Alfred Herrhausen hat keine Lücke hinterlassen, sondern einen leeren, schwarzen Riesenraum. Als der Vorstandssprecher der Deutschen Bank heute vor 25 Jahren von Terroristen der Rote Armee Fraktion ermordet wird, versammeln sich tags darauf mehr als 10.000 Menschen in Frankfurt, ziehen schweigend, trauernd und schockiert durchs Bankenviertel. Sie gedenken eines Bankmanagers, der ein Staatsmann war und eines Staatsmannes, der ein Bankmanager war. Vielleicht ahnen einige von ihnen, dass es einen wie Herrhausen nicht mehr geben wird. Einen Mann der Wirtschaftselite, der die politische Öffentlichkeit suchte. Einen Mann des Geldes, der über Fluch und Segen des Kapitalismus nachdachte. Ein Mann aus der Unternehmerwelt, der sich einmischte, stritt - und der Albtraum jedes Pressereferenten war.
Alfred Herrhausen hatte nichts gemein mit den Top-Managern von heute, die aus Angst vor kursrelevanten Zwischentönen genau abgezirkelte Interviews in handverlesenen Publikationen geben, in den gesetzten Worten der Corporate Governance und politischen Neutralität, versteht sich, gespickt mit allerlei Effizienzphrasen aus dem Baukasten der Business-Schools. Alfred Herrhausen hatte auch nichts gemein mit den Reichen und Superreichen, die ihre Millionen und Milliarden in die Schweiz schaffen, die unfotografierte Anonyme sind hinter der Fassade ihrer Erfolgsunternehmen, die die Geschäfte ihres Unternehmens systematisch verdunkeln, um sie in Gestalt von Briefkästen in Luxemburg oder Delaware den Augen der wirtschaftenden Bevölkerung zu entziehen. Kurzum, Alfred Herrhausen war das Bild eines Managers, das noch kein Bild des Elends und des Jammers war. Eine Person des öffentlichen Lebens wie ein Politiker, Schauspieler oder Schriftsteller - ein geachteter, selbstkritischer, in das soziale Netz der deutschen Gesellschaft eingebetteter Prominenter aus der Welt der Wirtschaft - kurz: einer, der heute im nackten Sinne des Wortes fehlt.
Alfred Herrhausen hat auf all die entscheidenden Fragen, die uns vor 25 Jahren anfingen zu bedrängen, erste Antworten gesucht - auf all die Fragen, die Manager und Unternehmer und (noch dazu die allermeisten) Wirtschaftswissenschaftler heute mit dröhnendem Schweigen beantworten: Wie reagieren wir auf den Vormarsch der institutionellen Vernunft mit ihren systemischen "Alternativlosigkeiten"? Wie gehen wir angesichts knapper werdender Ressourcen mit der Expansionslogik der kapitalistischen Wirtschaftsform um? Wie bekommen wir den Kreditismus der Moderne mit seiner Schuldenproblematik in den Griff, die Machtkonzentration von globalen Konzernen und die Fiktionalisierung der Finanzmärkte?
Wegbegleiter und Gegenspieler
Kopf der Deutschland AG
Alfred Herrhausen war bis Ermordung 1989 Chef der Deutschen Bank und Chefkontrolleur des 2002 insolventen Bauriesen Holzmann.
Drahtzieher
Der ehemalige Deutsch- und BayernLB-Banker Gerhard Gribkowsky, der zurzeit eine vierjährige Haftstrafe verbüßt und als Freigänger für Strabag arbeitet, war in die tödliche Kürzung der Bürgschaften für die Walter Bau AG involviert.
Der Profiteur
Der österreichische Baukonzern Strabag und sein Chef Hans Peter Haselsteiner haben nach der Insolvenz der Walter Bau AG binnen Kurzem die verbliebenen Perlen des Augsburger Baukonzerns erworben.
