Gauck tritt nach einer Amtszeit ab Rückzug eines Mahners

Joachim Gauck kandidiert nicht noch einmal für das Amt des Bundespräsidenten. Die Parteien tehen dabei aber vor einem großen Problem. Vor allem Union und SPD wollen die Andeutung auf eine neue Große Koalition vermeiden.

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German Federal President Joachim Gauck leaves after delivering a statement at the Bellevue palace in Berlin, Germany, on June 6, 2016. German President Joachim Gauck said that he would not stand for a second term, creating a political headache for Chancellor Angela Merkel ahead of an election year. / AFP PHOTO / CHRISTOF STACHE Quelle: AFP

Berlin Die Uhr schlug zwölf, als Joachim Gauck an diesem Montag vor der deutschen Öffentlichkeit bestätigte, was bereits vermutet worden war: Das mit 76 Jahren älteste Staatsoberhaupt seit Bestehen der Republik hat sich entschlossen, „nicht erneut für das Amt des Bundespräsidenten zu kandidieren“. Ihm falle dies nicht leicht, sagte Gauck und nannte sein Alter als Grund für den Rückzug im kommenden Jahr. „Ich möchte für eine erneute Zeitspanne von fünf Jahren nicht eine Energie und Vitalität voraussetzen, für die ich nicht garantieren kann“, sagte Gauck.

Würdigende Worte für die bisherigen vier Jahre im Amt ließen nicht lange auf sich warten: Wie viele erklärte Kanzlerin Angela Merkel (CDU), sie hätte sich „eine zweite Amtszeit gewünscht“. Sie respektiere aber die Entscheidung Gaucks und danke ihm für die bisherige Arbeit. CSU-Chef Horst Seehofer schloss sich den Worten an. SPD-Chef Sigmar Gabriel sagte, Gauck sei „ein Präsident des ganzen deutschen Volkes“, Grünen-Chef Cem Özdemir bekundete „großen Dank und Respekt“ , FDP-Chef Christian Lindner lobte, Gauck habe dem Land gutgetan. „Sein Eintreten für den Wert der Freiheit ist aktueller denn je“, sagte Lindner. Sie alle hatten Gauck seinerzeit gewählt.

Im Februar 2017 gilt es nun, einen Nachfolger für Gauck zu wählen. CDU-Vize Armin Laschet sagte, er hätte es begrüßt, wenn Gauck eine weitere Amtszeit als Präsident zur Verfügung gestanden hätte. Zugleich mahnte er, die Landtagswahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern im September abzuwarten „und uns danach mit der Frage zu beschäftigen, wen CDU und CSU gemeinsam als Kandidaten für die Nachfolge unterstützen“, sagte Laschet. Der Chef der Jungen Union, Paul Ziemiak, sagte über Gauck: „Er hat wichtige Akzente gesetzt, für die Freiheit, die offene Gesellschaft, für eine aktivere außenpolitische Rolle Deutschlands in Europa und der Welt.“ Einem Nachfolger stünde es gut an, „sich an Gaucks Weg zu orientieren“.

Der scheidende Bundespräsident stellt mit seinem Entschluss die Parteien vor Probleme. Zum einen hat keine eine Mehrheit in der Bundesversammlung, die von Abgeordneten des Bundestags sowie zu gleicher Zahl auch aus den Bundesländern bestellt wird. Somit wird jede Partei einen eigenen Kandidaten benennen müssen – oder es in einer Koalition versuchen.

Diese aber würde als ein Vorbote für die Bundestagswahl im September 2017 angesehen. Angesichts der sinkenden Umfragewerte der etablierten Parteien und des Erstarkens der AfD will indes jede Partei Festlegungen vermeiden – erst recht jetzt, wo die Bundestagswahl noch mehr als ein Jahr entfernt liegt.


Die Angst vor einem Signal

Im Präsidium der CDU sei der Rückzug Gaucks nur kurz besprochen worden, hieß es im Anschluss an die Sitzung, wie Teilnehmer berichteten. Alle seien sich aber darin einig gewesen, kein politisches Signal auszusenden, etwa für eine Neuauflage der Großen Koalition oder etwa ein schwarz-grünes Bündnis. CDU-Chefin und Kanzlerin Merkel erklärte daher, es würden jetzt „in aller Ruhe“ geeignete Entscheidungen getroffen. Dazu würden Gespräche zwischen CDU und CSU „und darüber hinaus“ geführt. CSU-Chef Seehofer erklärte ebenso: „Zu einem hektischen Übereifer besteht kein Anlass.“

Ähnliches verlautete aus der SPD. Man werde nun in Ruhe sehen, wer für das Amt infrage komme, hieß es. SPD-Chef Gabriel lehnte nach der Sitzung des Präsidiums Fragen ab, wie die Partei einen Kandidaten suchen werde. Die Linke hatte bereits vor einer Woche auf ihrem Parteitag SPD und Grüne aufgefordert, gemeinsam einen Kandidaten zu benennen. Am Montag erklärte Parteichefin Katja Kipping, sie setze sich für eine „Kandidatur im Zeichen von sozialer Gerechtigkeit und Weltoffenheit ein“. Eine derartige Festlegung auf eine Koalition meiden indes Grüne wie auch die Sozialdemokraten.

Dennoch werden bereits viele Kandidaten gehandelt. Unions-Innenexperte Wolfgang Bosbach etwa hatte bereits am Sonntag Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) ins Gespräch gebracht. In der Union gab es aber auch Stimmen, die Schäuble abrieten. So viel Freiheit und Macht wie derzeit werde der Politik-Veteran nie wieder haben. Daher sei es für ihn klug, sein Amt als Finanzminister weiter zu bekleiden, hieß es.

Daneben sind Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt sowie Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) im Gespräch. Womöglich könnte die FDP das Zünglein an der Waage sein: „Für uns zählt die Persönlichkeit, nicht die Parteizugehörigkeit“, erklärte Parteichef Lindner.

Nach den Rücktritten von Christian Wulff im Jahr 2012 und Horst Köhler 2010 habe der ehemalige Pastor Gauck dem Amt Würde, Respekt und Stimme zurückgegeben, hieß es am Montag vielfach. In der Flüchtlingskrise etwa fand er mahnende wie humane Worte. Auch äußerte er sich wegweisend zu Deutschlands gewachsener Verantwortung in der Welt, die es auch erforderlich machen könne, Soldaten einzusetzen.
Am Montag machte Gauck seinen Landsleuten Mut: „Wir haben gute Gründe, uns Zukunft zuzutrauen“, sagte er.

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