Zehn Tage im 'Islamischen Staat' "Wenn der IS Islam ist, ist der Ku-Klux-Klan das Christentum"

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„Angriffskriege sind ein Bumerang“

Der Friedensforscher Werner Ruf sagte mir im Interview, beim IS ginge es vor allem „um Armut, nicht um Religion“ . Ist das auch Ihre Einschätzung? Was ist denn die Motivation der IS-Kämpfer? Warum tauschen sie mit Begeisterung ihren PC und ihre Playstation gegen ein Plumpsklo aus?

Armut weniger. Stattdessen ihre Diskriminierung als Muslime, unsere massiven Ungerechtigkeiten gegenüber der muslimischen Welt, die sie ständig im Fernsehen oder im Internet sehen, sowie der Glaube, Teil einer großen historischen Auseinandersetzung zu sein. Das trägt sie und lässt sie viele Widrigkeiten vergessen. Um die Jungfrauen im Paradies geht es ihnen weniger.

Die westliche Gewalttätigkeit sprengt, wie der Krieg gegen den Irak und auch der alltägliche Drohnenkrieg zeigen, ja oft in der Tat alle Grenzen. Quantitativ ging sie sogar weit über das hinaus, was uns der brutale IS-Terrorismus heute vorführt.

Angriffskriege und krasse Ungerechtigkeiten sind aber ein Bumerang, der am Ende fast immer als Terrorismus zurückkommt. Der Westen bekämpft letztlich seine eigene Gewalt, wie Sartre einmal sagte. Das kapieren viele westliche Politiker leider nicht.

Die IS-Kämpfer sehen im sogenannten Islamischen Staat nun die Chance, sich erfolgreich gegen die Ungerechtigkeiten und Kriege des Westens zu wehren. Sie sehen sich auf einer historischen Mission. Sie wollen Weltgeschichte schreiben. In manchem erinnert mich das an die Kreuzzüge, die genauso wenig christlich waren, wie der IS beziehungsweise dessen Taten nun islamisch sind. Und es erinnert mich an die jungen Nazis.

Einsatz gegen Terrorverdächtige: Islamisten-Szene verstärkt im Visier

Was kritisieren Sie am IS am meisten?

Seine religiöse "Säuberungsstrategie". Der IS glaubt, er habe die Pflicht und das Recht, alle nicht-abrahamitischen Religionen auszulöschen. Das heißt, Hunderte von Millionen Andersgläubiger zu ermorden. Die absolute Überzeugung, eine religiöse Pflicht zu tun, lässt dabei alle Skrupel schwinden. Als Deutscher darf man dazu nicht schweigen.

Wie sehen Sie das Verhältnis des IS zum Islam?

Der IS hat sich eine gnadenlose Privatreligion zurechtgestrickt. Mit Islam hat die nichts zu tun. Wenn der IS Islam ist, dann ist der Ku-Klux-Klan das Christentum. Der IS hat mit dem Islam so viel gemeinsam wie Vergewaltigung mit Liebe.

Aus meiner Sicht ist der sogenannte Kalif des IS vielmehr der "Anti-Christ" des Islam, auch wenn es diese religiöse Figur im Islam überhaupt nicht gibt. Und der sogenannte Islamische Staat ist im Grund ein anti-islamischer Staat. Er müsste eigentlich AIS heißen.

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