Gut drei Wochen nach dem Putschversuch in der Türkei hat Deutschland einen Staatssekretär und damit erstmals einen Vertreter der Bundesregierung nach Ankara geschickt. Aus türkischen Regierungskreisen wurde am Montag Enttäuschung darüber laut, dass nicht Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier persönlich anreiste. Man hätte einen ranghöheren Besuch erwartet, sagte ein Regierungsvertreter der Deutschen Presse-Agentur in Istanbul. Mit Spannung wurde ein Besuch von Präsident Recep Tayyip Erdogan an diesem Dienstag bei Kremlchef Wladimir Putin in Russland erwartet.
Staatssekretär Markus Ederer aus dem Auswärtigen Amt trat in Ankara dem in der Türkei verbreiteten Eindruck entgegen, Deutschland habe nicht eindeutig Position gegen den Umsturzversuch bezogen. Die Bundesregierung „hat sich sehr früh sehr klar gegen diesen Militärputsch gestellt“, betonte er. Die Bundesregierung unterstütze die legitime Aufarbeitung des Putschversuches, diese müsse aber verhältnismäßig sein. „Rechtsstaatlichkeit ist das Gebot der Stunde.“
Seit dem Putschversuch hat noch kein EU-Außenminister die Türkei besucht, um Solidarität mit der Regierung zum Ausdruck zu bringen. Staatspräsident Erdogan erneuerte seine Kritik am Westen, der seiner Meinung nach nur unzureichend auf den gescheiterten Putsch Mitte Juli reagierte. US-Außenminister John Kerry werde am 24. August in die Türkei kommen. „Das ist spät, zu spät. Das macht uns traurig“, sagte Erdogan „Le Monde“ (Montag).
Wie wirkt der Ausnahmezustand in der Türkei über die Grenzen hinaus?
Zehntausende Soldaten und Staatsdiener sind in der Türkei bereits entlassen oder verhaftet worden. Jetzt ist der Ausnahmezustand auch offiziell verkündet. Die Situation nach dem gescheiterten Putschversuch könnte auch hierzulande spürbar werden.
Die Bundesregierung beobachtet die Vorgänge in der Türkei mit zunehmender Besorgnis. Das rigorose Vorgehen der türkischen Regierung nach dem gescheiterten Putschversuch „übersteigt eine angemessene und verhältnismäßige Antwort“, sagte Innenminister Thomas de Maizière am Donnerstag. Eine Fluchtbewegung von Oppositionellen gibt es zwar noch nicht, das kann sich aber ändern.
Quelle: dpa
Jeder, der sich politisch verfolgt fühlt, kann Asyl in Deutschland beantragen. Die Zahl der asylsuchenden Türken war bisher relativ gering. Im ersten Quartal 2016 gingen bei den Behörden gerade mal 456 Anträge ein. Das ist Platz 20 in der Rangliste der Herkunftsländer. Die Anerkennungsquote lag im vergangenen Jahr bei 1,9 Prozent und damit höher als der Durchschnitt aller Länder von 0,7 Prozent.
Das mag sein, generell kann man das aber nicht sagen. Letztlich kommt es auf den Einzelfall an - zum Beispiel ob jemand nachweisen kann, dass Freunde oder Verwandte bereits verhaftet worden sind. Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl geht davon aus, dass die Behörden in Deutschland angesichts der unübersichtlichen Lage in der Türkei Entscheidungen über Asylanträge von dort zunächst zurückstellen. Das werde bei Putschversuchen oder gerade ausbrechenden Bürgerkriegen meistens so gemacht, sagt Bernd Mesovic von Pro Asyl.
Die Türkei hat sich dazu verpflichtet, Flüchtlinge zurückzunehmen, die versuchen, über die Ägäis nach Griechenland zu kommen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) geht davon aus, dass die Vereinbarungen von den Ereignissen in der Türkei nicht berührt werden. Grundlage des Abkommens bleibe, „dass wir Sicherheiten haben für die Menschen, die von Griechenland zurückgeschickt werden in die Türkei“, sagte sie am Mittwochabend. „Ich habe bis jetzt keinerlei Anzeichen, dass die Türkei an dieser Stelle nicht zu den Verpflichtungen steht.“ Die Entwicklung werde aber sehr intensiv beobachtet.
