BDI-Präsident Ulrich Grillo Große Koalition – „Das erste Jahr war verschenkt“

Aus Reihen der Wirtschaft hagelt es Kritik fürs erste Regierungsjahr der großen Koalition samt Rentenreformen und Mindestlohn. BDI-Präsident Grillo und andere Experten sehen Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit in Gefahr.

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BDI-Präsident Ulrich Grillo: „Wir leben nicht mehr in der Planwirtschaft.“ Quelle: dpa

Berlin/Kiel Industrie-Präsident Ulrich Grillo sieht ein verlorenes erstes Regierungsjahr der großen Koalition aus Union und SPD. „Ich hätte mir mehr erhofft. Das erste Jahr war verschenkt, da wurde viel Geld wenig zukunftsgerichtet ausgegeben“, sagte der Chef des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) der Deutschen Presse-Agentur.

„Wenn ich an Schwarz-Rot denke, bin ich durchaus angespannt.“ Einfach nur stoisch den Koalitionsvertrag abzuarbeiten, sei zu wenig, warf er den Regierungsparteien CDU, CSU und SPD vor. „Wenn sich die Zeiten ändern, muss ich reagieren und meine Pläne überarbeiten. Wir leben nicht mehr in der Planwirtschaft“, kritisierte Grillo, der die politischen Interessen von mehr als 100.000 Unternehmen mit gut acht Millionen Beschäftigten vertritt.

Wenn Deutschland nicht aufpasse, „haben wir in 5 bis 10 Jahren unsere Wettbewerbsfähigkeit wieder eingebüßt“. Wohlstand und Wachstum seien keine Selbstläufer. Angesichts der Rekordbeschäftigung von 43 Millionen Menschen sei die Gefahr groß, dass sich alle in der Politik zurücklehnten. „Ich warne vor Selbstzufriedenheit.“

Er sei aber zuversichtlich, dass die Koalition die jüngsten schwächeren Wachstumszahlen als Warnzeichen erkannt habe. So hatte Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) angekündigt, dass die Regierung zwischen 2016 und 2018 insgesamt 10 Milliarden Euro zusätzlich für Investitionen ausgeben wolle. Grillo findet das gut: „Der Kurs für 2015 muss lauten: Mehr investieren, weniger umverteilen.“

Auch nach Ansicht des CDU-Wirtschaftsrates hat die große Koalition unter Kanzlerin Angela Merkel nichts für den Industriestandort Deutschland getan. „2014 ist für die Zukunftsfestigkeit Deutschlands im Prinzip nichts gemacht worden. Das war ein verlorenes Jahr“, sagte Verbands-Generalsekretär Wolfgang Steiger der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Vor allem sei der nächsten Generation mit der Mütterrente und der Rente ab 63 ein schwer zu tragendes Paket aufgelastet worden.

„2015 muss besser werden. Die große Koalition muss wieder zuerst an das Erwirtschaften denken, bevor sie weiter fröhlich verteilt. Wir dürfen uns nicht mit vordergründiger Sozialromantik aufhalten“, sagte Steiger. Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) solle endlich seine Konzentration von der Pkw-Maut auf Zukunftsprojekte lenken und sich um die digitale Agenda kümmern. „Die Maut allein reicht auch nicht aus, Straßen, Brücken und Schleusen wie nötig zu sanieren.“

Das Wichtigste für die Union sei jetzt, ihre Wirtschaftskompetenz zu beweisen. „Auf uns rollt eine demografische Welle zu und die große Koalition ignoriert das bis heute einfach.“ Es mache keinen Sinn, Fachkräfte in Frührente zu schicken, die dringend für die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland gebraucht würden. „Wir brauchen deshalb eine echte Flexi-Rente, die den Menschen Anreize gibt, länger zu arbeiten.“ 2015 müsse das Jahr der Entscheidungen werden, weil sich das Land ab 2016 durch viele Landtagswahlen im Dauerwahlkampf bis zur Bundestagswahl 2017 befinde.


„Schwellenländer wachsen immer noch stärker als wir“

Der Präsident des Instituts für Weltwirtschaft, Dennis Snower, hat der Bundesregierung vorgeworfen, mit ihren Rentenreformen und dem Mindestlohn Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit zu gefährden. Die Rente mit 63 und die Mütterrente hätten zwar positive Effekte auf den Konsum, weil sie die Kaufkraft stärkten, sagte der Kieler Forscher der Deutschen Presse-Agentur. „Dennoch sind das falsche Signale, und Signale sind sehr wichtig.“ Frühere Reformen wie Hartz IV hätten die Wirtschaft zum Brummen gebracht. „Aber der jetzige Kurs geht in die entgegengesetzte Richtung“, kritisierte Snower.

Er wies auf die zunehmende Konkurrenz hin. „Schwellenländer wachsen immer noch stärker als wir, sie investieren viel mehr in Infrastruktur und ihr Humankapital - damit wird ihre Wettbewerbsfähigkeit gemessen an unserer steigen.“

Aus Sicht Snowers werden Innovationskraft und Anpassungsfähigkeit wesentlich über die künftige internationale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands entscheiden. „Innovation hat viel mit Kultur zu tun und damit, ob der Geist in der Gesellschaft Innovation fördert.“ Um Deutschlands Anpassungsfähigkeit zu stärken, müsse das Bildungs- und Ausbildungssystem viel flexibler werden, sagte der Wirtschaftswissenschaftler. Berufliches Umsatteln und der Erwerb neuer Fähigkeiten müssten einen viel größeren Stellenwert bekommen.

SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi hat den Vorwurf aus der Wirtschaft zurückgewiesen, Schwarz-Rot habe das erste Regierungsjahr verschenkt. „Ich bin das ewige, immer gleiche Lamento der Wirtschaftsvertreter allmählich leid. Selten waren die Voraussetzungen für die hiesige Industrie so rosig wie im Augenblick“, sagte Fahimi der Deutschen Presse-Agentur.

Von verantwortungsbewussten Arbeitgebern erwarte sie, dass diese sich endlich an der Verbesserung Deutschlands beteiligten. „Dazu gehören mehr Arbeitsplätze, bessere Tarifbindungen und endlich wieder mehr private Investitionen in Anlagen und Fortbildung. Deutschland muss besser werden, nicht billiger“, meinte die Sozialdemokratin.

Fahimi verteidigte auch die von der Wirtschaft bekämpften Beschlüsse wie Mindestlohn, Rentenpaket und Frauenquote. „Gerade weil es immer noch Wirtschaftslobbyisten gibt, die nicht akzeptieren wollen, dass die Wirtschaft dringend mehr Frauen braucht, haben wir die Frauenquote durchgesetzt.“

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