Tauchsieder

Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar

Vor 25 Jahren wurde Alfred Herrhausen ermordet. Er war der letzte Manager von staatsbürgerlichem Großformat - seine Nachfolger sind nichts als austauschbare Governance-Zwerge. Eine Verneigung.

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Todestag von Alfred Herrhausen Quelle: imago images

Alfred Herrhausen hat keine Lücke hinterlassen, sondern einen leeren, schwarzen Riesenraum.  Als der Vorstandssprecher der Deutschen Bank heute vor 25 Jahren von Terroristen der Rote Armee Fraktion ermordet wird, versammeln sich tags darauf mehr als 10.000 Menschen in Frankfurt, ziehen schweigend, trauernd und schockiert durchs Bankenviertel. Sie gedenken eines Bankmanagers, der ein Staatsmann war und eines Staatsmannes, der ein Bankmanager war. Vielleicht ahnen einige von ihnen, dass es einen wie Herrhausen nicht mehr geben wird. Einen Mann der Wirtschaftselite, der die politische Öffentlichkeit suchte. Einen Mann des Geldes, der über Fluch und Segen des Kapitalismus nachdachte. Ein Mann aus der Unternehmerwelt, der sich einmischte, stritt - und der Albtraum jedes Pressereferenten war.

Die geheimen Clubs der Wirtschaftselite
Capital ClubNur gegen Aufnahmegebühr und Jahresbeitrag darf im Capital Club getroffen werden.Gäste: Joschka Fischer, Roland Pofalla, Klaus WowereitAdresse : Mohrenstraße 30, 10117 Berlinwww.berlincapitalclub.de Quelle: Pressebild
Airport Club Quelle: Presse
Deutsche Parlamentarische Gesellschaft Quelle: Deutscher Bundestag/Siegfried Bücker
Soho House, Berlin Aus dem Ur-Soho-House in London stammt der Grundsatz für Mitglieder: No bankers, no lawyers. In der City der Neunziger war das ein Erdbeben, in der Berlin ist nichts leichter als das. Gäste: Hierher kommen Modedesignerwie Michael Michalsky, Jungunternehmerwie Jan-Henrik Scheper-Stuke, Chef des Krawattenlabels Edsor Kronen, oder Schauspieler wie Heike Makatasch. Und Madonna? War auch schon da. Adresse: Torstraße 1, 10119Berlinwww.sohohouseberlin.com
Business-Club Schloss Solitude Quelle: Andreas Körner für WirtschaftsWoche
Kieler Yachtclub Der Club hieß bis 1918 Kaiserlicher Yachtclub, hier war die wilhelminische Elite, Industrielle und Adlige Mitglied. Auch die Mitglieder der Familie Krupp aus Essen. Vor dem an der Kieler Förde gelegenen Clubhaus, das seit 2007 dem ThyssenKrupp-Konzern gehört,  ist die alte Krupp-Yacht „Germania VI“ vertäut, mit dunkelgrünen Rumpf. Gäste: Zur Kieler Woche im Juni ist der Yachtclub noch heute gesellschaftlicher Treffpunkt deutscher und vor allem skandinavischer Industriemanager.www.kyc.de Quelle: Screenshot
Union Club in der Villa MertonIn der neobarocken Villa Merton gelegen, suchen die Mitglieder des Union Club in sicherer Entfernung vom Rummel des Bankenviertels Kontakt zu Entscheidern aus Industrie und Finanzwelt..Gäste : Air-Berlin-Chefpilot Hartmut Mehdorn schaut hin und wieder vorbei. Auch der ehemalige Vorstandssprecher und spätere Aufsichtsratsvorsitzende der Deutschen Bank, Rolf-Ernst Breuer, kommt gerne her. Gleiches gilt auch für den US-Generalkonsul in Frankfurt, Edward Alford.Adresse: Am Leonhardsbrunn 12, 60487 Frankfurthttp://www.union-club.com/ Quelle: Presse

