Sie haben schon viel gestritten über den Nürburgring, doch als sie den politischen Bankrott der rheinland-pfälzischen Politik in Sachen Rennstrecke verkündeten, saßen sie einträchtig nebeneinander und verschossen Giftpfeile in eine ganz andere Richtung – nach Brüssel. Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) bestätigte im Beisein von drei Ministern, dass die weitgehend landeseigene Nürburgring GmbH Insolvenz anmeldet, und den Sündenbock präsentierte er gleich mit: Die EU-Kommission. „Es ist eine bittere Wahrheit, dass durch das Nicht-Handeln der Kommission irreversible Tatsachen geschaffen werden“, keilte der Ministerpräsident. „Das werden wir nicht so stehen lassen.“
Beck, seine Stellvertreterin und Wirtschaftsministerin Eveline Lemke (Grüne), Innenminister Roger Lewentz (SPD) und Finanzminister Carsten Kühl (SPD) hatten einen gemeinsamen Feind gefunden. Denn eigentlich wollte die Landesregierung die hoch verschuldete Nürburgring GmbH mit weiteren Millionen aus dem Landeshaushalt retten. Die Kommission teilte allerdings in einem Schreiben nach Mainz mit, dass sie die Rettungsbeihilfen nicht erlauben will. Eine endgültige Entscheidung hat sie noch nicht getroffen. Doch der Nürburgring GmbH fehlt es sowohl an Geld als auch an Zeit – und deshalb, so die Mainzer Lesart, ist die EU-Kommission Schuld daran, dass die Nürburgring GmbH Insolvenz anmelden muss, weil sie noch nicht abschließend entschieden hat. Lemke echauffierte sich darüber, dass die EU-Kommission spanische Banken mit einer Beihilfe von 100 Milliarden rettet, aber vergleichsweise kleine Summen für den Nürburgring nicht erlaubt.
Die Probleme am Ring jedoch sind hausgemacht. Es sind nicht die Illusionen und Fantastereien der Kommission, die die Nürburgring GmbH in den Abgrund gestürzt haben. Brüssel erzwingt nun einen Schnitt – die katastrophale Situation an der Rennstrecke aber haben Beck und seine Regierung selbst zu verantworten. Nur: Die Verantwortung übernimmt niemand. Als ein Journalist fragte, ob die Kommission zum Sündenbock gemacht werden solle, antwortete Lemke: „Ihre Frage impliziert, dass wir, dass die Landesregierung Fehler gemacht hat. Wir haben keine Fehler gemacht!“
Während alle die Verantwortung weit von sich weisen und am liebsten nach Brüssel schieben, ist bereits klar, wer die Zeche zahlt für die aberwitzigen Pläne in der Eifel: Der rheinland-pfälzische Steuerzahler. Das Land will eine 254 Millionen Euro umfassende Haushaltsrücklage aktivieren, um den Löwenanteil der 330 Millionen Euro teuren Neubauten mit Freizeitpark, Hotels und Veranstaltungshallen zu bezahlen. Weitere Rücklagen in Höhe von 40 Millionen Euro seien vorhanden, der Rest soll aus dem laufenden Haushalt aufgebracht werden. Dass Beck bisher stets betont hatte, am Nürburgring werde kein Steuergeld investiert? Geschenkt. „Was ich früher zu Steuermitteln gesagt habe bezog sich immer auf den Stand der Informationen, die ich begründet vorgetragen habe“, ließ der seit 18 Jahren amtierende Regierungschef lapidar wissen.
"Es wird kein Dritter Schaden haben"
330 Millionen Euro kosteten alleine die Neubauten, zusätzlich hat das Land aus dem Haushalt jahrelang Gesellschafterdarlehen in die Nürburgring GmbH gesteckt. 83 Millionen stehen aktuell noch in den Büchern, fast 30 Millionen wurden vor ein paar Jahren in Eigenkapital umgewandelt, weil die Nürburgring GmbH die Darlehen nicht zurückzahlen konnte. Mit dem Geld wurden unter anderem die Verluste aus den Formel 1-Rennen finanziert. Denn Bernie Ecclestone verlangt Millionen von den Ausrichtern, damit der Rennzirkus Station bei ihnen macht.
Mit dem Neubau von Hotels, einer Achterbahn (sie bis heute freilich nicht funktioniert), einem Rennsport-Museum, überdachtem Shopping-Boulevard und verschiedenen Räumen für Veranstaltungen wollte die Nürburgring GmbH unabhängiger vom Renngeschäft werden, die Erlöse daraus sollten die Formel 1-Verluste auffangen. Die Regierung glaubte an die Pläne des früheren Ring-Geschäftsführers Walter Kafitz und gab grünes Licht für die teuren Bauten, als eine Privatfinanzierung scheiterte, legte das Land das Geld selbst auf den Tisch - per Kreditauftrag an die landeseigene Investitions- und Strukturbank (ISB), das Land verbürgte den Kredit. Die Bauten allerdings sind überdimensioniert, mit Baumängeln behaftet und produzieren nichts weiter als neue Verluste. Nach der Verschuldungsbilanz, die das Land im Antrag für Rettungsbeihilfen nach Brüssel geschickt hat, sind bislang 430 Millionen Euro minus aufgelaufen.
