Freytags-Frage

Was bringen Sanktionen gegen Erdogan und die Türkei?

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Keine Täuschung in Aussicht

Im türkischen Fall gibt es ein Korrektiv, nämlich all diejenigen Menschen türkischer Herkunft, die im Ausland leben und nicht Anhänger der Regierung Erdogan sind. Diese können das Bild der Regierung im Kontakt mit Verwandten und Freunden korrigieren. Es ist also nicht zu erwarten, dass es der Regierung ohne weiteres gelingt, sämtliche Bürger zu täuschen.

Besonders knifflig ist aber der Tourismus. Die Türkei ist ein beliebtes Urlaubsziel vieler Europäer, insbesondere vieler Deutscher. Sie sorgen mit ihrer Anwesenheit erst einmal für Umsatz und Arbeitsplätze. Der Tourismussektor in der Türkei machte im Jahr 2016 immerhin 12,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus, 2014 waren es noch 13,8 Prozent. Der Rückgang wird dem Putsch und der politischen Reaktion darauf zugeschrieben. Dennoch ist dies ein bedeutender Anteil. Man muss zudem berücksichtigen, dass Tourismus sehr arbeitsintensiv ist und viele Arbeitsplätze schafft. Mit dem Ausbleiben der Touristen würde die Türkei also stark getroffen werden. Wie erwähnt wird weniger der Präsident als die Bevölkerung darunter leiden.

Ein zweiter Effekt von internationalen Touristen besteht in persönlichen Kontakten, die Vorurteile abbauen helfen und damit eine integrierende Wirkung haben. Man darf diesen Aspekt natürlich beim Pauschaltourismus, wenn Urlauber die Hotelanlage nicht verlassen und nur von Mitarbeitern aus ihrem Herkunftsland bespaßt werden, nicht überschätzen. Aber es sind ja bei weitem nicht alle Urlauber Pauschaltouristen. Dieses Element der Völkerverständigung entfällt dann, wenn die Urlauber wegbleiben. Und es ist zu erwarten, dass die Individualreisenden eher als die Pauschaltouristen wegbleiben.

Zugleich kann man es niemandem verdenken, nicht in die Türkei zu reisen, wenn dort Menschenrechte mit Füßen getreten werden oder gar die Verhaftung droht, weil Reisende sich in der Vergangenheit kritisch zur Türkei geäußert oder aus Sicht der türkischen Regeirung dubiose Kontakte in ihrer Heimat haben. Viele werden abgeschreckt oder wollen ein Zeichen setzen. Das ist nachvollziehbar, aber hat auch Nebenwirkungen.

In nur sehr wenigen Fällen, beispielsweise Südafrika während der Apartheid – haben Sanktionen ihr Ziel erreicht, und dies auch nur sehr langfristig. Meistens bewirken Sanktionen eine Stärkung einer autokratischen Regierung und damit das Gegenteil dessen, was eigentlich erreicht werden soll. Das sollten die politischen Entscheidungsträger in der EU berücksichtigen, wenn sie eine Strategie im Umgang mit den türkischen Provokationen ausarbeiten. Es gibt keine einfachen Lösungen dieser Krise.

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