Alfred Herrhausen hatte nichts gemein mit den Top-Managern von heute, die aus Angst vor kursrelevanten Zwischentönen genau abgezirkelte Interviews in handverlesenen Publikationen geben, in den gesetzten Worten der Corporate Governance und politischen Neutralität, versteht sich, gespickt mit allerlei Effizienzphrasen aus dem Baukasten der Business-Schools. Alfred Herrhausen hatte auch nichts gemein mit den Reichen und Superreichen, die ihre Millionen und Milliarden in die Schweiz schaffen, die unfotografierte Anonyme sind hinter der Fassade ihrer Erfolgsunternehmen, die die Geschäfte ihres Unternehmens systematisch verdunkeln, um sie in Gestalt von Briefkästen in Luxemburg oder Delaware den Augen der wirtschaftenden Bevölkerung zu entziehen. Kurzum, Alfred Herrhausen war das Bild eines Managers, das noch kein Bild des Elends und des Jammers war. Eine Person des öffentlichen Lebens wie ein Politiker, Schauspieler oder Schriftsteller - ein geachteter, selbstkritischer, in das soziale Netz der deutschen Gesellschaft eingebetteter Prominenter aus der Welt der Wirtschaft - kurz: einer, der heute im nackten Sinne des Wortes fehlt. 

Alfred Herrhausen hat auf all die entscheidenden Fragen, die uns vor 25 Jahren anfingen zu bedrängen, erste Antworten gesucht - auf all die Fragen, die Manager und Unternehmer und (noch dazu die allermeisten) Wirtschaftswissenschaftler heute mit dröhnendem Schweigen beantworten: Wie reagieren wir auf den Vormarsch der institutionellen Vernunft mit ihren systemischen "Alternativlosigkeiten"? Wie gehen wir angesichts knapper werdender Ressourcen mit  der Expansionslogik der kapitalistischen Wirtschaftsform um? Wie bekommen wir den Kreditismus der Moderne mit seiner Schuldenproblematik in den Griff, die Machtkonzentration von globalen Konzernen und die Fiktionalisierung der Finanzmärkte?   

Wegbegleiter und Gegenspieler

Wenn man sich heute noch einmal die 32 Reden und Aufsätze durchliest, die Alfred Herrhausen in den Siebziger- und Achtzigerjahren verfasst hat, gewissermaßen seinen Nachlass sichtet, so wie er testamentarisch versammelt ist in einem Band mit dem programmatischen Titel "Denken - Ordnen - Gestalten", weiß man zunächst nicht, was einen am meisten beeindruckt. Die ideologisch ungetrübte Sauberkeit, mit der Herrhausen auf eine zunehmend komplexe Moderne blickt? Die sezierende Schärfe, mit der er seine Gedanken gliedert und gute Argumente von schlechten trennt? Die logisch-lustvolle Strenge, mit der er "Staatsbejahung, Selbstsicherheit und Zukunftsoffenheit" zu Imperativen verantwortungsvollen Handelns erhebt? Oder ist man am Ende einfach nur verblüfft, dass ein Bankmanager überhaupt von einer "gesellschaftspolitischen Mission" beseelt sein kann - und fähig zu gedankenschweren Einmischungen ins politische Geschäft? Was bleibt, ist zweierlei: die rückblickende Freude über eine Persönlichkeit von so wacher Zeitgenossenschaft - und die düstere Erkenntnis vom intellektuellen Mangel, an dem die deutsche Bankwirtschaft seit Herrhausens Tod leidet.

Er ist der letzte Kapitalist in Frankfurt


Herrhausens frappierende Aktualität drückt sich zunächst einmal darin aus, dass er die Ambivalenz der Moderne als ihr entscheidendes Merkmal respektiert und scheinbar Gegensätzliches mühelos zusammen denkt: Macht und Verantwortung, Freiheit und Bindung, Staat und Wirtschaft, Führung und Moderation. Herrhausen weiß, dass das eine nicht ohne das andere zu haben ist - es sei denn auf Kosten des Gesamtüberblicks, zum Preis der Wirklichkeitsverzerrung. Herrhausen verabscheut Einseitigkeiten, die "geistige Verengung" seiner Zunft und ihrer Vertreter, den "Ressortegoismus", die Fokussierung auf den "Wachstumszwang", die "Konzentration auf das Nur-Ökonomische".