Wenn man sich heute noch einmal die 32 Reden und Aufsätze durchliest, die Alfred Herrhausen in den Siebziger- und Achtzigerjahren verfasst hat, gewissermaßen seinen Nachlass sichtet, so wie er testamentarisch versammelt ist in einem Band mit dem programmatischen Titel "Denken - Ordnen - Gestalten", weiß man zunächst nicht, was einen am meisten beeindruckt. Die ideologisch ungetrübte Sauberkeit, mit der Herrhausen auf eine zunehmend komplexe Moderne blickt? Die sezierende Schärfe, mit der er seine Gedanken gliedert und gute Argumente von schlechten trennt? Die logisch-lustvolle Strenge, mit der er "Staatsbejahung, Selbstsicherheit und Zukunftsoffenheit" zu Imperativen verantwortungsvollen Handelns erhebt? Oder ist man am Ende einfach nur verblüfft, dass ein Bankmanager überhaupt von einer "gesellschaftspolitischen Mission" beseelt sein kann - und fähig zu gedankenschweren Einmischungen ins politische Geschäft? Was bleibt, ist zweierlei: die rückblickende Freude über eine Persönlichkeit von so wacher Zeitgenossenschaft - und die düstere Erkenntnis vom intellektuellen Mangel, an dem die deutsche Bankwirtschaft seit Herrhausens Tod leidet.
Er ist der letzte Kapitalist in Frankfurt
Herrhausens frappierende Aktualität drückt sich zunächst einmal darin aus, dass er die Ambivalenz der Moderne als ihr entscheidendes Merkmal respektiert und scheinbar Gegensätzliches mühelos zusammen denkt: Macht und Verantwortung, Freiheit und Bindung, Staat und Wirtschaft, Führung und Moderation. Herrhausen weiß, dass das eine nicht ohne das andere zu haben ist - es sei denn auf Kosten des Gesamtüberblicks, zum Preis der Wirklichkeitsverzerrung. Herrhausen verabscheut Einseitigkeiten, die "geistige Verengung" seiner Zunft und ihrer Vertreter, den "Ressortegoismus", die Fokussierung auf den "Wachstumszwang", die "Konzentration auf das Nur-Ökonomische".
Als Sprecher der Deutschen Bank, der er seit 1985 ist, hat er eben nicht nur die schwarzkünstlerischen Selbstvermehrungskräfte des Geldes an den Kapitalmärkten, die Verwöhnung seines Instituts mit ausreichend Eigenkapital und Rendite im Sinn, sondern auch und vor allem das "Rollenverständnis" der Banken. Die gewinnträchtige Bewirtschaftung von Kapital empfindet er als selbstverständliche Managerpflicht; die ständige Standortbestimmung der Wirtschaft in der Gesellschaft als seinen staatsbürgerlichen Auftrag.
Alfred Herrhausen lässt keinen Zweifel daran, dass die Deutsche Bank sich "nicht allein darauf beschränken" kann, "gute Geschäfte zu machen"; dass sie im Gegenteil "auf Akzeptanz angewiesen" ist, je größer ihre Gebäude, je abstrakter ihre Produkte, je globaler ihre Geschäfte werden. Sein unternehmerisches Handeln stellt er daher unter "dauernden Begründungszwang". Stets ist er um eine "bestimmte Autorität", um "gesellschaftliche Verantwortung" und um die "Auslegung unserer Funktion" bemüht, also darum, "sich und anderen die Bezogenheit unserer... Einzelaufgabe zum Ganzen" bewusst zu machen. Man könnte auch sagen, dass Alfred Herrhausen der letzte Kapitalist in Frankfurt ist, der ein echtes, ehrliches Interesse an der Einbettung von Quartalszahlen in den gesamtgesellschaftlichen Kontext offenbart: Handlungsreisender und Verantwortungsethiker in einer Person, zugleich homo oeconomicus und zoon politicon, gleichzeitig Globalmanager und demokratievernarrter Patriot. Man kann sich Alfred Herrhausen in den Achtzigerjahren jederzeit als Staatssekretär vorstellen, als Minister, als Chef der Weltbank, des Internationalen Währungsfonds, als Honorarprofessor für Sozialökonomie - oder als Bundespräsidenten. Die meisten Staatschefs würden die meisten seiner Reden gerne halten.
