Banken auf beiden Seiten des Ärmelkanals gehören schon jetzt zu den größten Verlierern des Austritts Großbritanniens aus der EU. Analysten stufen nicht nur britische, sondern auch andere europäische Banken und US-Investmentbanken massenhaft herab, Börsianer warfen deren Aktien aus den Portfolios. Die Hoffnung auf steigende Zinsen in Europa sei in noch weitere Ferne gerückt, und die Konjunktur werde sich zumindest auf der Insel eintrüben, heißt es in vielen Studien. Die Kapitalkosten für die Banken dürften steigen. Der europäische Banken-Index, der am Freitag um 15 Prozent eingebrochen war, sackte um weitere 7,7 Prozent auf den niedrigsten Stand seit der Euro-Schuldenkrise vor vier Jahren.
Die Deutsche-Bank-Aktie fiel um bis zu 9,7 Prozent auf ein Allzeittief von 12,07 Euro. Auch die Commerzbank -Aktie kam unter die Räder: Sie fiel um 5,8 Prozent auf 5,84 Euro. Noch schlimmer getroffen wurden die britischen Geldhäuser. Barclays fielen um 18 Prozent, Royal Bank of Scotland (RBS) verloren mehr als ein Viertel ihres Wertes auf 152 Pence, den tiefsten Stand seit siebeneinhalb Jahren. Als relativ "sicherer Hafen" gelten dagegen die auf Asien ausgerichteten Investmentbanken HSBC (minus 1,9 Prozent) und Standard Chartered (minus 6,1). RBC Capital kürzte die Kursziele für britische Banken pauschal um 30 Prozent.
+++ Britisches Pfund fällt auf Tiefstand +++
Das Britische Pfund ist am Montag weiter unter Druck geraten und noch unter den Stand vom Freitag direkt nach dem Brexit-Votum gefallen. Am Montagmittag kostete die britische Währung noch 1,3222 US-Dollar und damit so wenig wie seit 1985 nicht mehr. Am Freitag hatte das Pfund nach dem Ja der Briten zum Austritt aus der Europäischen Union mehr als 11 Prozent an Wert verloren und war bis auf 1,3229 Dollar gefallen. Ausschlaggebend war, dass die Märkte von einem Verbleib des Landes in der EU ausgegangen waren und vom Brexit komplett auf dem falschen Fuß erwischt wurden.
+++ Brexit trifft auch deutschen Arbeitsmarkt +++
Der Brexit wird nach Einschätzung von Volkswirten deutscher Großbanken auch für den deutschen Arbeitsmarkt nicht ohne Folgen bleiben. Gerade in der von Großbritannien abhängigen Exportindustrie könnten künftig zunächst geplante Stellen unbesetzt bleiben und damit den seit Jahren anhaltenden Beschäftigungsaufbau bremsen, erklärten Ökonomen in einer Umfrage der Deutschen Presse-Agentur. Im schlimmsten Fall könnte auch die Arbeitslosigkeit steigen, warnen die Fachleute.
Das sagen Ökonomen zum Brexit-Entscheid
„Wir müssen einen sanften Übergang in eine neue wirtschaftliche Beziehung sicherstellen. Der IWF unterstützt die Bank von England und die Europäische Zentralbank darin, für die nötige Liquidität des Bankensystems zu sorgen und Schwankungen nach der Abstimmung zu begrenzen.“
„Der Brexit ist für die deutsche Wirtschaft ein Schlag ins Kontor.“
„Die Briten werden die Ersten sein, die unter den wirtschaftlichen Folgen leiden werden.“
„Wir erwarten in den kommenden Monaten einen deutlichen Rückgang des Geschäfts mit den Briten. Neue deutsche Direktinvestitionen auf der Insel sind kaum zu erwarten.“
„Nach einem EU-Austritt sollte niemand Interesse daran haben, mit Zollschranken zwischen Großbritannien und dem Festland den internationalen Warenverkehr zu verteuern.“
„Es wird nicht lange dauern, bis unsere Maschinenexporte nach Großbritannien spürbar zurückgehen werden.“
„Weniger Wirtschaftswachstum in den EU-Staaten und ein schwächeres Exportgeschäft werden die Konsequenzen sein.“
„Die EU-Staats- und Regierungschefs müssen schnell die dringend erforderlichen Reformen für mehr Wettbewerbsfähigkeit und Fairness im EU-Binnenmarkt in Angriff nehmen.“
"Es kommt jetzt darauf an, ob wir eine saubere oder eine schmutzige Scheidung bekommen. Es geht vor allem darum, ob Großbritannien nach einem Verlassen der EU den Zugang zum EU-Binnenmarkt behält. Wichtig ist, dass die EU jetzt nicht die beleidigte Leberwurst spielt. Sie sollte ein starkes Interesse daran haben, mit den Briten in den kommenden zwei Jahren eine saubere Trennung zu vereinbaren. Das Land ist zweitwichtigster Handelspartner der EU, nach den USA und vor China. Die EU hat ein großes wirtschaftliches Interesse daran, Zölle im Warenhandel zu vermeiden und das Land im Binnenmarkt zu behalten.