Die größten Risiken und Probleme der Deutschen Bank
Libor-Skandal Über Jahre versuchten internationale Großbanken den Referenzzins zu manipulieren, um höhere Gewinne zu erzielen. Daran waren auch Beschäftigte des Dax-Konzerns beteiligt. Mehrere Investmentbanker der Deutschen Bank mussten gehen. Das Institut schließt nach internen Untersuchungen aber aus, dass das höhere Management an Manipulationen beteiligt war. In die Kritik geraten war auch Jain, der seit Jahren das Investmentbanking verantwortet. Die drei Konkurrenten Barclays, Royal Bank of Scotland und UBS mussten bereits hohe Strafen zahlen. Das droht auch der Deutschen Bank. Quelle: dpa
Kirch-ProzessIm Dauerclinch um die Pleite des Medienimperiums des inzwischen gestorbenen Leo Kirch wurde die Bank vom Münchner Oberlandesgericht grundsätzlich zu Schadensersatz verurteilt. Die Höhe steht noch nicht fest. Die Bank wehrt sich vor dem Bundesgerichtshof (BGH) gegen den Schuldspruch, bildete in diesem Fall aber auch erstmals Rückstellungen. Die Kirch-Seite macht die Bank für die Pleite der Medienunternehmens 2002 verantwortlich und fordert gut zwei Milliarden Euro Schadenersatz. Einen Vergleich lehnte die Deutsche Bank bislang ab. Im April sah sich das Institut zu einer außerordentlichen Hauptversammlung gezwungen, weil Kläger aus dem Kirch-Lager erfolgreich Beschlüsse des letzten regulären Aktionärstreffens im Mai 2012 angefochten hatten. Quelle: dapd
USADas Land ist einer wichtigsten Märkte für die Deutsche Bank. Die Politik dort will nun die Kapitalregeln für Auslandsbanken verschärfen. Das würde die Deutsche Bank besonders zu spüren bekommen. Zudem kämpft das Institut wegen Geschäften aus den Zeiten vor der Finanzkrise 2007/08 mit zahlreichen Klagen. Oft geht es um Hypothekengeschäfte. Quelle: AP
AbbausparteDer Bereich wird auch als „Bad Bank“ der Deutschen Bank bezeichnet. In der Sparte hat sie alle Geschäfte und Anlagen geparkt, von denen sie sich trennen möchte. Dazu gehören auch einige verlustreiche Ladenhüter wie das einst von der Bank finanzierte Kasino Cosmopolitan in Las Vegas und der US-Hafenbetreiber Maher, die schon seit Jahren auf einen Verkauf warten. Der eigentlich schon vereinbarte Verkauf der Frankfurter BHF-Bank an die Finanzgruppe RHJ stockt seit Monaten, weil die Finanzaufsicht kein grünes Licht gab. Quelle: Presse
VermögensverwaltungGern hätte das Institut im vergangenen Jahr einen Großteil dieses Geschäfts verkauft. Die Verhandlungen verliefen aber im Sande, da die Gebote zu niedrig waren. Nun will die Bank die Sparte selbst weiterentwickeln. Doch die Konkurrenz wird größer. Immer mehr Institute buhlen um reiche Kunden in aller Welt, da dieses Geschäft als vergleichsweise stabil gilt. Die Deutsche Bank findet sich international in der Vermögensverwaltung bislang nur auf einem der hinteren Plätze. Quelle: REUTERS

Als Sprecher der Deutschen Bank, der er seit 1985 ist, hat er eben nicht nur die schwarzkünstlerischen Selbstvermehrungskräfte des Geldes an den Kapitalmärkten, die Verwöhnung seines Instituts mit ausreichend Eigenkapital und Rendite im Sinn, sondern auch und vor allem das "Rollenverständnis" der Banken. Die gewinnträchtige Bewirtschaftung von Kapital empfindet er als selbstverständliche Managerpflicht; die ständige Standortbestimmung der Wirtschaft in der Gesellschaft als seinen staatsbürgerlichen Auftrag.