Mit beinahe kindlicher Zuversicht glaubt Herrhausen an eine Identität von Fortschritt und Vernunft, an die Aufwärtsentwicklung einer aufgeklärten Menschheit. Mit der Kant’schen Aufforderung, das Wissen zu wagen, verbindet er die Hoffnung auf eine glückliche Überwindung von Vorurteilen und Ideologien, auf die Rationalität einer Handlungsmoral kraft Verstand, Evidenz und Erfahrung. "Richtiges, fehlerfreies Denken" nennt Herrhausen das. In seinem ständigen Bemühen um eine "Abbildung von Wirklichkeit, so wie sie ist", beruft er sich auf den Philosophen Karl Popper und die Schriftstellerin Ingeborg Bachmann: "Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar."
Natürlich könnte Herrhausen sich dabei auch Jürgen Habermas verpflichtet fühlen; beiden gilt der "Sachverhalt" als kommunikatives Projekt; beide suchen "Wahrheit" im Konsens vernünftiger Sprecher; beide wollen einem freien Diskurs normative Realitäten abgewinnen, mit denen der gesellschaftliche Fortschritt zugleich bezeugt und formiert wird. Nur auf diese Weise, im faktenbasierten Wägen und Wiegen der Tatsachen und Sichtweisen, so Herrhausen, und im Vertrauen auf eine Moral, die bereit ist, sich klug zu machen, können sich die "Dissonanzen des Fortschritts", das "Problem des Umweltschutzes, der Entwicklungsländer, der Frage der Vermögensverteilung" als produktive, "schöpferische Unruhe" erweisen, als "Quelle für neue Kraft zur positiven Veränderung, zur besseren Gestaltung... - wenn wir es wollen".
Alfred Herrhausen war eine Legende
Die ihn am 30. November 1989, an diesem Sonntag vor 25 Jahren, ermorden, wollen es nicht. Wollen nicht sprechen, nicht gestalten, nicht verändern. Wollen sich stattdessen, ideologisch eingebunkert und verpanzert, ihr dunkel-narzisstisches Weltbild erhalten, ihr Ressentiment retten, ihre monströsen Horizontverengungen vor dem Zugriff der Vernunft schützen. Es gehört zur bösen Wahrheit über die RAF, dass sie mit ihren Morden nichts und wieder nichts erreichen will - außer dass alles bleibt, wie es ist. Deshalb schlagen die Terroristen das Gesprächsangebot von Alfred Herrhausen auf denkbar definitive Weise aus; deshalb bringen sie mit Alfred Herrhausen weniger ihr Feindbild um, vielmehr den, der ihr Feindbild zu ruinieren droht. "Herrhausens Pläne gegen die Länder in der Dritten Welt", heißt es im Bekennerschreiben, "die selbst in linksintellektuellen Kreisen als humanitäre Fortschrittskonzepte gepriesen werden, sind nichts anderes als der Versuch, die bestehenden Herrschafts- und Ausplünderungsverhältnisse längerfristig zu sichern."
Das ist nicht fest und entschieden formuliert, sondern despotisch und doktrinär - und zeugt von einer noch größeren Kommunikationsstörung und Sprachlosigkeit als die Bombe, die Alfred Herrhausen das Leben kostet. Es ist deshalb so verständlich wie sinnlos, dass die Angehörigen der Ermordeten noch immer auf eine Erklärung der Mörder warten, dass namentlich Traudl Herrhausen, die zweite Ehefrau des Opfers, den "Mördern meines Mannes" endlich "in die Augen sehen" will. Die Terroristen haben - vielleicht niemals deutlicher als im Falle von Alfred Herrhausen - das, was sie zur "positiven Veränderung" und "besseren Gestaltung" der Gesellschaft beizutragen hatten, ein für alle Mal gesagt: mit ihren Waffen. Der Rest war, ist und bleibt Schutzbunkerschwätzerei, Stadtguerillasermon und Häftlingsbefreiungsschleim.
Alfred Herrhausen braucht nicht mehr als viereinhalb Jahre Zeit an der Spitze der Deutschen Bank und drei große Themen und Ereignisse, um zu einer Legende zu werden. Mit seinem Plädoyer für einen Schuldenerlass und seinem Interesse an globalen Fragen, mit seiner zweifelnden Offenheit in Fragen der Geldkonzentration und Bankenmacht und mit seiner Klarsicht in den Wochen nach dem Mauerfall sichert er sich ein Maß an öffentlicher Anerkennung, wie sie einem deutschen Unternehmenschef seither nicht mehr zuteil wurde.
