Internationale Reaktionen zu München Verunsicherung in Europa

„Solidarisch, bewegt und erschüttert“: Die europäischen Nachbarn sind schockiert und fassungslos vom Amoklauf in München. Manche hatten diese Tat in Deutschland für kaum möglich gehalten. Die internationalen Reaktionen.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Viele europäische Nachbarn kennen diese Sicherheitslagen, doch in Deutschland hatten es manche nicht erwartet. Quelle: AP

Der Amoklauf in München ist nicht nur in Deutschland das alles bestimmende Thema. Die europäischen Nachbarn sind schockiert und nehmen Anteil an der Trauer in der bayerischen Landeshauptstadt. Einige Politikern legten sich etwas vorschnell aus einen Terroranschlag fest. Doch gerade in Frankreich ist das nach den frischen Erinnerungen an die Toten von Nizza nachvollziehbar. Die gesammelten Eindrücke der Handelsblatt-Korrespondenten.

In Frankreich wird ausführlich über die Entwicklungen in München berichtet. Alle Medien sind voll von Artikeln. Seit gestern Nachmittag gab es Livestreams und Liveberichte in den Radios. Obwohl noch niemand die Hintergründe kennt, gibt es schon politische Reaktionen. Staatspräsident Hollande hat schon in der Nacht ein Kommuniqué veröffentlicht. „Der Terroranschlag von München, der zahlreiche Opfer gefordert hat, ist ein neuer scheußlicher Akt, der Grauen in Deutschland verbreiten soll, wie zuvor in anderen europäischen Ländern. Deutschland wird dem entgegentreten. Es kann auf die Freundschaft und Zusammenarbeit Frankreichs zählen. Der Präsident der Republik drückt dem deutschen Volk seine Sympathie und Unterstützung aus in diesen schweren Stunden. Er hat der Kanzlerin schon in den ersten Stunden eine persönliche Botschaft geschickt. Am Samstag morgen wird er sich mit ihr unterhalten.“

Premier Valls erklärt: „Wir sind bewegt und völlig solidarisch mit unseren deutschen Freunden.“ Nicolas Sarkozy sprach auch schon von einem Terrorakt: „Wir sind sehr bewegt angesichts des gewaltsamen Terroranschlag, der München und das deutsche Volk trifft. Wir stehen an der Seite unserer deutschen Freunde.“

Thomas Hanke, Paris

Der britische Außenminister Boris Johnson hat sich „zutiefst schockiert“ und „traurig“ über die tödlichen Schüsse in München geäußert. Johnson reagierte mit einem Tweet auf den Anschlag, der sich im Olympiaeinkaufszentrum in München ereignete. „Meine Gedanken sind bei den Opfern, deren Liebsten und ganz Deutschland zu dieser Zeit“, schrieb Johnson.

Carsten Herz, London


Schweden hält sich zurück, Anteilnahme in Asien

Die beiden größten schwedischen Tageszeitungen „Dagens Nyheter“ und „Svenska Dagbladet“ titeln mit dem Attentat in München. „Todesschüsse erschüttern München“ schreibt „Svenska Dagbladet“. Die Zeitung berichtete über in München lebende Schweden und deren Verunsicherung am Freitagabend. Auch „Dagens Nyheter“ schickte einen Reporter nach München, der über das Attentat berichtete.

Von politischer Seite gab es am Samstag keine Kommentare zu den Vorkommnissen in der bayerischen Landeshauptstadt. Ein Sprecher des schwedischen Außenministeriums forderte seine Landsleute in Deutschland auf, die Anweisungen und Empfehlungen der deutschen Sicherheitskräfte zu befolgen. Die Reiseempfehlungen für Deutschland wurden nicht geändert.

Die schwedische Sicherheitspolizei Säpo verfolgt nach eigenen Angaben die Lage in München. „Wir stehen in Kontakt mit den Sicherheitsbehörden in anderen Ländern“, sagte ein Säpo-Sprecher. Eine Neubewertung der Sicherheitslage in Schweden habe es nach dem Attentat in München nicht gegeben, erklärte er.

Helmut Steuer, Stockholm


„Wir laufen Gefahr abzustumpfen “

In Asien schliefen die meisten Menschen, als sich der Angriff in München ereignete. Zum dritten Mal in nur anderthalb Wochen wurde der Kontinent beim Aufwachen mit verheerenden Nachrichten aus Europa konfrontiert.

„Wir haben so viele brutale Terroranschläge in den vergangenen Monaten gesehen“, schrieb Singapurs Ministerpräsident Lee Hsien Loong auf Facebook. „Wir laufen Gefahr abzustumpfen und müssen uns jedes Mal die schreckliche menschliche Tragödie vor Augen führen.“ Seine Gedanken seien mit den Menschen in Deutschland. Den Familien der Opfer sprach er sein Beileid aus.

