Diesel-Skandal EU will harte Strafen bei Verbrauchertäuschung

EU-Justizkommissarin Vera Jourova will Konsequenzen aus dem Dieselskandal ziehen. Per Gesetz will sie die Rechte der Verbraucher europaweit stärken. Ihr Vorhaben ähnelt den Plänen von Bundesjustizminister Heiko Maas.

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EU-Justizkommissarin Vera Jourova: Kollektive Verbraucherrechte stärken. Quelle: Reuters

Berlin Die Europäische Kommission macht jetzt Nägel mit Köpfen. Nachdem sich erst kürzlich EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager angesichts des Dieselskandals dafür stark gemacht hat, die Rechte der Verbraucher in der EU zu stärken, geht nun die Verbraucherschutz-Kommissarin Vera Jourova den nächsten Schritt.

Im Rahmen eines „New Deals“ für Verbraucher plant sie, die Verbraucherrechte deutlich zu verbessern, nicht nur in der digitalen Welt, sondern auch im Bereich des kollektiven Rechtsschutzes. Das Ziel ist, Verbrauchern ein Klageinstrument an die Hand zu geben, damit diese sich einfacher gegen Massenschäden wehren und mögliche Schadensersatzansprüche durchsetzen können. Jourova nennt das: die „Schwächen des derzeitigen Systems“ beseitigen.

Aus ihrer Sicht fehlen „abschreckende Sanktionen“. „Wir haben die bestmöglichen Verbraucherschutzgesetze der Welt, aber die Durchsetzung braucht schärfere Zähne, so dass die Unternehmen zweimal darüber nachdenken, bevor sie sich entscheiden zu betrügen.“ Deshalb werde sie im nächsten Jahr eine Reihe von Änderungen vorschlagen, um die Rechte der Verbraucher zu stärken. „Wir denken auch darüber nach, wie wir es Gruppen von Verbrauchern ermöglichen können, ihre Interessen gemeinsam zu verteidigen.“

Der Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbands (VZBV), Klaus Müller, unterstützt die EU-Pläne. „Der VZBV begrüßt, dass auch Brüssel die Durchsetzung von Verbraucherrechten erleichtern will. Dabei muss die Entschädigung der Verbraucher nach Massenschadensfällen im Mittelpunkt stehen“, sagte Müller dem Handelsblatt.

Das sei auch die Idee der sogenannten Musterfeststellungsklage, die in Deutschland endlich eingeführt werden müsse. Ein „vernünftiger“ Gesetzesvorschlag aus dem Bundesjustizministerium liege bereits auf dem Tisch. Nun sollt die Umsetzung in einem hierfür einzurichtenden Bundestagsausschuss „ohne weitere Verzögerungen losgehen“.

Müller forderte die geschäftsführende Bundesregierung zugleich auf, sich auch in Brüssel für europaweite Mindeststandards beim Verbraucherschutz einzusetzen. Mit dem von Jourova am Mittwochabend angekündigten „New Deal“ für Verbraucher müsse die EU „die Verbandsklage der Verbraucherverbände endlich so schärfen, dass es auch für die einzelnen Verbraucher einfacher wird, ihre Ansprüche durchzusetzen“.

Um den Handlungsbedarf noch zu unterstreichen, verwies Jourova auf einen aktueller Fall in den Niederlanden. Die dortige Verbraucherschutzbehörde ACM hat in dieser Woche gegen Volkswagen ein Bußgeld von 450.000 Euro wegen irreführender Werbung bei seinen Dieselfahrzeugen verhängt. Die Behörde hatte zuvor festgestellt, dass der Konzern von 2009 bis 2015 mit der Beschreibung „umweltfreundlich“ für seine Autos geworben habe, obwohl die Ergebnisse von Abgasmessungen durch illegale Software manipuliert worden seien.

Das Bußgeld sei zwar die höchste Strafe, die die Behörde verhängen könne. Leider habe dies aber „keine abschreckende Wirkung“  auf ein Unternehmen, das einen Jahresgewinn von  mehreren Milliarden Euro verzeichne. Ähnlich verhalte es sich mit anderen Unternehmen, die gegen den EU-Verbraucherschutz verstoßen. Die Höhe der Sanktionen sei in den einzelnen Mitgliedstaaten „sehr unterschiedlich“, weshalb die Verbraucher in den Ländern auch mal mehr oder mal weniger gut geschützt seien.

