Immer mehr Landesregierungen beschließen auf Wunsch der Gewerkschaften auch sogenannte Tariftreue-Regeln. Danach dürfen nur noch solche Betriebe Staatsaufträge erhalten, die bestimmte Tarifstandards einhalten. Die große Koalition prüft ein solches Tariftreuegesetz nun auch auf Bundesebene. „Die Tarifbindung erodiert seit Jahren, das müssen Gewerkschaften und Politik gemeinsam ändern“, sagt Verdi-Boss Bsirske.
Die Interessenlage bei den Gewerkschaften ist allerdings speziell beim Mindestlohn nicht so einheitlich, wie es die offiziellen Statements vermuten lassen. Die treibenden Kräfte sind die von Niedriglöhnen am meisten betroffenen Gewerkschaften Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) und Verdi. NGG-Chefin Michaela Rosenberger gibt freimütig zu, dass der Mindestlohn im Niedriglohnbereich Jobs kosten könnte: „Das müssen wir in Kauf nehmen. Ich bin nicht dazu da, den Arbeitgebern ihr Geschäftsmodell zu entwerfen“, sagte sie der „Welt am Sonntag“. Unterstützung kommt vom DGB, der mit dem Mindestlohn endlich das lang ersehnte gewerkschaftsübergreifende Thema gefunden hat, mit dem er sein Profil schärfen kann.
Doch schon bei der IG Metall wird die Lage diffiziler: Die größte deutsche Gewerkschaft präsentiert sich in der Mindestlohndebatte als Anwalt der Benachteiligten, ohne selbst auch nur ansatzweise betroffen sein. Selbst in der untersten Lohngruppe verdienen die Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie mehr als 13 Euro die Stunde. Für die IG Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) schließlich, die frühere Mindestlohnvorstöße im DGB stets ausgebremst hatte, ist die Zustimmung eher ein Akt innergewerkschaftlicher Solidarität.
„Der gesetzliche Mindestlohn ist sicher nicht das tollste Projekt der deutschen Sozialgeschichte“, gesteht ein Spitzenfunktionär. Man habe den Widerstand aber aufgegeben, weil „wir einsehen mussten, dass die Gewerkschaften in einigen Bereichen schlicht nicht handlungsfähig sind“.
Aber liegt das am Ende vielleicht an den Gewerkschaften selbst? Claus Weselsky, der um Provokationen nie verlegene Chef der Lokführergewerkschaft GDL, hat für die Strategie der DGB-Kollegen nur Hohn und Spott übrig: „Ein gesetzlicher Mindestlohn wäre ein Offenbarungseid für die Gewerkschaften.“