Alfred Herrhausen lässt keinen Zweifel daran, dass die Deutsche Bank sich "nicht allein darauf beschränken" kann, "gute Geschäfte zu machen"; dass sie im Gegenteil "auf Akzeptanz angewiesen" ist, je größer ihre Gebäude, je abstrakter ihre Produkte, je globaler ihre Geschäfte werden. Sein unternehmerisches Handeln stellt er daher unter "dauernden Begründungszwang". Stets ist er um eine "bestimmte Autorität", um "gesellschaftliche Verantwortung" und um die "Auslegung unserer Funktion" bemüht, also darum, "sich und anderen die Bezogenheit unserer... Einzelaufgabe zum Ganzen" bewusst zu machen. Man könnte auch sagen, dass Alfred Herrhausen der letzte Kapitalist in Frankfurt ist, der ein echtes, ehrliches Interesse an der Einbettung von Quartalszahlen in den gesamtgesellschaftlichen Kontext offenbart: Handlungsreisender und Verantwortungsethiker in einer Person, zugleich homo oeconomicus und zoon politicon, gleichzeitig Globalmanager und demokratievernarrter Patriot. Man kann sich Alfred Herrhausen in den Achtzigerjahren jederzeit als Staatssekretär vorstellen, als Minister, als Chef der Weltbank, des Internationalen Währungsfonds, als Honorarprofessor für Sozialökonomie - oder als Bundespräsidenten. Die meisten Staatschefs würden die meisten seiner Reden gerne halten.

Mit beinahe kindlicher Zuversicht glaubt Herrhausen an eine Identität von Fortschritt und Vernunft, an die Aufwärtsentwicklung einer aufgeklärten Menschheit. Mit der Kant’schen Aufforderung, das Wissen zu wagen, verbindet er die Hoffnung auf eine glückliche Überwindung von Vorurteilen und Ideologien, auf die Rationalität einer Handlungsmoral kraft Verstand, Evidenz und Erfahrung. "Richtiges, fehlerfreies Denken" nennt Herrhausen das. In seinem ständigen Bemühen um eine "Abbildung von Wirklichkeit, so wie sie ist", beruft er sich auf den Philosophen Karl Popper und die Schriftstellerin Ingeborg Bachmann: "Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar." 

 

Natürlich könnte Herrhausen sich dabei auch Jürgen Habermas verpflichtet fühlen; beiden gilt der "Sachverhalt" als kommunikatives Projekt; beide suchen "Wahrheit" im Konsens vernünftiger Sprecher; beide wollen einem freien Diskurs normative Realitäten abgewinnen, mit denen der gesellschaftliche Fortschritt zugleich bezeugt und formiert wird. Nur auf diese Weise, im faktenbasierten Wägen und Wiegen der Tatsachen und Sichtweisen, so Herrhausen, und im Vertrauen auf eine Moral, die bereit ist, sich klug zu machen, können sich die "Dissonanzen des Fortschritts", das "Problem des Umweltschutzes, der Entwicklungsländer, der Frage der Vermögensverteilung" als produktive, "schöpferische Unruhe" erweisen, als "Quelle für neue Kraft zur positiven Veränderung, zur besseren Gestaltung... - wenn wir es wollen".

Alfred Herrhausen war eine Legende


Die ihn am 30. November 1989, an diesem Sonntag vor 25 Jahren, ermorden, wollen es nicht. Wollen nicht sprechen, nicht gestalten, nicht verändern. Wollen sich stattdessen, ideologisch eingebunkert und verpanzert, ihr dunkel-narzisstisches Weltbild erhalten, ihr Ressentiment retten, ihre monströsen Horizontverengungen vor dem Zugriff der Vernunft schützen. Es gehört zur bösen Wahrheit über die RAF, dass sie mit ihren Morden nichts und wieder nichts erreichen will - außer dass alles bleibt, wie es ist. Deshalb schlagen die Terroristen das Gesprächsangebot von Alfred Herrhausen auf denkbar definitive Weise aus; deshalb bringen sie mit Alfred Herrhausen weniger ihr Feindbild um, vielmehr den, der ihr Feindbild zu ruinieren droht. "Herrhausens Pläne gegen die Länder in der Dritten Welt", heißt es im Bekennerschreiben, "die selbst in linksintellektuellen Kreisen als humanitäre Fortschrittskonzepte gepriesen werden, sind nichts anderes als der Versuch, die bestehenden Herrschafts- und Ausplünderungsverhältnisse längerfristig zu sichern."