Jourova sagte dazu, sie sei zwar froh, dass nun in den Niederlanden eine nationale Verbraucherbehörde die EU-Vorschriften durchsetze und die Verbraucher schütze. „Aber die Entscheidung der niederländischen Behörde zeigt die Grenzen des derzeitigen Systems“, betonte sie. Für VW sei die „Höchststrafe“ so niedrig, „dass sie von dem Autoriesen kaum wahrgenommen wird“. Deshalb, so Jourova, wolle sie „die Schwächen des derzeitigen Systems angehen“.


Risiko von Klagen soll Unternehmen abschrecken

Die EU-Wettbewerbskommissarin Vestager sieht das genauso. Mit Blick auf den VW-Diesel-Skandal sagte sie kürzlich dem „Spiegel“: „Für mich wirft der Fall jedenfalls die Frage auf, warum wir in Europa nicht ähnlich wie in den USA die Möglichkeit der Sammelklage haben. Ich glaube, dass das Risiko solcher Klagen abschreckend und disziplinierend auf manche Unternehmen wirkt, es geht dann plötzlich um sehr viel mehr Geld.“ Sammelklagen seien auch in einigen EU-Ländern möglich, aber nicht in allen, so Vestager. „Wir in der Kommission sähen es gerne, dass Verbraucher überall in der EU bessere Rechte erhalten, und überlegen gerade, wie wir das am besten erreichen.“

In Deutschland gibt es das Instrument der Sammelklage nur für Anleger, nicht aber für Verbraucher. Deshalb haben die Anwälte der US-Kanzlei Hausfeld, Vertreter des Rechtsdienstleisters „myright.de“ und ein Prozessfinanzierer eine besondere Konstruktion gewählt, um geschädigten VW-Kunden zu helfen. Die treten ihre Rechte an die Rechtsplattform ab und zahlen – im Erfolgsfall einer Klage oder eines außergerichtlichen Vergleichs – 35 Prozent der von Volkswagen gezahlten Entschädigung an die Anwälte.

Auf diese Weise haben kürzlich mehr als 15.000 Besitzer manipulierter Dieselwagen über die Internetplattform „myright.de“ eine Schadenersatzklage gegen Volkswagen eingereicht. Laut „myright.de“ beläuft sich die Schadensumme auf mehr als 350 Millionen Euro. Für die genau 15.374 Geschädigten verlange man die Rückzahlung des Kaufpreises gegen die Rückgabe der Fahrzeuge.

Verbraucherschützer Müller hält von solchen „Abtretungsmodellen“ wenig. Sie böten nur für Massenschadensfälle Lösungen, die für Kanzleien auch eine entsprechende Rendite erwarten lassen, sagte er. Die neue Bundesregierung müsse deshalb dringend die Möglichkeit einer Musterfeststellungsklage einführen.

Justizminister Heiko Maas (SPD) hatte Ende 2016 einen Gesetzentwurf für eine sogenannte Musterfeststellungsklage vorgelegt. Sie soll Klagerechte von Verbrauchern gegenüber Unternehmen - etwa geschädigter Diesel-Fahrer gegen den VW-Konzern - stärken. Dabei geht es auch um die Möglichkeit, dass etwa Verbraucherverbände stellvertretend für viele Kunden Schadenersatzansprüche geltend machen können. Maas' Entwurf wurde jedoch nicht umgesetzt. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte Nachbesserungsbedarf an dem Entwurf angemeldet.

Neue Klagerechte spielten auch im Bundestagswahlkampf eine Rolle. Grüne und Linke warben dafür, dass sich Verbraucher zu „Gruppenklagen“ zusammenschließen können. In den Sondierungsgesprächen für eine Jamaika-Koalition erzielten die Partner eine grundsätzliche Verständigung bei dem Thema. „Im Sinne einer Verbesserung der Rechtsdurchsetzung führen wir eine Musterfeststellungsklage ein. Eine ausufernde Klageindustrie lehnen wir ab“, lautete der letzte Verhandlungsstand. Doch dann platzten die Verhandlungen und ein Weiterkommen bei dem Thema lässt weiter auf sich warten.

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