Umfrage zur Gerechtigkeit Deutsche schwärmen für Chancengleichheit

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Die Politik soll für Gerechtigkeit sorgen

Welchen Institutionen die Deutschen vertrauen
Platz 12: ParteienDas geringste Vertrauen haben die Deutschen mit gerade einmal 16 Prozent in ihre Parteien – mal wieder. Regelmäßig landen die Parteien im Vertrauensranking auf dem letzten Platz. Die in letzter Zeit sich häufenden Plagiatsaffären bekannter Politiker sind nicht gerade hilfreich dies zu ändern. Auch die Kredit-Affäre um die ehemaligen Bundespräsidenten hat dem Image der Politik und der Parteien geschadet.Alle Werte stammen aus einer Umfrage der Gesellschaft für Konsumforschung. Die vollständige Studie finden Sie hier. Quelle: dpa
Platz 11: Internationale KonzerneGerade einmal 26 Prozent vertrauen noch den größten Arbeitgebern im Land. Oft haben große Unternehmen mit Korruptions-Affären das Vertrauen vieler Anleger verspielt. In Deutschland kämpfte Siemens lange Zeit mit kompromittierenden Nachrichten bezüglich nebulöser Geldflüsse. Auch Volkswagen und Porsche gerieten in den Fokus, als Porsche Ambitionen meldete den viel größeren VW-Konzern zu übernehmen. Eon und RWE geraten immer wieder unter Verdacht die Energiewende mithilfe der Politik auf die Verbraucher abzuwälzen. Quelle: dapd
Platz 10: InternetNur etwas mehr als jeder dritte Deutsche (34 Prozent ) vertraut dem World Wide Web. Vielen ist es unbehaglich, dass sich schnell wachsenden Internetunternehmen wie Google oder Facebook in ihre Privatsphäre einnisten und ihre Nutzer zunehmend ausspähen. Sei es Google Steet View oder das soziale Netzwerk Facebook, dass persönliche Daten auch nach Löschung eines Account behält. Dass wofür das Internet eigentlich sorgen sollte, verhindern gerade die Pioniere des Internets. Die Transparenz. Denn für die Internetnutzer ist nur schwer nachvollziehbar, was die Riesenfirmen mit ihren Daten anstellen. Quelle: dpa
Platz 9: RegierungMit diesem Ergebnis wäre Angela Merkel wohl nicht Bundeskanzlerin geworden. Nur 34 Prozent der Deutschen vertrauen der derzeitigen Regierungen. Die Bundeskanzlerin leidet unter demselben Problem wie das Internet. Mangelnde Transparenz lässt viele deutsche Wähler gegenüber der Fähigkeit und Ehrlichkeit misstrauisch werden. Immerhin zeigt sich im Vergleich zum Vorjahr eine leichte Verbesserung. 2012 lag das Regierungsvertrauen bei gerade einmal 29 Prozent. Quelle: AP
Platz 8: EuroIn diesen Jahr als neue Kategorie hinzugefügt wurde der Euro. Die Gemeinschaftswährung belegt einen Platz im unteren Mittelfeld. 38 Prozent der Befragten vertrauen dem Euro. In Zeiten der Krise der europäischen Gemeinschaftswährung ein beachtlicher Wert. Quelle: dpa
Platz 7: KirchenIm letzten Jahr sorgten zahlreiche Missbrauchsfälle in kirchlich geführten Internaten für internationale Empörung. Priester und Bischöfe, die als moralische Instanz gelten, haben sich an Kindern vergriffen. Die komplette Aufklärung, die die Kirchenoberhäupter in Deutschland versprachen, folgte nicht. Im Gegenteil: In die Aufklärung eingebundene Wissenschaftler wurden entlassen, weil die Ergebnisse nicht den Vorstellungen der Kirche entsprachen. In der Folge traten viele Deutsche aus der Kirche aus, das Vertrauen in die Institution sank auf 39 Prozent. Quelle: dpa
Platz 6: MedienIm Vergleich zum Vorjahr ist das Vertrauen in die Medien mit 43 Prozent leicht gesunken. Insgesamt ist die Lage in der Medienlandschaft keine einfache. Besonders Zeitungen leiden unter dem Siegeszug des Internets. Daran sind die großen Verlage aber nicht ganz unschuldig. Unüberlegt haben sich alle Zeitungen während des Internet-Hypes auf das neue Format geworfen ohne wirklich funktionierende Strategien zu entwickeln. Die Nachwehen dieser Euphorie bekommen sie nun zu spüren. Quelle: dpa

