Bei seinem ersten Presseauftritt als geschäftsführender Bundesfinanzminister in Berlin hat Peter Altmaier ganz in der Tradition von Wolfgang Schäuble vor Mehrausgaben trotz sprudelnder Steuereinnahmen gewarnt. Zwar ermittelten die amtlichen Steuerschätzer von Bund, Ländern und Wissenschaft in ihrer zweieinhalbtägigen Klausur in Braunschweig, dass allein der Bund von 2018 bis 2021 noch mal 15 Milliarden Euro mehr einnehmen dürfte als bereits im Mai prognostiziert. Zusammen mit den bisher eingeplanten Finanzreserven von 14,8 Milliarden stünde damit für die neue Legislaturperiode ein Gestaltungsspielraum von knapp 30 Milliarden zur Verfügung.
Altmaier hantiert mit den Zahlen vorsichtig, als wären sie pures Nitroglyzerin, und versucht den Spielraum kleinzureden. Denn die Zahlen der Steuerschätzer sind diesmal wichtiger denn je – ja hochpolitisch. Von der amtlichen Einschätzung über die künftige finanzielle Einnahmenentwicklung hängt ab, in welchem Maße CDU, CSU, FDP und Grüne ihre Wünsche in den zu verhandelnden Koalitionsvertrag hineinschreiben dürfen.
Insgesamt sollen sich die Forderungen der Jamaika-Verhandler auf rund 100 Milliarden Euro addieren. Da sich fast alle Verhandler einig sind, die schwarze Null eines ausgeglichenen Bundeshaushalts weiter in Ehren zu halten, schränkt dies den Verteilungsspielraum beträchtlich ein.
Und Altmaier bemüht sich an diesem Donnerstag im Bundesfinanzministerium nach Kräften: „Die Lage ist gut und hat sich ein Stück verbessert, aber die Bäume wachsen nicht in den Himmel“, sagt der hauptberufliche Kanzleramtsminister im Finanzministerium gleich mehrfach. Ihm graut offensichtlich davor, mit vollen Taschen zurück in die Parlamentarische Gesellschaft ein paar hundert Meter weiter nördlich zu fahren, wo die Jamaikaner noch immer in Sondierungsgesprächen verharren.
Gerade die FDP fordert eine ehrliche Betrachtung der finanziellen Lage und Spielräume. Für sie ist eine Steuerentlastung von besonderer, ja existenzieller Bedeutung, nachdem sie vor vier Jahren wegen nicht eingelöster Wahlversprechen aus den Bundestag gewählt worden waren.
Liberale wie FDP-Urgestein Hermann Otto Solms fordern daher einen Kassensturz sowie eine Überprüfung von kostenintensiven Maßnahmen aus der vorherigen Legislaturperiode. Kopfschüttelnd müssen sie zur Kenntnis nehmen, dass auf der einen Seite die Steuereinnahmen allein für den Bund in den Jahren 2018 bis 2021 um fast 200 Milliarden Euro gegenüber der vorherigen Legislaturperiode steigen dürften, auf der anderen Seite soll aber nur ein finanzieller Spielraum für die künftige Regierung von insgesamt 30 Milliarden Euro bestehen soll.
Soli und Subventionen: Kernpunkte der Jamaika-Haushaltssondierungen
Die Jamaika-Unterhändler bekennen sich grundsätzlich zum ausgeglichenen Haushalt. Sie wollen also keine neuen Schulden aufnehmen. Das wäre ohnehin schwierig, weil die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse dem Bund seit 2016 die Aufnahme von Krediten weitgehend verwehrt. Nur in geringem Umfang von 0,35 Prozent der Wirtschaftsleistung sind neue Schulden erlaubt. Bezogen auf das Bruttoninlandsprodukt 2016 entsprach das etwa 10,97 Milliarden Euro. Für „Naturkatastrophen oder außergewöhnliche Notsituationen“ ist ausnahmsweise auch eine höhere Schuldenaufnahme erlaubt, für die aber ein Tilgungsplan erstellt werden muss.
