den pro-russischen Separatisten über. Zuvor hatte Russlands Präsident Putin in einem Telefonat mit Kanzlerin Merkel gewarnt, das Land stehe am Rande eines Bürgerkriegs.

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Ukrainische Truppen sollen eigentlich die Separatisten im Osten des Landes in die Schranken weisen. Laut Berichten liefen aber einige Einheiten zu den pro-russischen Aktivisten über. Quelle: REUTERS

In der Ost-Ukraine sind Soldaten der Regierungseinheiten Medien zufolge mit mindestens zehn gepanzerten Fahrzeugen zu den prorussischen Separatisten übergelaufen. Ein Video des Portals espreso.tv zeigte am Mittwoch, wie die Truppen mit russischen Flaggen durch die Großstadt Kramatorsk rund 80 Kilometer nördlich von Donezk fuhren. Das russische Staatsfernsehen berichtete von ähnlichen Szenen im nahen Slawjansk. Die Einheiten waren eigentlich zu einem „Anti-Terror-Einsatz“ gegen die nach Moskau orientierten Aktivisten in der Gegend befohlen, liefen dann aber über. In Donezk nahmen Maskierte indes gewaltlos den Stadtrat ein.

Wladimir Wladimirowitsch Putin Quelle: dpa

Russland hat nach dem Beginn der Offensive vor einer gefährlichen Zuspitzung der Krise gewarnt. Die scharfe Eskalation des Konflikts habe das Land an den Rand eines Bürgerkrieges gebracht, sagte Präsident Wladimir Putin nach Angaben der Regierung in Moskau am Dienstagabend in einem Telefonat mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Das Vorgehen ukrainischer Sicherheitskräfte gegen bewaffnete prorussische Uniformierte in der Ostukraine bezeichnete Putin demnach als „verfassungswidrigen Kurs zur gewaltsamen Unterdrückung von Bevölkerungsprotesten“.

Auch in einem Gespräch mit UN-Generalsekretär Ban Ki Moon kritisierte der Kremlchef den zuvor gestarteten Einsatz ukrainischer Truppen. Moskau warnte vor einem Scheitern der für Donnerstag geplanten Krisengespräche in Genf.

Der ukrainische Interimspräsident Alexander Turtschinow hatte den Beginn des sogenannten „Anti-Terror-Einsatzes“ am Dienstag im Parlament in Kiew verkündet. Ziel des Vorrückens sei der „Schutz der Bürger vor Terroristen, die das Land zerreißen wollen“. Russland hatte vor solch einem Schritt gewarnt. Die USA verteidigten das Vorgehen der Kiewer Regierung.

Militäreinsatz gegen Separatisten gestartet
Ukrainische Soldaten stehen mit unsicher-angespanntem Gesichtsausdruck zwischen Panzern, auf denen die ukrainische Flagge weht. Erstmals hat die Ukraine auf den prorussischen Aufstand im Osten des Landes mit einer Militäraktion reagiert. Quelle: AP
Die pro-russischen Separatisten lassen sich derweil nicht beeindrucken. Sie bauen weiter Barrikaden und verteidigen diese mit teils selbst gebastelten Waffen, so wie hier in der Stadt Kramatorsk. Quelle: AP
Südlich von Kramatorsk sollen am Dienstag ukrainische Spezialkräfte an einem Flughafen rund 30 bewaffnete Männer zurückgedrängt haben, sagte General Vasyl Krutow. Quelle: AP
Separatisten greifen ukrainisches Sicherheitspersonal am Flughafen von Kramatorsk an. Über den genauen Hergang der Gefechte gab es widersprüchliche Angaben. Quelle: AP
Laut der ukrainischen Regierung gab es keine Opfer, russische Medien berichteten jedoch von vier bis elf Toten am Flughafen. Ein Sprecher einer prorussischen Verteidigungsgruppe, Juri Schadobin, sprach von zwei Leichtverletzten, die in eine Klinik gebracht worden seien. Laut der Regierung in Kiew wurde eine nicht näher genannte Zahl von Milizionären gefangen genommen. Quelle: AP
Moskau verurteilte das ukrainische Vorgehen. Es sei „kriminell, mit den eigenen Landsleuten zu kämpfen, während sie für legale Rechte aufstehen“, erklärte das Außenministerium in Moskau. Ressortchef Sergej Lawrow hatte Kiew zuvor vor dem Einsatz von Gewalt gegen die prorussischen Demonstranten gewarnt. Man könne nicht Panzer schicken und zur selben Zeit Gespräche führen, sagte er mit Blick auf die für Donnerstag in Genf geplanten Verhandlungen mit den USA, der Europäischen Union und der Ukraine über die Krise. Quelle: AP
Einige Truppen haben laut Berichten von Reportern vor Ort mittlerweile die Seiten gewechselt. Sie sollen samt Panzern zu den pro-russischen Milizionären übergelaufen sein. Quelle: AP

In mehreren Orten der Ost-Ukraine halten moskautreue Separatisten seit Tagen Verwaltungsgebäude besetzt. Sie fordern einen föderalen Staat mit weitgehenden Autonomierechten für das russisch geprägte Gebiet.