 

Das ist nicht fest und entschieden formuliert, sondern despotisch und doktrinär - und zeugt von einer noch größeren Kommunikationsstörung und Sprachlosigkeit als die Bombe, die Alfred Herrhausen das Leben kostet. Es ist deshalb so verständlich wie sinnlos, dass die Angehörigen der Ermordeten noch immer auf eine Erklärung der Mörder warten, dass namentlich Traudl Herrhausen, die zweite Ehefrau des Opfers, den "Mördern meines Mannes" endlich "in die Augen sehen" will. Die Terroristen haben - vielleicht niemals deutlicher als im Falle von Alfred Herrhausen - das, was sie zur "positiven Veränderung" und "besseren Gestaltung" der Gesellschaft beizutragen hatten, ein für alle Mal gesagt: mit ihren Waffen. Der Rest war, ist und bleibt Schutzbunkerschwätzerei, Stadtguerillasermon und Häftlingsbefreiungsschleim.

Alfred Herrhausen braucht nicht mehr als viereinhalb Jahre Zeit an der Spitze der Deutschen Bank und drei große Themen und Ereignisse, um zu einer Legende zu werden. Mit seinem Plädoyer für einen Schuldenerlass und seinem Interesse an globalen Fragen, mit seiner zweifelnden Offenheit in Fragen der Geldkonzentration und Bankenmacht und mit seiner Klarsicht in den Wochen nach dem Mauerfall sichert er sich ein Maß an öffentlicher Anerkennung, wie sie einem deutschen Unternehmenschef seither nicht mehr zuteil wurde.

Als Herrhausen Ende September 1987 auf der Jahrestagung der Weltbank in Washington vor die Presse tritt, verwirft er plötzlich die bis dahin gängige Politik des billigen Geldes, die die Entwicklungs- und Schwellenländer zur Aufnahme immer neuer Kredite und zur Begleichung immer neuer Zinsen, kurz: ins Joch des ewigen Schuldendienstes, zwingt. Herrhausen spricht von einem "anderen Lösungsansatz" - und davon, dass auch die "Banken gewisse Opfer bringen" müssen. Während Eine-Welt-Engagierte ihren Ohren nicht trauen, westliche Regierungsvertreter vor einem "Präzedenzfall" warnen und deutsche Bankvorstände eine "Schnapsidee" weglachen, tritt Herrhausen in den folgenden Wochen sachlich, kühl und überlegt den Beweis für die "Richtigkeit" seines Denkens an: Es gehe darum, dass die Schuldnerländer ihre Kreditwürdigkeit und "Marktqualität" zurück gewinnen, so Herrhausen, "was viele zukünftige geschäftliche Möglichkeiten eröffnet". 

Herrhausen ist ganz begeistert von Debt Equity Swaps, die die Umwandlung von Schulden in Beteiligungskapital erlauben - oder von Debt for Nature Swaps, mit denen sich der Schuldenverzicht an die Einhaltung von Umweltschutzzielen knüpfen ließe: "Denken wir nur an die Urwaldgebiete oder die afrikanische Savanne", so Herrhausen: "Wäre hier nicht eine Sichtweise angebracht, wonach solche Groß- Biotope den Ländern, auf deren Territorien sie liegen, gleichsam als Treuhandgut der ganzen Menschheit überantwortet sind, weil die gegenseitige Abhängigkeit aller auf dem Raumschiff Erde, auf dem wir leben, gerade in der ökologischen Herausforderung in nicht zu überbietender Weise sichtbar wird?"

Die Macht der Banken, das bin ich


Herrhausen ist kein Träumer. Kaum hat er die Biotop-Idee eingeführt, stellt er klar, dass es selbstverständlich "keinen... Konflikt zwischen Marktwirtschaft und Umweltschutz" gibt, im Gegenteil: "Effizienter Umweltschutz ist erst möglich durch den Einsatz marktwirtschaftlicher Instrumente, die den Preismechanismus und damit das Eigeninteresse des Verursachers zur Linderung der Umweltprobleme nutzen." Auch der Vorwurf, dass die Deutsche Bank bereits einen Großteil ihrer Kredite an die Schuldnerländer abgeschrieben habe und sich einen Wettbewerbsvorteil verschaffen wolle, ficht Herrhausen nicht an: Das Wohlergehen seines Unternehmens schließt die Sorge um den Planeten nicht aus.

