Krim-Krise Russlands Nachbarn zittern vor Putin

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Das Baltikum und Weißrussland

Das Baltikum

Beklommenheit macht sich dieser Tage in Lettland breit. Der Journalist Didzis Melkis vom Wirtschaftsblatt „Dienas Bizness“ erklärt das so: „Das Drehbuch Putins auf der Krim ließe sich hier eins zu eins kopieren.“ Lettland hat einen russischen Bevölkerungsanteil von 35 Prozent, in vielen Stadtteilen der Hauptstadt Riga hört man mehr Russisch als Lettisch, in Daugavpils, der zweitgrößten Stadt des Landes unweit der weißrussischen Grenze, machen die ethnischen Letten laut staatlicher Volkszählung keine 20 Prozent der Bevölkerung aus. „Glücklicherweise haben wir nicht mehr die Spannungen mit der russischen Volksgruppe wie vor 15 Jahren, und darum fühle ich mich doch sehr sicher“, sagt der lettische Journalist.

Der tolerante Umgang des lettischen Staats mit der Minderheit hat sich ausgezahlt: EU und Nato haben Lettland wie seine beiden Nachbarn Estland und Litauen als vollwertige Mitglieder akzeptiert. Das stärkt den kleinen Ostseeanrainern den Rücken gegen den riesigen Nachbarn im Osten – und hat dazu geführt, dass die Russen heute „sehr loyale“ lettische Staatsbürger sind, wie Melkis beobachtet. Trotzdem stünden die meisten im Krim-Konflikt auf Putins Seite: „Die konsumieren russisch-sprachige Medien, die russischen Oligarchen gehören und Propaganda für Russland machen – das ist schon schizophren!“ Und vielleicht doch nicht ganz harmlos.

Lettlands wirtschaftliche Abhängigkeit von Russland hält sich in Grenzen – bis auf die Achillesferse Energieversorgung. Wie Lettland importieren auch Estland und Litauen das gesamte Gas aus Russland, andere Energieträger spielen bis auf das ebenfalls aus Russland stammende Erdöl in Litauen und einen überschaubaren Kohlebergbau in Estland kaum eine Rolle. So soll es freilich nicht bleiben: Mit finanzieller Unterstützung aus Brüssel wollen die EU-Mitgliedstaaten Finnland, Estland und Lettland den Bau eines gemeinsamen Hafens zur Anlandung von Flüssiggas (LNG) in Angriff nehmen. Das Projekt hat sich lange verzögert, weil jedes der Länder den Hafen an der eigenen Küste bauen wollte. Jetzt drängt die Zeit, und wahrscheinlich wird die Entscheidung für einen Standort in Estland fallen.

Weißrussland

Alexander Lukaschenko, der Dauerherrscher in Minsk, reagiert gleichgültig auf die Ereignisse in der Ukraine. Es sei „billig“ vonseiten westlicher Journalisten, sein Land mit Fragen nach möglichen Attacken der Russen zu beunruhigen, sagte er vor wenigen Tagen vor dem Nationalen Sicherheitsrat. „Wir und die Russen sind ein Volk, genauso wie die Ukrainer: Als Slawen werden wir stets zusammenstehen.“

Das war nicht immer so. Europas letzter Diktator Lukaschenko legte sich häufiger mit dem Bruderstaat Russland an – meist ging es um die Öl- oder Gaspreise, die die russischen Lieferanten erhöhen wollten. Weißrussland ist aber auf billiges Gas angewiesen, um die quasi-sowjetische Umverteilungswirtschaft erhalten zu können: Hohe Gaspreise drohen die mäßig wettbewerbsfähige Industrie völlig vom Weltmarkt abzuhängen. Mehrfach ging Lukaschenko den Weg der Eskalation: 2007 ließt er Öl aus der Druschba-Pipeline abzapfen, drei Jahre später blieb er bei Gasrechnungen säumig. Jedes Mal stellte Russland die Lieferungen an den Nachbarn ein, was in Europa Versorgungsängste hervorrief.

Heute ist die Infrastruktur des Landes praktisch in russischer Hand: Der Pipeline-Betreiber Transneft, ein Konzern unter der Kontrolle des Kremls, hält die Mehrheit am weißrussischen Rohrleitungsnetz, Raffinerien sind teilweise an Russlands staatliche Sberbank verpfändet oder gehören der Öltochter von Gazprom. Das war der Preis für Kredite, mit denen der Kreml den kriselnden Nachbarn in der Finanzkrise päppelte. Der litauische Politologe Vitis Jurkonis sagt: „De facto hat Russland die Weißrussen bereits okkupiert.“

Brenzlich könnte es werden, wenn in Minsk ein Machtwechsel ansteht. Alexander Lukaschenko wird zwar in diesem Jahr erst 60 und könnte noch einige Jahre den Diktator spielen. Doch manch einer ist den Personenkult und ökonomischen Stillstand leid. Nach manipulierten Präsidentschaftswahlen im Dezember 2010 kam es zu Massenprotesten von Regimegegnern, die die Staatsmacht brutal zurückschlagen ließ. Beobachter halten Proteste wie in der Ukraine auch in Weißrussland für möglich – doch ob Putin dies beim Nachbarn Weißrussland zulassen würde? Wohl kaum!

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