Liberalismus Was Freiheit heute braucht

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Formuliert hat sie John Locke (1690): "Obwohl die Erde... allen Menschen gemeinsam gehört, so hat doch jeder Mensch ein Eigentum an seiner Person. Auf diese hat niemand ein Recht als nur er allein. Die Arbeit seines Körpers und das Werk seiner Hände sind... im eigentlichen Sinn sein Eigentum." So weit, so gut. Doch dann geht es weiter: "Was immer er also dem Zustand entrückt, den die Natur vorgesehen und in dem sie es belassen hat", ist also "das unbestreitbare Eigentum des Arbeiters" und "niemand außer ihm" hat ein Recht darauf – solange "ebenso gutes den anderen gemeinsam verbleibt".

Lockes Eigentumsbegriff ist in mehrfacher Hinsicht problematisch. Er erzählt noch nichts von einem lohnabhängigen Proletariat, das kein Eigentum am Ertrag seiner Arbeit hat. Er rechtfertigt allein die Erstaneignung, also die persönliche Inbesitznahme – und sagt nichts über die Vererbung von Eigentum.

Vor allem geht Locke – 160 Jahre bevor die „frontier“ in der Neuen Welt den Mississippi erreicht – von unbegrenzten Ressourcen aus, von Ländereien, die im Überfluss vorhanden sind und nur darauf warten, vom Menschen Untertan gemacht zu werden. Davon kann heute keine Rede mehr sein – und der Wirtschaftsliberalismus hat lange Zeit nicht ansatzweise durchblicken lassen, dass er auf die brennende Frage der Nutzung endlicher oder gefährdeter Gemeingüter (Wald, Klima, Wasser, Öl) eine Antwort weiß.

Freiheit schult Verstand und Wachsamkeit

Erst seit auch Asien Besitzansprüche anmeldet und beherzt auf Rohstoffe zugreift, reift rund um den Globus die Einsicht, die Erde selbst sei der „Menschheit“ Eigentum, also auch derer, die sie von der Gegenwartsgeneration erben.

Der "Signalapparat" der Marktwirtschaft leistet dabei wertvolle Unterstützungsarbeit: Die zunehmend knappen Ressourcen verteuern sich. Und auch der besitzindividualistisch trivialisierte Eigentumsbegriff der Liberalen kommt langsam wieder zu sich: Das ihm innewohnende Prinzip der Sorge und Verantwortung wird rehabilitiert.

Segensreiche Folgen hat das vor allem für den Freiheitsbegriff der Liberalen. Seine klassische Definition stammt von John Stuart Mill (1859) und lautet: "Dass der einzige Zweck, um dessentwillen man Zwang gegen den Willen eines Mitglieds einer zivilisierten Gemeinschaft rechtmäßig ausüben darf, der ist: die Schädigung anderer zu verhüten."

Mill war bestrebt, jeder noch so wohlgemeinten Fürsorge einer Regierung möglichst enge Grenzen zu setzen. Er fürchtete um die Freiheitsfähigkeit mündiger Bürger im Schoße eines Nanny-Staates und den Verlust ihrer Tugendhaftigkeit, weil er bezweifelte, "dass mit kleinen Menschen... große Dinge vollbracht werden können". Freiheit, so Mill, bestehe ganz einfach darin, zu tun, was man wolle. Solange zum Beispiel jeder wisse, dass eine Brücke unsicher sei, sei niemand daran zu hindern, sie dennoch zu betreten – im Gegenteil: Erst die Freiheit, das Wagnis einzugehen oder nicht, schärfe den Verstand und erhalte die Wachsamkeit.

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