Debatte um „Pegida“ Sarrazin wirft Merkel Versagen vor

Was tun mit der Anti-Islam-Gruppe „Pegida“, der sich immer mehr Menschen anschließen? Thilo Sarrazin fordert, auf die Sorgen einzugehen. Die Ausgrenzungsstrategie von Kanzlerin Merkel hält er für gefährlich.

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Das frühere Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank ,Thilo Sarrazin: Auch „Dumpfbacken und sogar Rechtsradikale“ bei „Pegida“. Quelle: dpa

Berlin Der frühere Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) hat den Umgang der Politik mit den Protesten der umstrittenen Anti-Islam-Bewegung „Pegida“ scharf kritisiert. „Die Politik muss doch merken, dass sich etwas zusammenbraut in Europa: Zwischen so unterschiedlichen Erscheinungen wie Putins völkischen Tönen, den Erfolgen der Dänischen Volkspartei und der Schwedendemokraten in Skandinavien, dem Aufstieg der UKIP in England und dem Zuspruch für den rechtsradikalen Front National in Frankreich besteht ein Zusammenhang“, sagte Sarrazin dem Handelsblatt (Online-Ausgabe). „Das kriegt man nicht weggebürstet, indem man, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel, die digitale Revolution ausruft und am nächsten Hilfspaket für Griechenland bastelt.“

Merkel hatte die Bürger aufgerufen, die Ziele von „Pegida“ kritisch zu hinterfragen und sich nicht instrumentalisieren zu lassen. Auch andere Politiker riefen zur Distanzierung von auf. In Deutschland gelte zwar die Demonstrationsfreiheit, sagte Merkel. „Aber es ist kein Platz für Hetze und Verleumdung von Menschen, die aus anderen Ländern zu uns kommen.“

Am Montagabend waren in Dresden erneut tausende Menschen einem Demonstrationsaufruf von „Pegida“ gefolgt. Nach Polizeiangaben beteiligten sich etwa 15.000 Menschen an der Kundgebung. An Gegenveranstaltungen nahmen nach Veranstalterangaben rund 7.500 Menschen teil. „Pegida“ steht für „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“.

Unter den „Pegida“-Demonstranten würden zwar sicherlich auch „Dumpfbacken und sogar Rechtsradikale“ sein, sagte Sarrazin weiter. „Es ist aber egal, wer demonstriert, wenn man – wie die meisten „Pegida“-Kritiker – jedwede kritische Auseinandersetzung mit islamischer Einwanderung für grundsätzlich illegitim  hält.“ Wenn man das Thema aber für wichtig und diskussionswürdig halte, erwachse daraus die Pflicht, es nicht in falsche Hände fallen zu lassen. „Genau das passiert aber, wenn man die Diskussion für läppisch hält oder gar nicht führt“, warnte Sarrazin.

Dabei seien die Anliegen der neuen Bewegung legitim. „Für den nachdenklichen Bürger sind die Gefahren durch Islamismus und Parallelgesellschaft nicht von Hand zu weisen“, betonte Sarrazin. Dennoch gingen die meisten Politiker und Medien einer grundsätzlichen Diskussion aus dem Wege und trügen stattdessen Beschwörungsformeln wie „Weltoffenheit“ oder „Willkommenskultur“ wie eine Monstranz vor sich her.


Lammert: Politik muss Zuwanderungspolitik besser erklären

Auch Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) lehnt eine pauschale Verurteilung der „Pegida“-Demonstranten ab. Der Zulauf habe „sicher auch mit Rechtsradikalen zu tun, die ihr politisches Süppchen kochen wollen“, sagte Seehofer. „Da muss die Politik mit äußerster Konsequenz reagieren.“ Aber es seien auch viele Bürger mit berechtigten Sorgen dabei. „Mit denen muss man in einen Dialog treten und darf sie nicht pauschal verurteilen. Das sind keine Nazis.“

Seehofer kritisierte Bundesjustizminister Heiko Maas, der die „Pegida“-Demonstranten als „Schande für Deutschland“ bezeichnet hatte. „Wenn er richtig zitiert worden ist, hat er das zu einseitig betont“, sagte Seehofer. „Durch Beschimpfung treibt man die Menschen eher in die Arme der Verführer.“

Das sieht auch die Alternative für Deutschland (AfD) so. „Die Pegida-Demonstrationen in Dresden wachsen nicht trotz der Verbalkeulen von Politikern und Medien von Woche zu Woche an, sondern gerade deshalb“, sagte der Spitzenkandidat der AfD für die Hamburger Bürgerschaftswahl, Jörn Kruse.

Kruse zeigte Verständnis für die Forderungen der Demonstranten. Er schloss jedoch gleichzeitig eine engere Zusammenarbeit seiner Partei mit der Bewegung aus. Der AfD-Politiker verwies auf aktuelle Umfragen, die gezeigt hatten, dass etwa die Hälfte der Bevölkerung Verständnis für die Demonstrationen der „Pegida“ haben. Es sei daher falsch, jeden automatisch zum Ausländerfeind zu erklären, der durch Berichte über radikale Islamisten verunsichert sei.

Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) verlangte, überzeugender als bisher die Zuwanderungspolitik zu erläutern. Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel sagte, viele der Protestteilnehmer fühlten sich „mit ihren diffusen Ängsten vor einer Überfremdung“ von der Politik nicht ernst genommen. Bundesjustizminister Maas bezeichnete die Argumente als „fadenscheinig“, sie seien leicht zu entlarven.

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