Als Herrhausen Ende September 1987 auf der Jahrestagung der Weltbank in Washington vor die Presse tritt, verwirft er plötzlich die bis dahin gängige Politik des billigen Geldes, die die Entwicklungs- und Schwellenländer zur Aufnahme immer neuer Kredite und zur Begleichung immer neuer Zinsen, kurz: ins Joch des ewigen Schuldendienstes, zwingt. Herrhausen spricht von einem "anderen Lösungsansatz" - und davon, dass auch die "Banken gewisse Opfer bringen" müssen. Während Eine-Welt-Engagierte ihren Ohren nicht trauen, westliche Regierungsvertreter vor einem "Präzedenzfall" warnen und deutsche Bankvorstände eine "Schnapsidee" weglachen, tritt Herrhausen in den folgenden Wochen sachlich, kühl und überlegt den Beweis für die "Richtigkeit" seines Denkens an: Es gehe darum, dass die Schuldnerländer ihre Kreditwürdigkeit und "Marktqualität" zurück gewinnen, so Herrhausen, "was viele zukünftige geschäftliche Möglichkeiten eröffnet".
Herrhausen ist ganz begeistert von Debt Equity Swaps, die die Umwandlung von Schulden in Beteiligungskapital erlauben - oder von Debt for Nature Swaps, mit denen sich der Schuldenverzicht an die Einhaltung von Umweltschutzzielen knüpfen ließe: "Denken wir nur an die Urwaldgebiete oder die afrikanische Savanne", so Herrhausen: "Wäre hier nicht eine Sichtweise angebracht, wonach solche Groß- Biotope den Ländern, auf deren Territorien sie liegen, gleichsam als Treuhandgut der ganzen Menschheit überantwortet sind, weil die gegenseitige Abhängigkeit aller auf dem Raumschiff Erde, auf dem wir leben, gerade in der ökologischen Herausforderung in nicht zu überbietender Weise sichtbar wird?"
Die Macht der Banken, das bin ich
Herrhausen ist kein Träumer. Kaum hat er die Biotop-Idee eingeführt, stellt er klar, dass es selbstverständlich "keinen... Konflikt zwischen Marktwirtschaft und Umweltschutz" gibt, im Gegenteil: "Effizienter Umweltschutz ist erst möglich durch den Einsatz marktwirtschaftlicher Instrumente, die den Preismechanismus und damit das Eigeninteresse des Verursachers zur Linderung der Umweltprobleme nutzen." Auch der Vorwurf, dass die Deutsche Bank bereits einen Großteil ihrer Kredite an die Schuldnerländer abgeschrieben habe und sich einen Wettbewerbsvorteil verschaffen wolle, ficht Herrhausen nicht an: Das Wohlergehen seines Unternehmens schließt die Sorge um den Planeten nicht aus.
Herrhausen ist sich der Kritik an der eminenten Macht der Deutschen Bank jederzeit bewusst. Aber er sieht überhaupt nicht ein, sich dieser Macht zu schämen. "Ja, wir haben Macht", pflegt er zu tönen, während die Kollegen lieber "Einfluss" flüstern - das Entscheidende sei doch wohl, wie verantwortungsvoll man mit Macht umgehe. Herrhausen warnt die Deutschen davor, einen "Popanz aufzubauen"; schließlich sei sein Institut im Weltmaßstab alles andere als "omnipotent". Das stimmt - einerseits. Andererseits ist die Deutsche Bank im Inland schon damals der unangefochtene Branchenprimus. Die Vorstände und Direktoren sitzen in 400 Aufsichtsräten; die Bank selbst ist unter anderem an Daimler-Benz (28 Prozent), Klöckner (100), Holzmann (35), Karstadt, Horten (je 25), Roland Berger (75) und Südzucker (23) beteiligt.
