Whistleblower Gute Gier gegen schlechte Gier

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Neue Goldgrube für Kanzleien

Whistleblower-Rechtsanwalt Jordan Thomas hat in seinem Wolkenkratzer-Büro an der Südspitze von Manhattan alles Wichtige gut im Blick: Im Büro hat er seine Vorbilder versammelt – die Wände sind zugepflastert mit Plakaten von Hollywood-Streifen, in denen heimliche Informanten die Helden sind. Draußen, vor den bodentiefen Fenstern, erstreckt sich der Finanzdistrikt von New York. Dort rekrutiert Thomas seine Klienten, und hier schlagen deren Enthüllungen oft ein wie Bomben.

Der 44-Jährige gehört zu den führenden Whistleblower-Anwälten. Wie viele SEC-Informanten er derzeit vertritt, will er nicht sagen. „Jeden Tag melden sich etliche potenzielle Klienten“, verrät Thomas – mehr nicht. Auch nicht, aus welchen Unternehmen oder Banken seine Klienten kommen. Und schon gar nicht, wer diese Mandanten sind: „Anonymität ist für meine Mandanten das Wichtigste“, sagt er. „Sie fürchten, dass sie sonst beruflich erledigt sind.“

Der einstige Aktienhändler und Rechtsanwalt der US-Kriegsmarine weiß, wie der Hase läuft: Er war Strafverfolger im US-Justizministerium. Danach lernten ihn unter anderem der inzwischen abgewickelte Energiekonzern Enron, die US-Bank Fannie Mae, die UBS und die CitiGroup als Fahnder und Ankläger der SEC kennen.

Aber je länger Thomas als Vize-Chef der SEC-Vollzugsabteilung arbeitete, umso mehr verstärkte sich sein Eindruck, gegen eine Hydra zu kämpfen: „Ein Bösewicht ist weg, zwei weitere tauchen auf – in immer kürzerer Abfolge.“ Mehr und mehr habe er begonnen, „über die Effizienz der Strafverfolgung nachzudenken“. Wolle man Wirtschaftsverbrechen effektiv bekämpfen, so seine Schlussfolgerung, müsse man möglichen Zeugen die Angst nehmen und ihnen Schutz vor wirtschaftlichem Ruin bieten.

Thomas entwickelte das neue Whistleblower-Programm der SEC maßgeblich mit, bevor er 2011 zur New Yorker Kanzlei Labaton Sucharow wechselte. Seither bringt er im Auftrag von Whistleblowern deren Fälle bei der SEC vor. Die Informanten könnten sich auch ohne Anwalt an die SEC wenden. Die meisten wollen aber Fehler vermeiden, anonym bleiben und wenden sich an Experten wie Thomas.

Mit dem Seitenwechsel dürfte Thomas sein Gehalt vervielfacht haben. Denn das Whistleblowing bietet Verdienstchancen, die selbst für New Yorker Wirtschaftsanwälte ungewöhnlich sind. „Whistleblowing ist die neueste Goldgrube“, sagt ein Washingtoner Rechtsanwalt: „Die Summen, die wir verdienen, sind fast schon obszön.“ Die Anwälte arbeiteten fast ausnahmslos auf Erfolgsbasis. Wird eine Belohnung ausgezahlt, erhalten sie davon 30 bis 40 Prozent. Hinzu kämen „sehr ansehnliche“ Stundensätze: „Die meisten rechnen im Schnitt 400 bis 500 Dollar pro Stunde ab.“

Whistleblowing-Experte Tom Devine, Direktor für Rechtsfragen bei der Washingtoner Bürgerrechts-Organisation Government Accountability Project (GAP), sieht „einen Traum wahr werden für die Anwaltsprofession: Erstmals können Rechtsanwälte stolz darauf sein, reich zu werden.“ Früher hingegen, sagt Devine augenzwinkernd, habe man für die Mafia arbeiten müssen, um so gut zu verdienen.

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