China zeigte sich über die Eskalation besorgt und rief alle Seiten zur Zurückhaltung auf. Vizeaußenminister Li Baodong sprach am Mittwoch von einer „unglücklichen Entwicklung“. China setze sich für einen internationalen Kooperationsmechanismus ein, sagte Li Baodong mit Blick auf den Genfer Krisengipfel. Er sprach am Mittwoch in Peking mit dem Vorsitzenden der Unionsfraktion, Volker Kauder.

Aus dem Bundespresseamt hieß es zu dem Gespräch zwischen Putin und Merkel, die Situation in der Ukraine sei ausführlich erörtert worden. Bei aller unterschiedlichen Bewertung der Ereignisse habe die Vorbereitung des Treffens in Genf im Mittelpunkt gestanden. Dort wollen die Außenminister Russlands, der USA und der Ukraine zusammen mit der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton über Möglichkeiten einer diplomatischen Lösung der Krise beraten. Außenminister Frank-Walter Steinmeier appellierte an die Teilnehmer, das Treffen zu nutzen. „Ein Scheitern ist nicht erlaubt“, sagte er der „Rheinischen Post“.

Schusswechsel bei Kramatorsk und Slawjansk

Was die Russen in der Ostukraine wollen
Greift das russische Militär ein?Das russische Militär positioniert sich in der Ostukraine. Die Spezialeinheiten der russischen Armee stehen den pro-russischen Separatisten bei, die einen Anschluss an Russland wollen. Die Regierung in Moskau kann sich unterdessen überlegen, wie man ein weiteres Krim-Szenario erreichen könnte. 45.000 Soldaten sind bereits an der Grenze stationiert. „Ich bin äußerst beunruhigt über die weitere Eskalation der Spannung in der Ostukraine“, erklärte Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen. Männer mit russischen Spezialwaffen und in Uniformen ohne Abzeichen erinnerten an das Auftreten russischer Truppen bei der Annexion der Schwarzmeerhalbinsel Krim - das sei eine schwerwiegende Entwicklung. Moskau müsse seine Truppen, zu denen auch Spezialeinheiten gehörten, von der ukrainischen Grenze zurückziehen, forderte der Nato-Chef. Quelle: AP
Rund 45.000 russische Soldaten - „Dies sind beachtliche Streitkräfte von hoher Einsatzbereitschaft. Und sie sind in der Lage, sich sehr rasch zu bewegen“, sagte der britische Brigadegeneral Gary Deakin, Direktor des Zentrums für Krisenmanagement im militärischen Nato-Hauptquartier in Mons. Nach Nato-Angaben sind an mehr als 100 Standorten Artillerie, Panzerfahrzeuge, Hubschrauber, Spezialeinheiten, Kampfflugzeuge sowie die dazugehörenden Logistikeinheiten stationiert. Die meisten Einheiten befänden sich in provisorischen Unterkünften, Flugzeuge und Fahrzeuge stünden im Freien. „Das sind keine Truppen, die sich immer dort befinden, wo sie gerade sind“, sagte Brigadegeneral Deakin. Die Einheiten würden seit drei bis vier Wochen auch nicht - etwa zu Manöverzwecken - bewegt: „Es ist sehr ungewöhnlich, eine so große Truppe so lange einfach in der Landschaft stehen zu lassen.“ Quelle: REUTERS
Kämpfen russische Soldaten bereits mit?Viele sehen die russischen Soldaten als eine erneute Provokation aus Moskau. Auch US-Außenminister Kerry beschuldigt Putin. Er spricht von "russischen Provokateuren und Agenten". Viele der Separatisten sind schwer bewaffnet. Innenminister Awakow spricht von einer "Aggression der Russischen Föderation". Spiegel Online berichtet von Internet-Videos, in denen Truppen zu sehen sind, die über eine militärische Ausbildung verfügen. Diese Kämpfer der selbsternannten "Armee des Süd-Ostens" gingen bei dem Sturm der Polizei-Einheit in Slawjansk sehr geplant vor. Quelle: AP
Moskau dementiert Kiew wirft Russland offen „Aggression“ in der russisch geprägten Region vor. Moskau wolle das Gebiet durch bezahlte Provokateure destabilisieren und dann dort einmarschieren. Russlands Außenminister Sergej Lawrow wies dies mit Nachdruck zurück. Er sagte, das russische Militärs sei nicht aktiv. Während der Krim-Krise hatte Putin allerdings genau das auch behauptet. Dennoch hat Moskau offiziell offenbar noch keine regulären Einheiten in die Ostukraine verlegt. Quelle: REUTERS
Was will Russland?Moskau macht sich in der Ostukraine für die Rechte der russischsprachigen Bürger stark. Der Anteil in Donezk liegt bei etwa 70 Prozent. Spiegel Online berichtet, dass dort 33 Prozent aller Bewohner einen Anschluss an Russland befürworten. Die Regierung in Kiew hat nun ein hartes Vorgehen angekündigt. Das wiederum könnte Moskau zu weiteren Schritten provozieren. Russlands Außenminister Sergej Lawrow warnte bei einem Telefonat mit seinem US-Kollegen John Kerry, ein gewaltsames Eingreifen der Regierung in Kiew gefährde ein für Donnerstag in Genf geplantes Treffen von russischen, ukrainischen, US- und EU-Vertretern. Quelle: REUTERS
Folgen für Russland Wenn das russische Militär eingreift, könnte das zu weiteren Wirtschaftssanktionen gegenüber Russland führen. Das macht eine Intervention Moskaus unwahrscheinlich. "Es geht nicht um Annexion, sondern darum, zu zeigen, dass die aktuelle ukrainische Führung nicht in der Lage ist, für Ruhe und Ordnung zu sorgen", sagt Stefan Meister, Russland-Experte des European Council on Foreign Relations, gegenüber Spiegel Online. Quelle: REUTERS