Land will Umstrukturierung unterstützen
Der Wert der Nürburgring GmbH dagegen wird auf nur noch 126 Millionen Euro taxiert. Strukturhilfe à la Beck. Auch am Mittwoch verteidigte er noch einmal die Investitionen: „Ziel der rheinland-pfälzischen Landesregierung war es, Impulse dür die Wirtschaft zu setzen, Arbeitsplätze zu erhalten und neue zu schaffen.“
Mit den dabei geschaffenen Problemen wird sich nun ein Insolvenzverwalter abplagen dürfen. Das rheinland-pfälzische Kabinett beschloss am Mittwoch, dass das Land – ihm gehören 90 Prozent der Nürburgring GmbH, zehn Prozent gehören dem Landkreis Ahrweiler – eine Gesellschafterversammlung noch am heutigen Nachmittag einberufen hat. Auch der Aufsichtsrat wird heute Nachmittag tagen. Anschließend sollen die Geschäftsführer Gerd Weisel und Hans-Joachim Koch den Insolvenzantrag stellen.
Beck sicherte zu, dass das Land die Umstrukturierung unterstützen will. „Alles, was normale Rechnungen sind, wird beglichen. Es wird also kein Dritter einen Schaden haben“, sagte der Ministerpräsident. Hauptgläubiger der Nürburgring GmbH ist ohnehin das Land selbst.
Offene Zukunft
Wie es an der Strecke weiter geht, ist in vieler Hinsicht offen. Sicher ist, dass die EU-Kommission eine Privatisierung der Hotels und Freizeitanlagen verlangt. Ob auch die Strecken – die legendäre Nordschleife und die Grand-Prix-Strecke – verkauft werden müssen, ist offenbar noch nicht klar. „Da kann man sich eine Menge vorstellen, aber ich will jetzt nicht darüber spekulieren“, sagte Beck. Wenn ein Insolvenzverwalter Erlöse haben will, sind allerdings die für sich genommen profitablen Rennstrecken am ehesten zu Geld zu machen.
Wie der Betrieb der Strecke weiter organisiert wird, ist Sache des Insolvenzverwalters. Im seit Monaten andauernden Streit um ausstehende Pacht mit den privaten Betreibern der Strecke – der Nürburgring Automotive GmbH der Düsseldorfer Lindner-Hotelgruppe und des Düsseldorfer Projektentwicklers Kai Richter – ist laut Innenminister Roger Lewentz eine unterschriftsreife Vereinbarung gefunden worden. Sie konnte nur mangels Zustimmung aus Brüssel noch nicht unterzeichnet werden, teilte die Regierung mit. Dem Insolvenzverwalter stehe es allerdings frei, ob er die ausgehandelte Vereinbarung aufgreift oder nicht.
Offen ist derzeit auch die Zukunft von diversen Rennveranstaltungen auf dem Nürburgring. Unter anderem ist der Vertrag für das prestigeträchtige 24-Stunden-Rennen ausgelaufen, dass der ADAC veranstaltet. Man sei zuversichtlich, die Veranstaltungen auf dem Ring halten zu können, hieß es in Mainz – neben Rennen auch das Musikfestival „Rock am Ring“. Innenminister Lewentz äußerte sogar die Hoffnung, dass auch die Formel 1 eine Zukunft auf dem Nürburgring haben könnte. Mehr als ein paar wolkige Floskeln hatte er aber nicht dabei. Bernie Ecclestone habe ihm in einem Telefonat gesagt, er sei sehr daran interessiert, weiter auf dem Nürburgring zu fahren, teilte Lewentz mit. Ein konkretes Angebot von Ecclestone konnte er jedoch nicht übermitteln.
Bisher wechselte der Große Preis von Deutschland jährlich zwischen dem Nürburgring und dem Hockenheimring. Am kommenden Sonntag findet das nächste Rennen auf dem Hockenheimring statt. Doch während die badische Rennstrecke noch einen Vertrag für die Rennen 2014, 2016 und 2018 hat, war der Grand Prix 2011 der letzte nach den bisherigen Verträgen auf dem Nürburgring. In Hockenheim gibt es inzwischen Überlegungen, das Rennen nach der Nürburgring-Insolvenz wieder jährlich auszurichten.
Die Landesregierung könnte freilich auch nichts dafür, wenn das F1-Rennen abwandern würde. Stattdessen merkte Beck süffisant an, man überlege sich politische Strategien, da ja die meisten Rennstrecken in Europa in öffentlichem Besitz seien. Da könne die EU-Kommission doch nicht mit zweierlei Maß messen…