Manager verraten ihr Erfolgsgeheimnis
James Dyson, Designer, Erfinder und Gründer des Unternehmens Dyson"Ich liebe Fehlschläge. Aufgegeben habe ich nie. In den 1980er Jahren habe ich in meiner Werkstatt an 5126 Staubsauger-Prototypen getüftelt, die alle nicht funktionierten. Aber Nummer 5127 tat, was er sollte. Der Erfolg von Dyson geht zurück auf den einzigartigen Pioniergeist und außergewöhnlichen Einsatz aller meiner Ingenieure."
Simone Frömming, Deutschland-Chefin von VMware, einem der Top-Ten-Softwareproduzenten"Über Nacht zur Führungskraft? Bei mir war das genau der Fall! Bei einem Vortrag zum Thema "Go-To-Market im Softwarevertrieb" konnte ich meinen damaligen Geschäftsführer derart überzeugen, dass er mich von heute auf morgen befördert hat. Alle meine Ideen waren recht unpolitisch und leidenschaftlich - aber dafür stets zielorientiert. Als Account Managerin hätte ich damals nie gedacht, dass ein einzelner Vortrag der Wendepunkt meiner ganzen Karriere sein kann. Nach einem ersten sprachlosen Moment hat mich dieses Angebot aber darin bestätigt, Dinge auch entgegen der gängigen Meinung anzusprechen und verändern zu wollen. Eine wichtige Eigenschaft in der IT-Branche, in der jeden Tag aufs Neue ein Wettrennen um aufregende Ideen ausgetragen wird. Und letztlich auch eine Eigenschaft, die mich dahin gebracht hat, wo ich heute stehe."
Eckart von Hirschhausen, Moderator und Kabarettist, gelernter Mediziner"1997 wurde ich von einem Radiosender engagiert für eine Tour durch Kinderkrankenhäuser. In der Kinderpsychiatrie in München machte ich eine Zaubershow. Alle Kinder wurden involviert, mussten laut zählen, pusten und mitmachen. Nach der Show kam ein Arzt auf mich zu und erzählte von einem kleinen „Wunder“. Ein Junge war seit Wochen schon in Behandlung wegen „Mutismus“, einer seelischen Störung bei der Kinder aufhören zu sprechen. Der Junge „vergaß“ während der Show seine Störung und machte munter mit. Seitdem nehme ich die Rolle von positiven Gemeinschaftserlebnissen, von Humor, Musik, Kunst und anderen Wegen uns zu „verzaubern“ viel ernster, seit 2006 auch mit meiner Stiftung Humor hilft heilen."
Richard Quest, Chef der Wirtschaftsredaktion und Anchorman bei CNN Gibt es einen Moment, an den ich zurückdenke und sagen kann „Heureka!“, das war der Moment, an dem ich es geschafft hatte? Nein. Es gab viele Momente, an denen eine Geschichte Aufmerksamkeit für mein Schaffen erzeugt hat. Jeden dieser Momente habe ich dann genutzt, um mich auf meiner rutschigen Karriereleiter eine Sprosse weiter nach oben zu hangeln. Dazu gehören mein erster Hurricane-Bericht über Hurricane Gilbert im Jahr 1988, meine erste Berichterstattung zu einer US-Präsidentschaftswahl, mein Bericht von Queen Mums Beerdigung, die Berichterstattung zu Queen