WirtschaftsWoche Online: Herr Frerk, sind Sie Christ?
Herr Carsten Frerk: Nein. Ich bin nicht getauft. Religion interessiert mich nicht.
Warum dann Ihr Zorn gegenüber der Kirche?
Ich bin nicht zornig. Ich interessiere mich für den Verein gar nicht. Aber ich halte die Nähe zwischen Staat und Kirche für gesellschaftspolitisch falsch und schädlich. Die Freiräume, die die katholische und evangelische Kirche gegenüber Staat und Parteien genießen, sind absolut nicht in Ordnung.
In Ihrem neuen Buch „Kirchenrepublik Deutschland“ prangern Sie den christlichen Lobbyismus an. Was ist daran so schlimm?
Christlicher Lobbyismus als solcher ist überhaupt nicht schlimm. Kirchen haben 34 Lobbybüros in Deutschland, die Einfluss ausüben auf Politik und Meinungsmacher. Das ist völlig in Ordnung und Teil unserer gelebten Demokratie. Aber die frühe Einbindung der Kirchen in die Gesetzgebungsprozesse geht eindeutig zu weit. Diese seit Jahrzehnten andauernde Praxis ist das Gegenteil von Demokratie.
Ein Beispiel bitte.
Nehmen Sie das Betriebsverfassungsgesetz, das in den Gründungsjahren der Bundesrepublik entworfen und verabschiedet wurde. Die Kirchen setzten durch, dass das Gesetz für ihre Mitarbeiter keine Anwendung findet. Nach den Kriegswirren hat die Kirche das politische Vakuum genutzt, indem sie sich als ‚Sprachrohr des Volkes‘ ausgegeben hat und auf diese Weise Privilegien gesichert hat.
Mit welchen Folgen?
Die zehn Jahre nach 1945 waren goldene Jahre für die Kirche. Die Kirchen haben in dieser Zeit Sonderrechte für sich und die eigenen Betriebe ausbedungen. In den Kirchen und kirchlichen Wohlfahrtsorganisationen, also etwa der evangelischen Diakonie und der katholischen Caritas, sind die Grundrechte der Mitarbeiter teilweise ausgehebelt. Die Angestellten dürfen nicht streiken, keinen ordentlichen Betriebsrat gründen und verdienen in der Regel weniger als in Unternehmen. Wiederverheiratete Ärzte haben es noch immer schwer, in einem katholischen Krankenhaus Karriere zu machen. Die christlichen Privilegien gelten zudem nicht nur im Arbeitsrecht.
Wo denn noch?
Wirklich frech wird es, wenn man die Möglichkeiten der Kirchen beschreibt, wie sie Einfluss auf den Gesetzgebungsprozess ausüben können. Denn ihre Vertreter haben einen Sonderstatus im deutschen Bundestag. Sie können ein und ausgehen, wie es ihnen beliebt. Die Kirchen sagen selbst, dass sie in allen Stadien wichtiger Gesetzesprozesse involviert sind. Selbst in der gerade erst gegründeten Atomkommission, die eine Lösung für die Finanzierung des Atomausstiegs finden soll, finden sich zwei Bischöfe. Hier findet christliche Einflussnahme statt, ohne dass es hierfür eine gesellschaftsrechtliche Grundlage gibt.
Wer im Bundestag lobbyieren will, muss sich im Lobbyregister eintragen lassen. Die Regeln sind doch für alle gleich...
Sie gelten aber nicht für die beiden großen christlichen Kirchen. Beim deutschen Bundestag gibt es rund 1500 angemeldete Lobbyisten, die als Verein oder Verband Zugang zu den Parlamentariern haben. Darunter sind zwar auch rund 50 kirchliche Organisationen wie die katholischen Bildungswerke, Studentenverbände, die evangelischen Erzieher und der Entwicklungsdienst. Die Kirchen selber gehören aber nicht dazu. Die Mitarbeiter ihrer Lobbybüros haben jederzeit Zugang zum Bundestag.
Warum das?
Weil sie als Körperschaft des öffentlichen Rechts organisiert sind und deshalb wie eine staatliche Stelle behandelt werden. Staatliche und halb-staatliche Institutionen haben natürlich Zugang zum Bundestag. Das heißt: Für alle Lobbyisten gilt die Geschäftsordnung des Bundestages, für die Kirchen nicht. Sie besitzen Privilegien, die andere Vereine und Verbände nicht haben. Die beiden Großkirchen erhalten somit zu viel Einfluss auf Gesetze, die das gesellschaftliche Leben in Deutschland beeinflussen.