Zu Schusswechseln zwischen ukrainischen Einheiten und moskautreuen Aktivisten kam es in der Nähe der Städte Kramatorsk und Slawjansk im Verwaltungsgebiet Donezk. Nach schweren Gefechten hätten Regierungseinheiten den Flugplatz von Kramatorsk unter ihre Kontrolle gebracht, sagte Turtschinow. Das russische Staatsfernsehen berichtete von mindestens vier Toten. Die moskautreuen Aktivisten sprachen von einem Verletzten in ihren Reihen. Eine offizielle Bestätigung für die Opferzahlen gab es zunächst nicht.

Putin forderte laut Kreml von UN-Generalsekretär Ban, die Vereinten Nationen müssten das „verfassungswidrige Vorgehen“ der Machthaber in Kiew verurteilen. Der russische Außenminister Sergej Lawrow sprach bei einem Besuch in Peking von einer „Verletzung ukrainischer Rechtsnormen und des Völkerrechts“.

US-Regierungssprecher Jay Carney sagte hingegen: „Die ukrainische Regierung hat die Verantwortung, Recht und Ordnung herzustellen.“ Die „Provokationen“ prorussischer Kräfte „schaffen eine Situation, in der die Regierung handeln muss“. Er bezeichnete die Eskalation als „sehr gefährlich“.

Die USA haben Russland mehrfach beschuldigt, in dessen Nachbarland politische Unruhen zu befeuern. Der Russlandbeauftragte der Bundesregierung, Gernot Erler (SPD), sagte der „Passauer Neuen Presse“ (Mittwoch), die gute Organisation und Ausrüstung der Milizen in den Städten deuteten auf russische Herkunft hin.

Vor einer Entscheidung über mögliche weitere Sanktionen gegen Russland wollen die USA zunächst die Genfer Gespräche abwarten. Die „New York Times“ berichtete, Washington prüfe unter anderem, einen engen Putin-Vertrauten auf die Sanktionsliste zu setzen. Es handele sich um Igor Setschin, Chef der staatlichen Ölgesellschaft Rosneft.

Nach Ansicht des luxemburgischen Europapolitikers Jean-Claude Juncker zeigen die bislang von der EU gegen Russland verhängten Sanktionen Wirkung. „Man weiß ja jetzt schon, was es an Kapitalabfluss aus Russland in den vergangenen Wochen und Tagen gegeben hat. Das geht nicht wirkungslos an Russland vorbei“, sagte Juncker der Nachrichtenagentur dpa in Straßburg. Der frühere luxemburgische Ministerpräsident ist Spitzenkandidat der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) für die Europawahl Ende Mai.

Bisher verhängte die EU wegen der Annexion der Krim durch Russland Kontensperrungen und Einreiseverbote gegen Einzelpersonen. Über neue Wirtschaftssanktionen wurde noch nicht entschieden.

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