CDU, CSU und SPD haben ihre GroKo-Sondierung am Dienstag unter Hochdruck fortgesetzt, wollen aber an ihrer Strategie festhalten, bis Donnerstag keine Zwischenergebnisse zu veröffentlichen. Die Fach-Arbeitsgruppen legten den Parteivorsitzenden dabei immer mehr Einigungen vor. CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer betonte am Dienstagabend aber, dass es sich nur um Zwischenergebnisse handele. "Nix ist fix", sagte er in einem abgestimmten Statement der drei Parteien nach stundenlangen Beratungen. Man nähere sich nun der Frage, wo die finanziellen Spielräume seien.
Nach einem Bericht des Redaktionsnetzwerkes Deutschland besteht aber grundsätzliche Einigkeit über ein Zuwanderungsgesetz für Fachkräfte. Bis 2025 werde der Investitionsbedarf der öffentlichen Hand zum Ausbau eines flächendeckenden Digitalnetzes mit Übertragungsraten im Gigabit-Bereich zudem auf zehn bis zwölf Milliarden Euro geschätzt. Zuvor hatte sich vor allem die SPD verärgert über den Bruch der vereinbarten Vertraulichkeit bei den Gesprächen geäußert.
Noch am Abend wurden die Teilergebnisse der großen Runde der drei Parteien mit je 13 Politikern vorgestellt. Kanzleramtsminister Peter Altmaier hatte am Nachmittag an die gemeinsame Verantwortung von CDU, CSU und SPD appelliert: Von einer Einigung hänge viel ab. "Aber das wird nur gelingen, wenn wir auch unseren Optimismus nicht verlieren", sagte der CDU-Politiker, der auch geschäftsführender Finanzminister ist. Notwendig sei auch die Erkenntnis, "dass wir uns zusammenraufen müssen, weil es die Menschen erwarten". Da müsse man bereit sein, in dem ein oder anderen Punkt Kompromisse einzugehen. Auch SPD-Chef Martin Schulz betonte: "Ich gehe davon aus, dass wir alle gemeinsam ein Interesse an einer konstruktiven Zusammenarbeit haben." CSU-Generalsekretär Scheuer sprach von einer guten Vertrauensgrundlage bei den Beratungen.
Die Beratungen wurden durch die Verärgerung der SPD überschattet, dass am Montag Teileinigungen etwa über die Aufgabe des Klimaschutzziels bis 2020 und das spätere Greifen des Spitzensteuersatzes erst ab Einkommen von mehr als 60.000 Euro bekanntgeworden waren. "Ich kann nur alle in der Union aufrufen, den Jamaika-Modus endgültig einzustellen", sagte die SPD-Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles. Damit spielte sie auf die vielen Informationen an, die bei den gescheiterten Jamaika-Sondierungen zwischen Union, FDP und Grünen durchsickerten. Unions-Fraktionschef Volker Kauder betonte aber, dass bisher nur "Zwischenergebnisse" erzielt worden seien.
Am Dienstag trugen etliche der 15 Fach-Arbeitsgruppen den Partei- und Fraktionsvorsitzenden ihre Ergebnisse vor. Die Union dringt auf die Fortsetzung der großen Koalition. Die SPD-Spitze hat aber von einem Parteitag nur ein Mandat für "ergebnisoffene" Gespräche bekommen. Am Freitag will die SPD-Führung deshalb entscheiden, ob sie die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen empfiehlt. Dafür müsste ein Sonderparteitag am 21. Januar grünes Licht geben.
Die SPD schlingert Richtung GroKo
Das hängt vor allem davon ab, ob Schulz genug herausholen kann in den Sondierungen in den ersten beiden Januarwochen, so dass er beim Sonderparteitag - wahrscheinlich am 14. Januar - das Ok der Basis für konkrete Koalitionsverhandlungen bekommt. Bisher sind nach Schätzungen in einzelnen SPD-Landesverbänden bis zu zwei Drittel der Delegierten gegen eine neue GroKo. Schulz will bei den Sondierungen mit der Union für einen „anderen Stil“ sorgen als bei den gescheiterten Jamaika-Verhandlungen von Union, FDP und Grünen. „Bei uns wird es keine Balkonbilder geben, auch kein Winken.“ Intensives Twittern von Zwischenständen will er auch unterbinden.
Merkel weiß, dass Schulz ein paar „Leuchtturmprojekte“ braucht, um den Parteitag zu überstehen. Und wenn es zum Koalitionsvertrag kommt, auch noch das abschließende Votum der rund 440 000 Mitglieder. Doch CDU und CSU wollen nur über eine große Koalition reden. Schulz dagegen will auch andere Modelle „ergebnisoffen“ verhandeln - wie eine von der SPD tolerierte Minderheitsregierung oder eine „Kooperationskoalition“, bei der die SPD zwar Minister in die Regierung schickt, aber nur bei Kernprojekten wie dem Haushalt und Auslandseinsätzen mit der Union kooperiert. Bei anderen Themen könnten sich beide Seiten hier auch mit anderen Parteien verbünden. Als Beispiel gilt die gegen die Union durchgesetzte „Ehe für alle“.
Gerade die Jusos sammeln Verbündete für ihre Kampagne #NoGroKo. Sie argwöhnen, die Parteispitze habe sich längst auf GroKo-Verhandlungen eingestellt und nähre nur noch die Illusion von anderen Optionen, um sie ruhigzustellen. Schulz hat in sein zwölfköpfiges Sondierungsteam auch den Landeschef der SPD in Nordrhein-Westfalen, Michael Groscheck, geholt. Im größten Landesverband, der fast ein Viertel der Delegierten bei dem Sonderparteitag stellt, gibt es große Ablehnung; hier wird eine Minderheitsregierung favorisiert. Hat Schulz zu wenig zu bieten, droht eine Ablehnung, dann wäre auch er als Parteichef kaum zu halten. Er argumentiert, dass die SPD auch dringend gebraucht wird, um Reformideen von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron für „mehr Europa“ zügig umzusetzen.
