Lange beobachtete man in der Alten Welt das Entstehen und Erstarken der Tea-Party mit Kopfschütteln. Man war pikiert über die seltsame Hockey-Mom Sarah Palin genauso wie man nun über Donald Trump die Stirn runzelt. Zwischendrin haben die Republikaner durch ihr Nein zu neuen Schulden kurzzeitig die öffentliche Verwaltung lahm und über das Land einen bleiernen Schleier der politischen Ohnmacht gelegt.
Auch das konnten wir uns hierzulande nicht vorstellen, genauso wenig wie die Möglichkeit, dass ein Regierungssystem so an den Rand des Kollaps navigiert werden kann, wenn populistische Strömungen über es herfallen– und wenn politische Kandidaten das System, das sie groß gemacht hat und, von dem und in dem sie leben, als korrupt und erledigt brandmarken.
Jetzt können wir es uns vorstellen, nach den Ergebnissen dieser Landtagswahlen – und der unseligen Rolle, die die CSU in den Monaten zuvor gespielt hat. Wenn man verstehen will, wie man das hiesige demokratische System beinahe so effektiv aufs Kreuz legen kann wie Trump oder Palin in den USA, der musste in den vergangenen drei Monaten nur Parteichef Horst Seehofer und Ex-Ministerpräsident Edmund Stoiber beim Taktieren zuschauen.
Ihre CSU ist in Berlin an der Regierung beteiligt. Weil man aber verhindern wollte, dass rechts von den Christsozialen etwas wie die AfD in Bayern groß werden kann, hat man sich dazu entschieden, Russlands Präsident Wladimir Putin zu hofieren, Kanzlerin Angela Merkel mit leeren Drohungen vom Regieren abzuhalten und dabei so zu tun, als sei man überhaupt nicht an ebendieser Regierung beteiligt, der die Kanzlerin vorsteht. Das höhlt die demokratischen Institutionen aus. Stoiber und Seehofer haben so die AfD in Deutschland stark gemacht, niemand sonst. Das bleibt ihr historischer Unverdienst, eine Schmach für die Demokratie.
Die Bayern haben schon immer ihre Interessen als die wichtigsten unter dem weiß-blauen Himmel aufgefasst. Seehofer und Stoiber haben es daher bewusst in Kauf genommen, ja gewollt, dass die CDU in den westdeutschen Bundesländern baden geht. Indem die CDU-Kandidaten in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg, Julia Klöckner und Guido Wolf, auf diesen Anti-Merkel-Kurs aufgesprungen sind, sind sie in die Falle der gerissenen Bayern getappt: die Wähler haben dieses illoyale Verhalten nicht goutiert. Seehofer und Stoiber haben mit Klöckner auch noch ganz nebenbei eine Zukunftshoffnung der CDU filetiert, was ihrer Auffassung nach Platz macht für einen Hoffnungsträger aus ihren Reihen. Vielleicht spekuliert Seehofer ja doch noch heimlich auf die Kanzlerschaft, wer kann das schon sagen. die Lage ist unübersichtlich, denn der erratische CSU-Chef ist nicht erst seit heute Volkstribun, eine deutsche Version von Trump, sondern schon seit etlichen Jahren.
Konsens der gesellschaftlichen Mitte gibt es nicht mehr
Wenn eine regierende Partei Opposition spielt und zündelt, wirbelt sie das Parteien-System durcheinander und nun darf sich Deutschland im Reigen der zunehmend unregierbaren Länder willkommen heißen: in Frankreich geht nichts mehr, weil die demokratischen Parteien Angst haben, dass ihr Tun Madame LePen Wähler zuspielt.
In England geschieht nichts mehr, da der drohende Brexit die Regierung lähmt. Ungarn und Polen sind für Europa verloren und mit ihnen in ihrem Windschatten ziehen sie so sympathische Länder wie die Slowakei mit: Kein Muslim soll in das Land mehr immigrieren dürfen, ließ seine Regierung wissen. Keiner.
Das passt wiederum zu den USA, in die, wenn es nach Donald Trump gehen würde, auch kein Muslim mehr würde einreisen dürfen. Diese Forderung hat er noch einmal übertroffen mit der Ansage, als Präsident für zwei Jahre überhaupt gar keine Arbeitsvisa mehr ausstellen lassen zu wollen.
Die Republikaner schauen sich jetzt nach einer Alternative für Trump um, aber Ted Cruz, der glaubensstarke Tea-Party-Anhänger, ist nicht wirklich besser. Auch der Diskurs in den Medien wird nun in Deutschland ähnlich hart werden, wie er in den USA schon seit Jahren ist. Seehofer, Stoiber, Klöckner, Wolf: sie haben nicht um die bürgerliche Mitte gekämpft, sondern versucht, die AfD rechts zu überholen. Die Quittung folgte auf dem Fuße: Im Zweifel wählen die Wähler das Original und nicht die Kopie.
Wer hätte noch vor einem Jahr gedacht, dass die Geschicke der freien Welt einmal in Städten wie Stuttgart, Mainz oder Magdeburg entschieden würden? Das Erstarken der neuen rechtsextremistischen AfD wirbelt nicht nur die Parlamente durcheinander und verunmöglicht die als klassisch gelernten Konstellationen in den Landtagen. Sie wird die Polarisierung, die wir in Deutschland bislang nur aus dem Fernsehen, aus den USA und Frankreich, kannten, in unsere Wohnzimmer, in unsere Familienfeste, in die Kirchengemeinden tragen. Der Konsens der gesellschaftlichen Mitte ist perdu. Die schönen – ruhigen – Jahre sind vorbei.