Konsequenz aus Berlin-Anschlag Muss Merkel weg?

Kanzlerin Merkel muss nach dem verheerenden Anschlag in Berlin viel Kritik wegen ihrer Flüchtlingspolitik einstecken. Was wir vom großen Politikerklärer Max Weber lernen können, um die Debatte zu verstehen.

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"Kampf gegen Terror ist auch ein Kampf für Freiheit"
Frank-Walter Steinmeier Quelle: REUTERS
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In erhitzten Zeiten wie diesen sollte man Texten eine Einschränkung vorwegstellen, wenn schon die meisten Politiker bei ihren Statements (absichtlich?) auf eine solche verzichten. Die Debatte über die politischen Folgen des Attentats von Berlin beruht auf zwei Annahmen. Erstens, dass es sich um islamistischen Terror handelt. Und zweitens, dass der oder die Täter die deutsche Flüchtlingspolitik genutzt haben, um möglichst spurlos ins Land zu kommen.

Auf dieser, und nur auf dieser, Grundlage lässt sich überhaupt darüber streiten, ob Angela Merkel wegen ihrer Flüchtlingspolitik des Sommers 2015 politische Verantwortung für das Verbrechen von Berlin zu übernehmen hat. Ja, beide Annahmen dürfen nach der gegenwärtigen Faktenlage als sehr wahrscheinlich gelten, weswegen die Debatte geführt werden kann. Aber man sollte wenigstens – und sei es nur zum Zwecke einer gewissen gedanklichen Runterkühlung – daran erinnern, dass all dies hinfällig wäre, würde sich im Laufe der Ermittlungen ein ganz anderer Tathergang erweisen.

Also, für hier und heute: Ist die Kanzlerin politisch verantwortlich?

Große Terroranschläge in Europa

Für solche Fragen gibt es ein kanonisches Werk, Max Webers „Politik als Beruf“ von 1919. In dieser berühmten Rede, ursprünglich von Münchner Studenten in Schwabing gehalten, entwirft der berühmte Soziologe seine Unterscheidung zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik.

Gesinnungsethisch handelt, wer sein Tun nur von seinen guten Absichten her bewerten lassen will. Ich habe das Beste gewollt, aber für die Folgen meines Wollens kann ich nichts. Der Verantwortungsethiker hingegen lässt sich für die Wirkungen und Nach- und Weiterwirkungen seiner Entscheidungen in Haftung nehmen. Ich habe das Beste gewollt, es ist gescheitert, ich trete zurück.

Womöglich lässt sich die ganze Debatte um Angela Merkel auf diesen Kern bringen: Dass ihre Kritiker nicht akzeptieren wollen, dass sie zur Verteidigung ihrer Flüchtlingspolitik unverdrossen gesinnungsethisch argumentiert, wo sie in deren Augen doch einfach ihren Hut nehmen sollte.

„Merkel muss weg“ – das ist bei aller rüden Plattheit eben ein verantwortungsethisches Argument. Alle Forderungen nach Korrekturen und Kurswechseln sind nur die etwas subtileren Ableger.

Schwierigste Tage von Merkels ganzer Kanzlerschaft

„Wenn die Folgen einer aus reiner Gesinnung fließenden Handlung übel sind, so gilt ihm nicht der Handelnde, sondern die Welt dafür verantwortlich, die Dummheit der anderen Menschen oder – der Wille des Gottes, der sie so schuf“, schreibt Weber.

Die Kanzlerin würde wohl sagen: Genau. Eine humanitäre Tat bleibt eine richtige Tat, selbst wenn daraus von anderen etwas Böses, Grausames geschaffen werden kann.

Und nochmal Weber: „Der Verantwortungsethiker dagegen rechnet mit eben jenen durchschnittlichen Defekten der Menschen, –  er hat (…) gar kein Recht, ihre Güte und Vollkommenheit vorauszusetzen.“ Horst Seehofer würde sagen: Genau deshalb hätten wir niemals Hunderttausende weitgehend ungeprüft ins Land lassen dürfen. Argumente, die mit „Es hätte doch keiner ahnen können, dass…“ beginnen, lässt der Ethiker der Verantwortung niemals gelten.

Nun war Max Weber viel zu schlau und zu beschlagen, als dass er jemals für eine Seite Partei ergriffen hätte. Ganz entschieden hält er beide Prinzipien für erlaubt und geboten. Es ist zwar unüberlesbar, dass Weber die größere Achtung vor der Verantwortungsethik hat – aber vor allem deshalb, weil er hinter neun von zehn Gesinnungspolitikern – so wörtlich – „Windbeutel“ vermutet, Menschen, die „nicht real fühlen, was sie auf sich nehmen, sondern sich an romantischen Sensationen berauschen“.

Vielleicht liegt am Ende hier die Erklärung, warum Angela Merkel in diesen schwierigsten Tagen und Monaten ihrer ganzen Kanzlerschaft politisch doch überleben kann: Weil „Windbeutel“ das letzte ist, was man mit ihr Verbindung bringt. Nicht einmal ihre ärgsten Kritiker.

WirtschaftsWoche-Redakteure Gregor Peter Schmitz und Christian Schlesiger befassten sich in einem Facebook-Livetalk am Mittwoch ebenfalls mit Merkels Rolle. Das Video gibt es hier:




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