Zum Beispiel bei einem SPD-Herzensthema, dem Rückkehrrecht von Teilzeitbeschäftigten auf Vollzeitstellen, was vor allem hunderttausende Frauen betrifft. Ziel der Partei ist es, das Leben der Menschen zu verbessern, wieder Kümmerer-Partei zu werden. „Bei gutem Willen auf beiden Seiten halte ich das für lösbar“, sagte Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) dem „Spiegel“. Schon in der letzten Koalition sei das nur an der Frage gescheitert, ab welcher Betriebsgröße das Rückkehrrecht gelten soll. Interessant: Schulz redet auch nicht mehr über eine einheitliche Krankenkasse; viele in der SPD wollen die Flucht von Beamten und Besserverdienern in die private Versicherung stoppen. Hier könnte die Union der SPD mit Änderungen bei den Beiträgen für Arbeitnehmer entgegenkommen.
Nach der letzten GroKo landete die SPD bei der Bundestagswahl bei katastrophalen 20,5 Prozent. Seit dem rot-grünen Wahlsieg mit Gerhard Schröder 1998 hat die SPD zehn Millionen Wähler verloren. Die AfD sitzt der ältesten demokratischen Partei im Nacken. In Sachsen-Anhalt zum Beispiel lag die SPD bei der Landtagswahl bei 10,6 Prozent, die AfD bei 24,3 Prozent. Als ein Grund wird der Verlust von Profil in einer Koalition mit Merkels Union angesehen - und ein Verlust des Kontaktes zu den „kleinen Leuten“. Kaum jemand weiß, wofür die SPD heute steht - das Wahlprogramm war ein Sammelsurium vieler Vorschläge, ohne klare Idee für die Zukunft Deutschlands in Krisenzeiten. Viele Genossen fürchten auch, als Regierungspartei bleibe zu wenig Zeit für die nötige Erneuerung.
Natürlich Parteichef Schulz, dem aber nach seinem mehrfachen Nein zu einer großen Koalition Misstrauen entgegen schlägt. Wichtig dürfte sein, ob Groschek die NRW-SPD auf GroKo-Kurs bringt, und wie viel Überzeugungsarbeit die Bundestagsfraktionschefin Andrea Nahles im linken Flügel übernimmt. Eine gewichtige Rolle kommt aber auch dem neuen „Parteiliebling“ Malu Dreyer zu - sie wurde gerade erst mit famosen 97,5 Prozent zur neuen SPD-Vizechefin gewählt. Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin erinnert in ihrer Rolle an Hannelore Kraft 2013 vor der letzten GroKo: erst große Skeptikerin, die dann die Partei davon überzeugte, dass man es angesichts durchgesetzter Forderungen - wie 8,50 Euro Mindestlohn - machen müsse. Dreyer betont nun: „Man wird am Ende dann sehen, wie weit man mit den Inhalten kommt, darum geht es, was man bewegen kann in unserem Land. (...).“ Senkt sie am Ende den Daumen, dürfte es schwierig werden. Für Schulz beginnt die wohl schwierigste Weihnachtszeit in seiner politischen Karriere.
"Noch einige große Brocken vor uns"
Die Energie-Experten hatten der Chefrunde bereits am Montag ein Papier des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Armin Laschet (CDU) und dessen niedersächsischem Kollegen Stephan Weil (SPD) vorgetragen, das auf Zustimmung stieß. Kauder betonte aber: "Wir haben noch einige große Brocken vor uns." Dazu gehöre die Frage, "für was können wir wieviel Geld zur Verfügung stellen". Zu den großen Streitthemen gehören neben den Finanzen und der von der SPD geforderten Erhöhung des Spitzensteuersatzes auch die SPD-Forderung nach einer Bürgerversicherung, die Frage des Familiennachzuges von Flüchtlingen mit eingeschränktem Schutzstatus und die von der CSU gewünschte erneute Erhöhung der Mütterrente.
Verständigt hatte man sich am Sonntag nach Informationen aus Verhandlungskreisen bereits darauf, dass der zusätzliche finanzielle Spielraum einer neuen Regierung bis 2021 bei 45 Milliarden Euro liegt. Zudem ist man sich nach Angaben aus Verhandlungskreisen einig, dass der Spitzensteuersatz von 42 Prozent künftig erst ab 60.000 Euro Einkommen greifen soll.
Nachdem die Grünen am Montag die Aufgabe des Klimaschutzziels 2020 kritisiert hatten, kam am Dienstag Kritik auch von der FDP: "Es ist wirklich ein Treppenwitz der Geschichte, dass die Union, vereint mit den Grünen, uns das verwehrt hat, was sie den Sozialdemokraten jetzt innerhalb weniger Stunden auf dem Silbertablett serviert", sagte Parteivize Wolfgang Kubicki der Nachrichtenagentur Reuters. In den Jamaika-Verhandlungen hatten die Liberalen gefordert, die Klimaziele 2020 wegen der Versorgungssicherheit und der Wettbewerbsfähigkeit aufzugeben. CSU-Generalsekretär Scheuer wies die Kritik mit dem Hinweis zurück, dass es jetzt nicht darum gehe, Zwischenstände zu bewerten.