Radikal egalitäre Ziele, wie sie etwa in der Forderung der Linkspartei nach "Reichtum für alle" zum Ausdruck kommen, hat die Mehrheit nicht. 70 Prozent unterstützen die Forderung "Wer mehr leistet, soll auch mehr verdienen als derjenige, der weniger leistet". Nur neun Prozent halten eine Gesellschaft für gerecht, "in der es keine großen Einkommensunterschiede gibt". Das Leistungsprinzip wird von den meisten auch mit den sozialen Sicherungssystemen verknüpft: 76 Prozent halten es für ungerecht, wenn Geringverdiener nur unwesentlich mehr Geld bekommen als Arbeitslose. „Die große Mehrheit möchte keine egalitäre Gesellschaft, sondern akzeptiert soziale Unterschiede – aber unter der Bedingung, dass auch, vor allem über politische Maßnahmen, ein sozialer Ausgleich erfolgt“, sagt Allensbach-Chefin Renate Köcher.

Dass sie eine nach dem Leistungsprinzip sozial differenzierte Gesellschaft prinzipiell für gerecht halten, heißt allerdings nicht, dass die Deutschen das real existierende Ausmaß der sozialen Ungleichheit gutheißen. "Die große Mehrheit ist seit Jahren überzeugt, dass die sozialen Unterschiede kontinuierlich wachsen und ein ungesundes Maß erreicht haben", heißt es in der Untersuchung. Verantwortlich dafür machen die Bürger offenbar aber weniger die Unternehmen als vielmehr die Politik. 65 Prozent glauben, dass die Politik mehr als die Wirtschaft dazu beitragen könnte, "dass es gerecht zugeht". Interessanterweise wird dem Staat, beziehungsweise dem Steuersystem unterstellt, dass es die sozialen Unterschiede vergrößert (73 Prozent).

Wegweiser durch den Steuer-Basar
Bundeskanzlerin Angela Merkel Quelle: dpa
FDP Bundesvorsitzende Philipp Rösler Quelle: dpa
Peer Steinbrück, designierter SPD-Kanzlerkandidat Quelle: dpa
Die Spitzenkandidaten Katrin Göring-Eckardt und Jürgen Trittin Quelle: dpa
Abstimmung bei den Linken Quelle: dpa

Die Deutschen wünschen sich offenbar einen starken, eingreifenden Staat, der noch mehr als bisher die Ungleichheiten besänftigt, die im Wirtschaftsleben produziert werden. Die Frage, die die Untersuchung nicht beantworten kann, ist, inwieweit diese enorme Erwartungshaltung, die entsprechend hohes Enttäuschungspotenzial mit sich bringt, von den Parteien auch selbst provoziert wird. Wer wie die politischen Parteien in den Wahlkämpfen viel Gerechtigkeit verspricht, von dem wird auch erwartet, dass er dafür sorgt. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Ergebnis seines Handelns mehr Enttäuschung als Zufriedenheit bewirkt, ist groß.

Ein wenig Dampf aus dem politischen Gerechtigkeitsdiskurs abzulassen, forderten daher schon vor dem letzten Bundestagswahlkampf Ulrike Meyer und Rainer Maria Kiesow vom Max-Planck-Institut für Rechtsgeschichte in ihrem Forschungsprojekt die "Diktatur der Gerechtigkeit". Gegen Gerechtigkeit als Supernorm gibt es durchaus vernünftige Vorbehalte. Vor allem den, dass die Allgegenwart des Anspruchs auf Gerechtigkeit aufgrund politischer Propaganda im Widerspruch steht zu der von vielen Soziologen, Politologen und Juristen gewonnenen Überzeugung, dass es eine verallgemeinerbare Substanz von Gerechtigkeit überhaupt nicht gibt. Gerechtigkeit sei "eine ,normative Black Box', in die alles und nichts hineingelegt und -gelesen werden kann", schreiben Kiesow und Meyer.
Sie sind nicht die ersten, die das erkannt haben. Der positivistische Rechtstheoretiker Hans Kelsen (1881-1973) stellte in einem berühmten Aufsatz sich selbst dieselbe Frage wie das Allensbach-Institut den Deutschen - "Was ist Gerechtigkeit?" Seine Antwort: nur "inhaltsleere Formeln". Dafür, dass die Gesellschaft funktioniert, so Kelsen, ist allenfalls "relative Gerechtigkeit" wichtig, in anderen Worten: Toleranz für die Ungleichheit.

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