George Soros "Europa? Gibt's doch nicht mehr"

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"Putin greift die EU von außen an, Orbán von innen"

Sie haben vor allem Demokratie in Osteuropa gefördert. Warum ist dort der Hass auf Flüchtlinge so groß?

Ungarns Premier Victor Orbán will Merkel die Führungsrolle in Europa streitig machen – und nebenbei Prinzipien unterminieren, für die Europa steht. Man muss sich das wie einen Zangenangriff vorstellen: Russlands Präsident Wladimir Putin greift die EU von außen an, Orbán von innen. Haben Sie gesehen, wie Orbán auf dem CSU-Parteitag gemeinsam mit Horst Seehofer Merkel attackierte?

Aber Orbán allein kann den Anstieg von Fremdenhass in Osteuropa nicht erklären.

Orbán ist ja nicht alleine. Jarosław Kaczyński, dessen Partei gerade die Wahl in Polen gewonnen hat, verfolgt einen sehr ähnlichen Ansatz. Polen gehört zu den ethnisch und religiös homogensten Ländern in Europa. Ein muslimischer Einwanderer steht im katholischen Polen für das „Andere“. Und Kaczyński hat diese „Anderen“ im Wahlkampf erfolgreich verteufelt.

Die EU erwägt Sanktionen gegen die Regierungen in Polen und Ungarn. Ist die Lage wirklich so ernst?

Beide befeuern einen Mix aus ethnischer und religiöser Ausgrenzung, um ihre Macht zu stärken. Mich erinnert dies an die Jahre zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg, als Admiral Horthy in Ungarn und Marschall Piłsudski in Polen alle demokratischen Institutionen in ihre Hand zu bringen versuchten. Das peilen die neuen Regierungen jetzt wieder an.

Dabei ist Polen zuletzt ökonomisch und politisch eine der größten Erfolgsgeschichten Europas gewesen.

Viele dachten, es könne für Berlin ein ähnlich wichtiger Partner wie Frankreich werden – und auch ein Bollwerk gegen Putins Russland.

Länderprofil Polen

Das die EU von außen bedroht?

Interessanterweise waren bis vor rund einem Vierteljahrhundert die notleidende Sowjetunion und die aufstrebende EU beide moderne neue Modelle internationaler Regierungsform. Die Sowjetunion versuchte die Proletarier dieser Welt zu vereinen. Der EU ging es um friedliche Integration und Erweiterung nach den Prinzipien einer freien und offenen Gesellschaft.

Und beides ist nun Vergangenheit?

An die Stelle der Sowjetunion ist Putins Russland getreten, das wieder Weltmacht spielen will.

Fünf Folgen der Wirtschaftskrise in Russland

Und in der EU gewinnen nationalistische Tendenzen erneut die Oberhand. Merkel mag an die offene Gesellschaft glauben. Auch die Menschen, die in der Ukraine für Demokratie und Freiheit kämpften, streben danach. Aber diese Werte existieren in der heutigen EU nicht mehr. Europa als gleichberechtigte und freiwillige Partnerschaft? Gibt’s doch nicht mehr.

Aber Merkel hat doch gerade nicht nationalistisch gehandelt. Sie öffnete die Grenze für syrische Flüchtlinge und setzte so auch die EU unter Zugzwang.

Deutschland mag eine Ausnahme sein. Aber jeder Mitgliedstaat achtet peinlich genau auf seine eigenen Interessen. Die EU braucht endlich eine gemeinsame Flüchtlingspolitik. Sie muss umfassend sein und über die Grenzen Europas reichen. Schließlich ist es weniger zerstörerisch und ganz gewiss weniger teuer, wenn Asylsuchende in ihrer jeweiligen Umgebung bleiben. Die EU sollte jährlich 15.000 Euro pro Asylbewerber für Wohnen, Gesundheit und Ausbildung bereitstellen – auch um den Mitgliedstaaten die Aufnahme von Flüchtlingen zu erleichtern.

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