Wikileaks-Gründer Offene Fragen im Fall Assange

Die schwedische Justiz ermittelt nicht länger gegen Wikileaks-Gründer Julian Assange. Doch nach einem Freispruch klingt die Begründung der Staatsanwältin nicht. Vielmehr bleiben viele Fragen offen.

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Stockholm Lange hat es gedauert, jetzt hat die schwedische Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen den Gründer der Enthüllungsplattform Wikileaks, Julian Assange, eingestellt. Nach sieben Jahren, davon fünf in der ecuadorianischen Botschaft in London, wird Schweden nicht mehr gegen den mittlerweile 45-jährigen Australier wegen Vergewaltigungsvorwürfen ermitteln. Assange hat immer alle Vorwürfe bestritten und von einem „Komplott“ gesprochen. Tatsächlich bleiben viele Fragen offen.

Die schwedische Staatsanwältin Marianne Ny teilte am Freitag in Stockholm mit, dass man nach Verhören in London im vergangenen November alle Möglichkeiten ausgeschöpft, die Ermittlungen weiterzuführen. „Deshalb erscheint es nicht länger angemessen, den Haftbefehl gegen Julian Assange in dessen Abwesenheit aufrechtzuerhalten“, sagte sie. Sie hatte seit 2010 die Untersuchungen geleitet. Ny wies Vorwürfe zurück, sie hätte die Ermittlungen verzögert. Vielmehr gab sie den Vorwurf an Assange weiter, da er nicht bereit gewesen sei, sich in Schweden verhören zu lassen.

Ob Assange aber durch die Einstellung der Ermittlungen ein freier Mann ist, ist unwahrscheinlich. Die britische Polizei teilte kurz nach der Einstellung der Ermittlungen in Schweden mit, dass sie Assange festnehmen werde, sollte er das Botschaftsgebäude verlassen. Ob das mit einem eventuellen Auslieferungsgesuch der USA zusammenhängt, ist noch unklar. Die USA werfen Assange vor, durch Veröffentlichungen geheimer Dokumente auf Wikileaks Staatsgeheimnisse verraten zu haben. Der Fall Assange beschäftigte seit 2010 die Justiz in Schweden, Großbritannien und den USA.

Zur Erinnerung: 2010 hatte der Wikileaks-Gründer Assange während einer Vortragsreise in Schweden mit zwei Frauen Sex. Während er von einvernehmlichen Geschlechtsverkehr sprach, behaupteten die beiden Frauen, dass er sie zu ungeschütztem Sex gezwungen habe und gingen zur Polizei. Während die ihre Ermittlungen aufnahm, reiste Assange nach London. Nachdem die Staatsanwaltschaft in Stockholm gegen ihn dann einen europäischen Haftbefehl ausgestellt und er vergeblich alle Rechtsmittel gegen einen Auslieferungsantrag Schwedens ausgeschöpft hatte, flüchtete Assange in die ecuadorianische Botschaft in London, wo ihm Asyl gewährt wurde. Assange fürchtete, dass Schweden ihn nach einem Verhör an die USA ausliefern könnte.

Das war im 2012. Heute, fünf Jahre und viele Millionen Euro für Bewachung, Verpflegung und Sicherheit später ist Assange in Schweden nicht mehr angeklagt. Allerdings betonte Staatsanwältin Ny, dass die Ermittlungen in einem Vergewaltigungsfall wieder aufgenommen werden können, sollte er nach Schweden reisen.

Die schwedische Staatsanwältin Marinanne Ny ist in der Vergangenheit immer wieder scharf kritisiert worden. Ein „Verbrechen gegen die Anständigkeit“ – so bezeichnete der angesehene schwedische Rechtsanwalt Svante Thorsell vor einem Jahr das Hin- und Her im Fall Assange. „So etwas darf nicht geschehen“, schrieb er in einem Kommentar in der schwedischen Zeitung „Göteborgs-Posten“. Besonders kritisch ist er, weil es in Schweden keine zeitliche Begrenzung gibt, wie lang ein Ermittlungsverfahren dauern darf.

Die Kritik von Thorsell richtet sich besonders gegen die Stockholmer Staatsanwältin Marianne Ny, die sich trotz Bereitschaft von Assange geweigert hat, den Wikileaks-Gründer in London zu den Vorwürfen zu vernehmen. Erst im Sommer vergangenen Jahres, also sechs Jahre nach Aufnahme der Ermittlungen, erklärte sie sich bereit, nach London zu reisen und Assange dort zu verhören. „Die Passivität der Staatsanwältin ist ein Verbrechen gegen die Anständigkeit“, findet Thorsell. Drei der vier Verfahren gegen den Wikileaks-Gründer waren bereits wegen Verjährung eingestellt worden. Nur der Vorwurf der Vergewaltigung blieb bestehen. Die Verjährungsfrist läuft in diesem Fall erst 2020 aus.

Nach der Einstellung der Ermittlungen bleiben viele Details ungeklärt: Wieso hat man Assange nicht 2010 noch während seines Aufenthaltes in Schweden verhört? Warum hat die Polizei seine Ausreise aus Schweden nicht verhindert, obwohl sie wusste, wo sich Assange in Schweden aufhielt? Und: Wieso lässt man Assange via Interpol suchen, wo es doch angeblich nur um ein Verhör in Schweden geht?

Viele Fragen, die Marianne Ny in den kommenden Wochen beantworten muss. Sie betonte am Freitag in Stockholm, dass die Einstellung der Ermittlungen keine Entscheidung in der Schuldfrage sei. Ein Freispruch klingt anders.

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