In Berlin erzählt man sich, dass Herrhausen 1983 die Regierungserklärung von Helmut Kohl mit verfasst hat. Herrhausen selbst ist von Hybris nicht frei, rückt sich in die Nähe eines Sonnenkönigs: "Die Macht der Banken, ...das bin ich." Als Manager kalkuliert er kühl sein Gewicht: "Die Wirtschaft ist gut beraten, wenn sie kompetenten Sachverstand abruft." Als Citoyen gibt er zu bedenken: "Was den rationalen Diskurs über solche Fragen so schwierig macht, ist der suggestive Charakter der Sprache. Wenn von Macht die Rede ist, klingt immer gleich der Verdacht von Machtmissbrauch durch." Sicher, sagt Herrhausen: "Man muss Macht auch wollen." Sein letztes Motiv aber, bei allem, was er tue, sei "das Bemühen, einen optimalen Sachbeitrag zu leisten".
Als die Mauer fällt, ist Herrhausen sogleich zur Stelle. Während Außenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) zehn Tage nach der Grenzöffnung von "zwei deutschen Staaten" spricht, die in der Europäischen Gemeinschaft aufgehen sollen, empfiehlt Herrhausen der Politik, die "Wiedervereinigung" jetzt offensiv zu wollen: "Warum hat sich das alles so ergeben in der DDR...? Weil die Menschen... ein anderes System wollen. Wenn das so ist, dann sollten wir nichts tun, was diesen Schwung erlahmen lässt." Herrhausen hat nicht den leisesten Zweifel an der Überlegenheit von Marktwirtschaft und Demokratie; die Ereignisse selbst sind ihm der Beweis dafür.
"Geschichte" hat für Herrhausen kein Ziel und kein Ende, ist nur als Prozess verstehbar, als evolutionäre Entwicklung, die sich offenbart in dem, was wir tun. Herrhausen widerspricht daher entschieden Francis Fukuyamas Steilthese vom "Ende der Geschichte" - und erfasst den Kollaps des Ostblocks blitzschnell als historische Chance, sich endlich den "wirklichen Problemen dieses Globus" zuzuwenden: "Niemals hat sich die Menschheit größeren Herausforderungen gegenüber gesehen..., die Nord-Süd-Problematik, die technologische Revolution, die ökologische Frage..., und dies alles zur gleichen Zeit. Für aktive Menschen, die etwas bewirken wollen, ist es eine Lust, zu leben."
Allein als Manager ist Herrhausen dieses Leben zuweilen eine Last, ausgerechnet, hier scheitert er, zumindest teilweise. Im Mai 1988 avanciert er zum alleinigen Vorstandssprecher der Deutschen Bank - und sieht als Chefaufseher bei Daimler tatenlos zu, wie der Kollege Edzard Reuter sich in Stuttgart einen "integrierten Technologiekonzern" zurechtzimmert. Auch im eigenen Haus, das damals in etwa so modern ist wie ein britischer Herrenclub, treibt Herrhausen die "Diversifizierung" des Geschäfts voran. Die Zahl der Privatkunden ist auf 5,5 Millionen gestiegen, die Filialen erwirtschaften 83 Prozent des Gewinns, aber das Firmengeschäft lahmt, die Entwicklung innovativer Finanzprodukte geht nur schleppend voran. Herrhausen drängt auf die Internationalisierung der Bank, ihren Einstieg ins Investmentgeschäft, ihren Umbau zum Allfinanzkonzern, kurz: Er vollendet den deutschen Ledersessel-Kapitalismus mit der Deutschen Bank als Spinne im Beteiligungsnetz - und er sucht ihn zugleich zu überwinden mit dem, was er "banking around the globe, around the clock" nennt.
Zwei Tage vor seinem Tod blitzt er mit seinen umfangreichen Renovierungsarbeiten im Vorstand ab. Herrhausen ist den Kollegen zu schnell, zu schneidend, zu selbstverliebt; sie nennen ihn "Ikarus" und "Herrgott", beklagen sich über seine Verantwortungssucht, seinen intellektuellen Stolz und seinen Hochmut, ständig darüber zu befinden, wer richtig denkt - und wer nicht. Herrhausen droht mit Rücktritt. Keiner sucht ihn zurückzuhalten. Am 30. November 1989 macht er sich, pünktlich um halb neun, wie immer, auf den Weg zur Sitzung, die über sein weiteres Berufsleben entscheidet. Schmeißt Herrhausen hin? Holt Helmut Kohl ihn nach Bonn? Zwei Minuten später zünden die Terroristen die Bombe.