Elizabeths Kronjubiläum und meine Arbeit zur Einführung des Euro. Wenn ich wählen müsste, was DIE Story gewesen ist, dann wäre das der Schwarze Montag, der 19. Oktober 1987. Ich war ganz neu als Finanzreporter in London. Der Abwärtstrend an der New Yorker Börse hatte begonnen. Und bevor der Tag vorbei war, hatte der Dow Jones mehr als 500 Punkte (= 25 Prozent) verloren. Dies gilt nach wie vor als der anteilsmäßig stärkste Tagesverlust in der Geschichte des Dow Jones. Ich war im Dienst. Ich habe dabei zugesehen, wie der Markt sich in den Sekunden nach Börsenschluss um 100 Punkte verschlechtert hat und berichtete während der nächsten paar Tage morgens, mittags und abends – auf allen Programmen. Ich wurde dann eilig weggeschickt, um die Berichterstattung in New York aufzunehmen. Die Arbeit, der ich damals nachging, brachte mir die Aufmerksamkeit des Chefredakteurs ein, ich hatte mich als Finanzreporter etabliert. Ich werde den Schwarzen Montag nie vergessen. Als der Vorsitzende der New Yorker Börse sagte, dieser Tag sei am nächsten an einen Zusammenbruch der Finanzmärkte herangekommen, als alles, was wir uns hätten vorstellen können. Dies galt natürlich nur bis zum nächsten Finanzcrash. Zum letzteren Zeitpunkt war ich älter und weiser – aber interessanterweise war ich genauso erschrocken.
Karsten Eichmann, CEO des Gothaer-Konzerns"Aha- da gibt es ja noch so viel Spannendes" – für die entscheidenden Karriereschritte war meine Neugierde ein wesentliches Momentum. So auch als ich mit 43 Jahren meine berufliche Komfortzone aus Erfolg und Sicherheit verlassen und von München nach Hamburg gegangen bin, um als Vorstandschef der Advocard eine neue, spannende Herausforderung anzupacken. Nur durch das "Loslassen" von Gewohntem war der Weg bis zum CEO des Gothaer-Konzerns möglich - und diese Neugierde auf die Zukunft werde ich mir bewahren."
Uwe Schuricht, Geschäftsführer der Personalberatung Change Group"Mein Lebensweg hat entscheidende Weichenstellungen auf dem Tennisplatz bekommen: Mit Tennisunterricht habe ich mein Jura-Studium finanziert und schon damals davon geträumt, Headhunter zu werden. Dank Tennis habe ich einen Förderer gefunden, der mich bei der Promotion unterstützt hat. Die Promotion hat mich zu einer amerikanischen Kanzlei nach Paris geführt. Dort wurde ich als Manager entdeckt und danach war es nur noch ein kleiner Schritt zu meinem Traumberuf."
Sven Eggert, Eggert Group Werbeagentur"Nach einem Studium im Ausland (Oxford und Paris) nahm ich eine Stellung als Vorstandsassistent an. Mein Chef öffnete mir schnell die Augen, dass ich mit dem Europa-Hintergrund nicht so international aufgestellt war, wie uns im Studium suggeriert wurde. Die Entscheidung, daraufhin noch für vier Jahre in den USA zu arbeiten, war goldrichtig."

