Tatsächlich haben sich Tonfall und Inhalt der öffentlichen Diskussion verschärft. Galt die Forderung zur Abschiebung von Flüchtlingen bis vor wenigen Jahren noch als mittelgroßer Tabubruch, sagt heute Linken-Fraktionschefin Sarah Wagenknecht: "Wer Gastrecht missbraucht, der hat Gastrecht dann eben auch verwirkt." War die europäische Grenzschutzbehörde Frontex lange ein Symbol für das kalte Europa, gilt die Sicherung der europäischen Außengrenzen heute als Voraussetzung für eine funktionierende Flüchtlingspolitik.
Die Gesichter der AfD
Geboren in Dresden, promovierte Chemikerin und Unternehmerin, Bundesvorsitzende der AfD. Mutter von vier Kindern, liiert mit dem AfD-Landeschef von Nordrhein-Westfalen, Marcus Pretzell: Das ist Frauke Petry. Sie gilt als pragmatisch und ehrgeizig. Auch wenn sie verbal gerne Gas gibt – inhaltlich steht Petry eher in der Mitte der Partei.
Björn Höcke (45) und Alexander Gauland (76) haben im November 2015 gemeinsam „Fünf Grundsätze für Deutschland“ veröffentlicht. Darin wettern sie gegen die „multikulturelle Gesellschaft“ und behaupten, „die politische Korrektheit liegt wie Mehltau auf unserem Land“.
Meuthen ist geboren in Essen, promovierter Volkswirt, seit 1996 Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule Kehl (Baden-Württemberg), Bundesvorsitzender der AfD, war Spitzenkandidat seiner Partei bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg und ist seit Mai 2016 Landtagsabgeordneter; er ist verheiratet und hat fünf Kinder. Meuthen gehört zu den wenigen prominenten Vertretern des liberalen Flügels, die nach dem Abgang von Bernd Lucke in der AfD geblieben sind.
Sie ist geboren in Lübeck, Jurastudium in Heidelberg und Lausanne (Schweiz), Rechtsanwältin, stellvertretende Bundesvorsitzende und AfD-Landesvorsitzende in Berlin, seit 2014 im EU-Parlament, verheiratet. Gilt als ultrakonservativ.
Marcus Pretzell (43) ist geboren in Rinteln (Niedersachsen), Jurastudium in Heidelberg, Rechtsanwalt und Projektentwickler, seit 2014 Vorsitzender der AfD in Nordrhein-Westfalen, Vater von vier Kindern, seit 2016 verheiratet mit Frauke Petry. Der Europaabgeordnete hat die AfD als „Pegida-Partei“ bezeichnet. Parteifreunde rechnen ihn aber nicht zum rechtsnationalen Flügel.
Umstritten ist allerdings, ob die Verschiebung solcher Argumentationslinien wirklich die Folge rechtspopulistischer Bewegungen ist. Der Politologe Timo Lochocki forscht am German Marshall Fund über Rechtspopulismus und hat eine andere These aufgestellt. Er glaubt, dass die Rechtspopulisten die Akzeptanz von Positionen, die es in der Bevölkerung schon gibt, lediglich beschleunigen. Dafür müsse man nur mal aufs Land fahren, erzählt Lochocki. Dort merke man schnell, wie die Stimmung bei vielen Menschen ist. „In unseren liberalen Blasen nimmt das aber kaum jemand wahr.“
Folgt man Lochockis Analyse, nährt sich der Erfolg der Rechtspopulisten vor allem aus dieser Ignoranz. Die Rechtspopulisten nehmen breite Meinungsströmungen auf, spitzen sie zu – und setzen die etablierten Parteien unter Druck. Die einzige wirkungsvolle Gegenstrategie besteht für Lochocki darin, den Rechtspopulisten ihre Themen wieder wegzunehmen. Das habe geklappt, als Schäuble hart gegen Griechenland vorging und die AfD in der Folge zusammenschrumpfte. Und es funktioniere nun wieder in Großbritannien. „Durch den harten Brexit-Kurs von Theresa May hat Ukip enorme Probleme bekommen.“
Andere Forscher bezweifeln, dass man die Rechtspopulisten mit dieser Taktik bezwingen kann. „Warum sollte man eine Kopie wählen, wenn man das Original haben kann“, sagt Florian Hartleb. Er hat den Glauben an die etablierten Parteien aufgegeben. Die einzige Chance sieht er in neuen Bewegungen und frischen Kandidaten wie Macrons En Marche. „Wenn es keine neuen Bewegungen gibt oder die alten Parteien neue Gesichter hervorbringen und neue Themen setzen, wird der Siegeszug der Rechtspopulisten weitergehen“, sagt Hartleb.
Eine ähnliche Prognose wagt auch sein Kollege Lochocki. „Die Rechtspopulisten können ihre extremen Forderungen zwar nicht durchsetzen“, sagt er. „Aber aus liberaler Perspektive rückt Europa nach rechts.“