Die potenziellen Koalitionäre wollen keine neuen Substanzsteuern, schließen also die im Grünen-Wahlprogramm geforderte Vermögenssteuer aus. Für Union und FDP ist sie ein rotes Tuch. Auch eine Erhöhung der Erbschaftsteuer wäre wohl unwahrscheinlich. Andere Substanzsteuern wie etwa die Grundsteuer auf Grundstücke erhebt der Staat schon heute.
Hier sollen unter anderem Familien mit Kindern profitieren.
Die verhandelnden Parteien wollen den „Soli“ abbauen. Die FDP will ihn in der aktuellen Wahlperiode komplett abschaffen, und zwar möglichst schnell. Die Union will stufenweise vorgehen. Die Grünen halten das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts ohne den Soli hingegen nicht für machbar. Die Abschaffung würde eine Lücke in den Staatshaushalt reißen: Der Solidaritätszuschlag spülte 2016 insgesamt 16,9 Milliarden Euro in die Staatskasse.
Gebäude verursachen in Deutschland etwa 35 Prozent des Energieverbrauchs und 30 Prozent des Ausstoßes des Treibhausgases CO2. Investitionen zum Beispiel in eine bessere Wärmedämmung oder in moderne Heizkessel könnten in Zukunft besser von der Steuer abgesetzt werden.
Hier wollen die möglichen Jamaika-Partner den Mangel an Mietwohnungen angehen. Investoren könnten dann etwa ihre Kosten teilweise steuerlich absetzen. Auch landwirtschaftliche Flächen sollen dazu für den Wohnungsbau freigegeben werden.
Vor allem Unternehmen sollen die Anschaffungskosten für bewegliche Wirtschaftsgüter wie Maschinen oder Fahrzeuge stärker von der Steuer absetzen können. „Degressiv“ bedeutet, dass Güter mit längerer Nutzungsdauer in immer geringerem Umfang abgesetzt werden können. AfA steht für „Absetzung für Abnutzungen“.
Firmen, die in Forschung und Entwicklung investieren, sollen ihre Aufwendungen zum Teil steuerlich absetzen können.
Auf Betreiben der Grünen sollen vor allem staatliche Hilfen auf den Prüfstand, die den Klimazielen widersprechen. FDP-Generalsekretärin Nicola Beer nannte als mögliches Beispiel aber auch die Förderung von Elektroautos, weil davon vor allem Besserverdiener profitieren würden.
Damit wäre der Traum von einer vollständigen Abschaffung des Solidaritätszuschlages geplatzt, erklärt für die Union direkt nach der Steuerschätzung der haushaltspolitischen Sprechers der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Eckhardt Rehberg: „Die Steuerschätzung zeigt: Der vollständige Abbau des Solidaritätszuschlags in ein oder zwei Schritten ist für den Bundeshaushalt nicht finanzierbar, wenn Geld auch für zusätzliche Anstrengungen in wichtigen Zukunftsfeldern und zentralen Staatsaufgaben bereitstehen soll.“
Konservativ geschätzt
Allerdings betont Altmaier selbst, dass es sich bei den Haushaltszahlen um „konservative“ Zahlen handle, um den ausgeglichenen Bundesetat auch in den kommenden Jahren nicht wieder in die roten Zahlen abrutschen zu lassen. Konservativ heißt dabei, dass der langjährige Haushaltsstaatssekretär Werner Gatzer Puffer in dem Haushaltstableau versteckt, etwa die Zinsausgaben lieber etwas höher als zu niedrig angibt.
Tatsächlich sind die Ausgaben des Bundes in den letzten Jahren stets um vier bis fünf Milliarden Euro geringer als veranschlagt ausgefallen – dieser sogenannte „Bodensatz“ könnte natürlich den Spielraum bei Jamaika deutlich erhöhen, doch davon will Altmaier heute nichts wissen. Das heißt aber: Dias Ringen um die Wahrheit über die tatsächlichen finanziellen Spielräume in der künftigen Koalition geht weiter.