Der Brexit stellt auch ein politischen Risiko für die EU dar. Denn das wird den Anti-EU-Parteien in vielen EU-Ländern Rückenwind geben. Die Regierungen werden noch weniger als bisher mehr Europa wagen, so dass die Probleme der Währungsunion weitgehend ungelöst bleiben. Was die EZB mehr denn je zwingt, die Probleme durch eine lockere Geldpolitik zu übertünchen.
Der Brexit schafft Unsicherheit und ist insofern schlecht für die deutsche Wirtschaft. Aber wir erwarten nicht, dass der Euro-Raum in die Rezession zurückfällt. Das gilt auch für Großbritannien und erst recht für den Fall, dass sich allmählich eine saubere Scheidung abzeichnet."
"Jetzt kommt eine große Phase der absoluten Unsicherheit. Denn etwas Vergleichbares hatten wir noch nicht. Unsicherheit ist schlecht für die Wirtschaft." Der Aufschwung in Großbritannien dürfte nun weitgehend zu Ende sein, in der Euro-Zone werde er sich abschwächen. Hersteller von Investitionsgütern wie Maschinen und Autos dürften die Folgen stärker spüren. "Deutschland ist also stärker betroffen als beispielsweise Spanien", sagte Schmieding.
"Die Entscheidung der britischen Wähler für den Brexit ist eine Niederlage der Vernunft", sagte er. "Die Politik muss jetzt alles tun, um den wirtschaftlichen Schaden zu begrenzen. Dazu gehört es, sicherzustellen, dass Großbritannien so weit wie möglich in den Binnenmarkt integriert bleibt." Es sei wichtig, die Verhandlungen darüber möglichst schnell zum Abschluss zu bringen, damit die Phase der Unsicherheit über die künftigen Wirtschaftsbeziehungen möglichst kurz bleibe.
"Die Finanzmärkte werden einige Tage brauchen, um den Schock zu verarbeiten. Die Politik muss jetzt versuchen, das Beste aus einer Entscheidung zu machen, die die EU schwächt. Das wird lange brauchen. Und so lange wird Unsicherheit das Geschehen prägen, zumal die Fliehkräfte in anderen EU-Ländern stärker zutage treten werden. Das Ergebnis kann auch die Nicht-Mainstream-Parteien in Spanien stärken, wo am Sonntag gewählt wird. Bis gestern hatte Europa ein Problem, jetzt ist erst mal Panik."
"Das Ergebnis des Referendums ist kein gutes Signal für Europa. Aber es ist vor allem kein gutes Signal für Großbritannien. Die politischen Strukturen der EU sind stark. Und anders als bei einem 'Grexit', also dem Ausscheiden eines Landes aus der Währungsunion, für das es keine rechtliche Grundlage gibt, ist die Prozedur für das Ausscheiden eines Landes aus der EU rechtlich klar geregelt. Die Folgen für den europäischen Integrationsprozess werden weniger gravierend sein, als jetzt oft vorschnell beschrieben. Auch wenn es schwierig wird: Die EU kann einen Austritt Großbritanniens verkraften.
Innerhalb Europas sollte der Fokus der nächsten Monate auf der Vertiefung des Euro-Raums liegen. Die Euro-Krise ist immer noch nicht ausgestanden. Die EZB hat die Grenze ihres Mandats erreicht. Nun müssen sich die Euro-Länder so schnell wie möglich auf einen Stabilisierungsplan einigen, der sowohl mehr Risikoteilung (vor allem schwierig für Deutschland) als auch mehr Souveränitätsteilung (vor allem schwierig für Frankreich) umfasst. Allerdings ist für einen solchen Plan kaum Zeit."