Herrhausen ist sich der Kritik an der eminenten Macht der Deutschen Bank jederzeit bewusst. Aber er sieht überhaupt nicht ein, sich dieser Macht zu schämen. "Ja, wir haben Macht", pflegt er zu tönen, während die Kollegen lieber "Einfluss" flüstern - das Entscheidende sei doch wohl, wie verantwortungsvoll man mit Macht umgehe. Herrhausen warnt die Deutschen davor, einen "Popanz aufzubauen"; schließlich sei sein Institut im Weltmaßstab alles andere als "omnipotent". Das stimmt - einerseits. Andererseits ist die Deutsche Bank im Inland schon damals der unangefochtene Branchenprimus. Die Vorstände und Direktoren sitzen in 400 Aufsichtsräten; die Bank selbst ist unter anderem an Daimler-Benz (28 Prozent), Klöckner (100), Holzmann (35), Karstadt, Horten (je 25), Roland Berger (75) und Südzucker (23) beteiligt. 

 

In Berlin erzählt man sich, dass Herrhausen 1983 die Regierungserklärung von Helmut Kohl mit verfasst hat. Herrhausen selbst ist von Hybris nicht frei, rückt sich in die Nähe eines Sonnenkönigs: "Die Macht der Banken, ...das bin ich." Als Manager kalkuliert er kühl sein Gewicht: "Die Wirtschaft ist gut beraten, wenn sie kompetenten Sachverstand abruft." Als Citoyen gibt er zu bedenken: "Was den rationalen Diskurs über solche Fragen so schwierig macht, ist der suggestive Charakter der Sprache. Wenn von Macht die Rede ist, klingt immer gleich der Verdacht von Machtmissbrauch durch." Sicher, sagt Herrhausen: "Man muss Macht auch wollen." Sein letztes Motiv aber, bei allem, was er tue, sei "das Bemühen, einen optimalen Sachbeitrag zu leisten".

Als die Mauer fällt, ist Herrhausen sogleich zur Stelle. Während Außenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) zehn Tage nach der Grenzöffnung von "zwei deutschen Staaten" spricht, die in der Europäischen Gemeinschaft aufgehen sollen, empfiehlt Herrhausen der Politik, die "Wiedervereinigung" jetzt offensiv zu wollen: "Warum hat sich das alles so ergeben in der DDR...? Weil die Menschen... ein anderes System wollen. Wenn das so ist, dann sollten wir nichts tun, was diesen Schwung erlahmen lässt." Herrhausen hat nicht den leisesten Zweifel an der Überlegenheit von Marktwirtschaft und Demokratie; die Ereignisse selbst sind ihm der Beweis dafür. 

 

"Geschichte" hat für Herrhausen kein Ziel und kein Ende, ist nur als Prozess verstehbar, als evolutionäre Entwicklung, die sich offenbart in dem, was wir tun. Herrhausen widerspricht daher entschieden Francis Fukuyamas Steilthese vom "Ende der Geschichte" - und erfasst den Kollaps des Ostblocks blitzschnell als historische Chance, sich endlich den "wirklichen Problemen dieses Globus" zuzuwenden: "Niemals hat sich die Menschheit größeren Herausforderungen gegenüber gesehen..., die Nord-Süd-Problematik, die technologische Revolution, die ökologische Frage..., und dies alles zur gleichen Zeit. Für aktive Menschen, die etwas bewirken wollen, ist es eine Lust, zu leben."

Allein als Manager ist Herrhausen dieses Leben zuweilen eine Last, ausgerechnet, hier scheitert er, zumindest teilweise. Im Mai 1988 avanciert er zum alleinigen Vorstandssprecher der Deutschen Bank - und sieht als Chefaufseher bei Daimler tatenlos zu, wie der Kollege Edzard Reuter sich in Stuttgart einen "integrierten Technologiekonzern" zurechtzimmert. Auch im eigenen Haus, das damals in etwa so modern ist wie ein britischer Herrenclub, treibt Herrhausen die "Diversifizierung" des Geschäfts voran. Die Zahl der Privatkunden ist auf 5,5 Millionen gestiegen, die Filialen erwirtschaften 83 Prozent des Gewinns, aber das Firmengeschäft lahmt, die Entwicklung innovativer Finanzprodukte geht nur schleppend voran. Herrhausen drängt auf die Internationalisierung der Bank, ihren Einstieg ins Investmentgeschäft, ihren Umbau zum Allfinanzkonzern, kurz: Er vollendet den deutschen Ledersessel-Kapitalismus mit der Deutschen Bank als Spinne im Beteiligungsnetz - und er sucht ihn zugleich zu überwinden mit dem, was er "banking around the globe, around the clock" nennt.

Zwei Tage vor seinem Tod blitzt er mit seinen umfangreichen Renovierungsarbeiten im Vorstand ab. Herrhausen ist den Kollegen zu schnell, zu schneidend, zu selbstverliebt; sie nennen ihn "Ikarus" und "Herrgott", beklagen sich über seine Verantwortungssucht, seinen intellektuellen Stolz und seinen Hochmut, ständig darüber zu befinden, wer richtig denkt - und wer nicht. Herrhausen droht mit Rücktritt. Keiner sucht ihn zurückzuhalten. Am 30. November 1989 macht er sich, pünktlich um halb neun, wie immer, auf den Weg zur Sitzung, die über sein weiteres Berufsleben entscheidet. Schmeißt Herrhausen hin? Holt Helmut Kohl ihn nach Bonn? Zwei Minuten später zünden die Terroristen die Bombe.

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