Das wird nicht in Zweifel gezogen. Die Türkei ist 1952 der Nato beigetreten und damit noch vor der Bundesrepublik Deutschland. Alle drei Militärputsche in der Türkei - 1960, 1971 und 1980 - hatten keinen Einfluss auf die Nato-Mitgliedschaft. Aus Nato-Sicht ist entscheidend, dass die Türkei ihre Verpflichtungen im Verteidigungsbündnis erfüllt. Das ist bisher der Fall. Allerdings versteht sich die Nato auch als politisches Bündnis. Deswegen können auch ihr Verstöße gegen Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit nicht egal sein.
Bisher macht die Bundesregierung keinerlei Anstalten, die 240 auf der Luftwaffenbasis Incirlik stationierten deutschen Soldaten abzuziehen. Sie sind mit „Tornado“-Aufklärungsflugzeugen und einem Tankflugzeug an den Angriffen auf die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) beteiligt. Die Soldaten bekommen von der Lage im Land nur wenig mit, verlassen ihren Stützpunkt nur selten zu dienstlichen Zwecken. Die Zusammenarbeit mit der Türkei im Kampf gegen den IS funktioniert und wird bisher auch nicht in Frage gestellt.
Die EU hat eine rote Linie gezogen: Wird die Todesstrafe wieder eingeführt, ist für die Türkei kein Platz in der Europäischen Union. Aber auch unabhängig davon ist ein Beitritt derzeit unrealistischer denn je. Zu weit ist die Türkei von den Standards entfernt, die von der EU beim Thema Rechtsstaatlichkeit verlangt werden.
Das Grundgesetz sah ursprünglich keinen Ausnahmezustand oder Notstand vor. 1968 setzte die damalige große Koalition mit ihrer Zwei-Drittel-Mehrheit gegen den erbitterten Widerstand der selbsternannten außerparlamentarischen Opposition (APO) 28 Grundgesetzänderungen durch, die so genannten Notstandsgesetze. Danach dürfen bei einer existenziellen Bedrohung des Bundes oder eines Landes oder bei einer Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung per Gesetz - also nur mit Zustimmung des Bundestages - die Freizügigkeit sowie das Brief- und Fernmeldegeheimnis eingeschränkt werden. Zudem darf die Bundeswehr im Inneren unter bestimmten Bedingungen eingesetzt werden.
Erdogan hatte am Sonntagabend bei einer Großkundgebung in Istanbul gegen den Putsch erneut Vorwürfe gegen Deutschland erhoben. Er kritisierte, dass er sich bei der türkischen Kundgebung in Köln am Sonntag vor einer Woche nicht per Videoleinwand zuschalten durfte. „Wo ist die Demokratie?“, fragte Erdogan. Den deutschen Behörden warf er vor, bei einer früheren Veranstaltung in Köln eine Videoschalte der PKK zugelassen zu haben. „Sollen sie die Terroristen nur ernähren“, sagte er. „Wie ein Bumerang wird es sie treffen.“
Zum Besuch Ederers sagte die Vize-Sprecherin des Auswärtigen Amts, Sawsan Chebli, in Berlin: „Wir sind der Meinung, dass es wichtig ist, mit der Türkei ins direkte Gespräch zu kommen.“ Man wolle nicht nur „über Megaphone und Mikrofone“ miteinander sprechen.
Auf Annäherung stehen indes die Zeichen im zerrütteten Verhältnis zwischen der Türkei und Russland. Im Glanz der früheren Zarenmetropole St. Petersburg wollen Erdogan und der russische Präsident Putin nach türkischer Darstellung einen „historischen Neuanfang“ wagen. Der Kreml teilte mit, es werde mehr als genug Themen zu besprechen geben. Dokumente sollten jedoch nicht unterschrieben werden, sagte Putins Berater Juri Uschakow.
Die Türkei hatte Ende November einen russischen Kampfjet im Grenzgebiet zu Syrien abgeschossen. Moskau hatte daraufhin Sanktionen gegen Ankara verhängt. Ende Juni hatte Erdogan schließlich sein Bedauern bekräftigt und damit den Weg für ein Ende der Eiszeit bereitet. Kurz vor Erdogans Russland-Reise hoben die türkischen Behörden als Zeichen des Guten Willens eine Sperre für das staatliche russische Nachrichtenportal Sputnik wieder auf.