"Jetzt wird es turbulent an den Finanzmärkten. Das Pfund ist bereits auf einem 30-Jahres-Tief gegenüber dem Dollar. In absehbarerer Zeit sollten wir aber wieder eine Erholung sehen. Die Finanzmärkte fragen sich jetzt: Wie sieht das neue Verhältnis zwischen EU und Großbritannien aus? Die Briten könnten künftig Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) werden, wie Norwegen. Ich gehe nicht davon aus, dass das Verhältnis EU-Großbritannien damit beendet ist. Die EU wird das Land nicht am langen Arm verhungern lassen.
Mit dem heutigen Tag ändert sich erst einmal gar nichts. Es wird jetzt Verhandlungen mit der EU geben. So lange bleibt GB Vollmitglied der EU, also die nächsten zwei Jahre. Ich gehe nicht davon aus, dass sich die wirtschaftliche Lage dramatisch verändern wird. Die Briten dürften es aber merken: Die dortigen Unternehmen dürften jetzt Investitionen überdenken. Aber ich denke nicht, dass das Land nun in eine Rezession fällt."
+++ Japan profitiert von Brexit +++
Die Unruhe nach der Brexit-Abstimmung dürfte in Japan Experten zufolge der Partei von Ministerpräsident Shinzo Abe bei den Oberhauswahlen am 10. Juli zugutekommen. "In unruhigen Zeiten setzt der japanische Wähler auf Stabilität", sagt Gerry Curtis von der Columbia University. Am Wochenende hatte Abe vor politischen Abenteuern mit anderen Parteien gewarnt.
+++ Wirtschaftsbeziehungen aufrecht erhalten +++
Die deutsche Wirtschaft dringt darauf, die engen Wirtschaftsbeziehungen zu Großbritannien auch nach einem Brexit aufrechtzuerhalten. Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Martin Wansleben, fordert in der "Bild"-Zeitung von EU und britischer Regierung rasch Klarheit. "Die deutschen Unternehmen müssen so schnell wie möglich wissen, wo es lang geht."
+++ 2017: Leichte Rezession +++
Volkswirte von Goldman Sachs gehen davon aus, dass Großbritannien wegen des Ausgangs der Brexit-Abstimmung bis Anfang 2017 eine "leichte Rezession" durchmachen wird. Auch in den EU-Staaten und den USA werde das Wirtschaftswachstum nicht so hoch ausfallen wie bislang erwartet, heißt es in einem Brief der US-Großbank an ihre Kunden.
+++ Osborne will Märkte beruhigen +++
Der britische Finanzminister George Osborne will mit einer Erklärung noch vor Handelsbeginn die Finanzmärkte beruhigen. Osborne werde sich am Montag äußern, teilte ein Sprecher des Ministers am späten Sonntagabend in London mit. Osborne werde erklären, dass die finanzielle und wirtschaftliche Stabilität des Vereinigten Königreiches auch im Lichte des Ergebnisses der Volksabstimmung gegeben sei. In der Stellungnahme werde es auch um die Maßnahmen gehen, die Osborne und die gesamte Regierung ergreifen wollten, um die nationalen Interessen in nächster Zeit zu schützen.
+++ Merkel und Hollande demonstrieren Einigkeit +++
Bundeskanzlerin Merkel und Frankreichs Präsident Hollande wollen Unsicherheiten vermeiden. Darauf hätten sich die beiden Politiker bei einem halbstündigen Telefongespräch verständigt, verlautete am Sonntagabend aus dem Elysee-Palast. Sie seien sich einig im Umgang mit dem Ergebnis des Referendums gewesen. Die Bundesregierung bestätigte das Telefonat, verwies aber für Inhalte auf Montag. Merkel und Hollande kommen zum Wochenauftakt in Berlin mit dem italienischen Ministerpräsidenten Matteo Renzi zusammen, um über die Konsequenzen des britischen Referendums zu beraten. Zuvor stehen Gespräche mit EU-Ratspräsident Donald Tusk auf der Agenda.