Singapurs Regierung warnt regelmäßig davor, dass auch die südostasiatische Finanzmetropole zum Terrorziel werden könnte. Erst am Freitag kündigte sie an, sich mit Hilfe jener Staaten, die bereits einen Terroranschlag erlitten haben, auf das Szenario vorzubereiten. „Wir müssen verstehen wie die Anschläge abgelaufen sind und mit welcher Taktik darauf reagiert wurde“, sagte Innenminister Kasiviswanathan Shanmugam. „Unsere Behörden arbeiten mit anderen Ländern, um die besten Lösungen ins Land zu bringen.“

Auch Indiens Premierminister Narendra Modi zeigte sich nach dem Angriff in München schockiert: „Wir sind entsetzt über den schrecklichen Vorfall“, schrieb er auf Twitter. Seine Gedanken und Gebete seien mit den Opfern. Auch für ihn drohen die Social-Media-Kondolenzschreiben alltäglich zu werden: Allein im vergangenen Monat musste Modi ähnlich lautende Tweets bereits zu Anschlägen in Istanbul, Kabul, Dhaka und Nizza versenden.

Mathias Peer aus Bangkok


Türken rechneten mit IS-Terror

„Wirklich, in Deutschland?“, fragt mich ein Freund. Handelsblatt-Korrespondent Ozan Demircan sitzt mit acht türkischen in einem Bus in Istanbul als die ersten Nachrichten über einen möglichen Angreifer in München über den Ticker gehen. Der erste Gedanke aller: Das muss der IS sein.

Sie fahren in den Stadtteil Besiktas, der Freitags zur ewiggroßen Ausgehmeile wird. Der Bus steht über eine Dreiviertel Stunde im Stau. Fast niemand spricht; alle schauen in ihre Nachrichten-Apps und verfolgen über Twitter, wie es weitergeht. Als klar wird, dass es sich nicht unbedingt um einen islamistischen Anschlag handeln könnte, herrscht Fassungslosigkeit unter Demircans Freunden – darunter Journalisten, ein Ingenieur, eine Historikerin und eine Studentin, die gerade eigentlich in den USA lebt. „Ich dachte, so etwas gäbe es nur in der Türkei oder den Vereinigten Staaten“, sagt sie. „Jetzt also auch bei euch.“

Das bedrückte Schweigen hält noch eine Weile an. Doch als der Bus die Haltestelle am Fähranleger von Besiktas erreicht, scheinen sich die Sorgen aller wieder in Luft aufzulösen. Der Amoklauf ist kein Thema mehr. Als eine Freundin Demircan später dabei 'erwischt', wie er auf dem Handy die aktuellen Nachrichten lese, ermahnt sie ihn: „Wenn wir uns hier bei jedem Anschlag so verrückt machen würden wie du, würden wir ja eingehen.“

Einer aus unserer Gruppe verabschiedet sich plötzlich. Er arbeitet für das Auslandsressort einer Zeitung. Die Kollegen hätten ihn zurückbeordert. „Wir müssen wegen des Anschlags komplett umplanen“, begründet er seinen vorzeitigen Abschied. Am Samstagmorgen sind die Zeitungen voll mit Spekulationen über den mutmaßlichen Attentäter. In wessen Auftrag er gehandelt haben möge, warum die deutsche Polizei angeblich versagt habe, und so weiter. Die Nachrichtenkanäle Haken das Thema wiederum schnell ab. Bereits am Mittag dreht sich wieder fast alles um ein Thema: der gescheiterte Putsch im eigenen Land und dessen Folgen.

Ozan Demircan, Istanbul


Spanien stellt Sicherheit in Europa in Frage

In Spanien beherrscht die Schießerei in München die Titelseiten. Die großen Tages- und Online-Zeitungen bringen Schwerpunkte mit dem Video des Attentats, Grafiken vom Münchener Olympiazentrum. Die meisten Zeitungen halten sich allerdings mit Kommentaren zurück – vermutlich, weil die Hintergründe der Tat noch nicht klar sind.

Die angesehene spanische Tageszeitung El País allerdings veröffentlicht einen Leitartikel zur Sicherheit in Europa nach den jüngsten Attentaten sowie eine politische Analyse zur Attacke von München. Tenor dabei ist, dass Bayern, wo in einer Woche gleich zwei Attentate stattfanden, einen symbolischen Wert in der Flüchtlingspolitik darstelle. So sei im vergangenen Jahr in dem Bundesland die Mehrheit der Flüchtlinge angekommen und Ministerpräsident Horst Seehofer einer der härtesten Kritiker von Merkels Flüchtlingspolitik, erklärt das Blatt seinen Lesern. Falls sich ein islamistischer Hintergrund der Schießerei bestätige, würde das den Rechtsradikalen bei den Wahlen im kommenden Jahr Auftrieb geben.

Auch in Portugal ist das Thema der Aufmacher in den Zeitungen. Die portugiesische Tageszeitung Publico erklärt in einem Leitartikel, dass es den Sicherheitskräften in den vergangenen Jahren zwar gelungen ist, viele Attentate zu verhindern. Der Angriff von München zeige allerdings, dass es keine absolute Sicherheit gibt. Die deutsche Polizei habe die komplette Stadt abgeriegelt und reagiert, als befände sie sich im Krieg. Und das sind sie Sicherheitskräfte in der Tat, denn sie wissen nicht, wo sich ihre Feinde befinden. Gerade diese Verwundbarkeit sei das größte Kapital der Terroristen.

Sandra Louven, Madrid

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%