Streitgespräch über soziale Gerechtigkeit Nehmt’s den Reichsten!

Seite 3/5

Erbschaft- und Kapitalertragsteuern

Sahra Wagenknecht im Streitgespräch mit Klaus Schroeder Quelle: Werner Schüring für WirtschaftsWoche

Gegen höhere Erbschaft- und Kapitalertragsteuern hätten Sie also beide nichts?

Wagenknecht: Ich würde Erbschaften sehr stark abschöpfen, ja. Oberhalb von einer Million Euro plädiere ich persönlich für 100 Prozent Steuerlast. Wer eine Million erbt, hat einen riesigen Startvorteil. Das reicht. Jeder sollte für seinen Wohlstand selbst verantwortlich sein und sich nicht darauf ausruhen können, was die Väter oder Großväter einst aufgebaut haben. Armut ist mittlerweile erblich – genauso wie Reichtum. Das zementiert Ungleichheit.

Was passiert im Erbfall mit Betriebsvermögen?

Wagenknecht: Eigenkapital oberhalb von einer Million Euro wechselt in Belegschaftshand. Jedes Unternehmen lebt von der Idee des Gründers und von der Leistung seiner Mitarbeiter. Wenn der Gründer wegfällt, gehört es legitimerweise den Beschäftigten.

Schroeder: Ich bin sprachlos. Das ist schleichende Enteignung! Wenn das eingeführt würde, würden die Leute mit ihren Vermögen ganz anders umgehen. Dann müssten Sie schon sehr strikt kontrollieren, dass es nicht zu Ausweichreaktionen kommt. Die Motivation vieler Unternehmer ist doch gerade die Versorgung der Familie. Also: Ich würde durchaus dazu neigen, die Erbschaftsteuer leicht anzuheben. Aber das darf gewiss keine Arbeitsplätze gefährden.

Steuerklassen und Freibeträge für Erben und Beschenkte

Wagenknecht: Der urliberale Anspruch war: Eigentum entsteht durch Arbeit. Ist das Eigentum eines Erben durch eigene Arbeit entstanden? Offensichtlich nicht. Die Erben können, wie jeder andere auch, mit einer guten Idee ein neues Unternehmen gründen oder als Gesellschafter im Unternehmen der Eltern arbeiten. Was jemand wird, sollte von seiner Begabung abhängen und nicht davon, ob er zum Club der glücklichen Spermien gehört.

Schroeder: Entschuldigung, aber: Eigentumsrechte sind das Erfolgsgeheimnis der sozialen Marktwirtschaft. Sie müssen unbedingt gewährleistet sein. Genau diese soziale Marktwirtschaft ist es ja auch, die mit ihrer Umverteilung die Ungleichheit senkt. Warum sollten wir die Axt an die Grund­lagen von Freiheit und Wohlstand legen?

Wagenknecht: Finden Sie?

Schroeder: Die nackte Ungleichheit des Marktes wird vom Sozialstaat um fast die Hälfte reduziert. Das sind seriöse Berechnungen, da kenne ich niemanden, der das negiert.

Ist das die Schnittmenge zwischen Ihnen: Arbeit muss sich lohnen, Erbschaften dürften höher besteuert werden, zahlen sollen die obersten ein, zwei Prozent?

Wagenknecht: Die Umverteilung muss zulasten der oberen ein Prozent gehen. Die Mittelschicht schrumpft ja gerade infolge der aktuellen Politik. In den vergangenen zehn Jahren sind fünf Millionen Menschen aus ihr abgestiegen. Ein solches Land steht nicht gut da.

Schroeder: Die Studie, auf die Sie anspielen, wurde längst korrigiert. Die Mittelschicht hat sich nicht verringert. Sie liegt seit Jahrzehnten relativ konstant bei 50 bis 60 Prozent.

Wagenknecht: Sie können doch nicht leugnen, dass der Durchschnittslohn heute unter dem Level der Jahrtausendwende liegt. Wir haben immer mehr prekäre Jobs. Viele, die früher ein normales Arbeitsverhältnis hatten, verdienen heute als Leiharbeiter oder Werkverträgler gerade noch die Hälfte. Und selbst wenn das Einkommen noch stimmt, sind immer mehr Jobs befristet. Auch das ist ein Einbruch an Lebensqualität. Zugleich gibt es eine unglaubliche Konzentration des Reichtums bei ganz wenigen. Die herrschende Politik ist vorteilhaft für die Banken und die großen Unternehmen – und eben nicht für die Mitte.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%