Russland-Konflikt Putin versteht nur die Peitsche – doch sein Volk ist klüger

Das russische Volk spürt die Peitsche. Aber: Anders als der Präsident ist es nicht die einzige Sprache, die es versteht. Quelle: Imago

Die westliche Wirtschaft muss Russland einen gigantischen Marshallplan in Aussicht stellen. Dann können sich die Russen entscheiden – zwischen Putin und Pleite oder Partnerschaft und Prosperität. Ein Kommentar.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Die wirtschaftliche Peitsche, mit der wir Russlands Staatschef Wladimir Putin drohen, kann gar nicht schmerzhaft genug sein. Die Peitsche scheint die einzige Sprache zu sein, die er versteht.

Aber Russland ist nicht Putin. Der Despot im Kreml traut sich nicht einmal, im russischen Diktatoren-TV den Krieg in der Ukraine zu zeigen – weil er fürchtet, dass das Volk diesen verheerenden, schmutzigen Krieg nicht will. Das Volk will sicher auch nicht, dass Russland pleite geht, dass sich der Wert des Rubels pulverisiert, dass Ersparnisse entwertet und Auslandsurlaube unmöglich werden, dass Jobs in ausländischen Fabriken verschwinden, dass in Autohäusern nur noch Ladas stehen und Russen in Krankenhäusern abgewiesen werden, weil es an amerikanischen Pillen und deutscher Medizintechnik mangelt. Wenn bald auch noch die Chips für Internet-Server, Flugzeuge und Fabrikmaschinen fehlen, dann entsteht ein Zarenreich-Flair, auf das wohl auch Wladimir der Große gern verzichten würde.

Lesen Sie auch: Die Russland-Sanktionen sind für China ein Drahtseilakt

Das russische Volk spürt die Peitsche. Aber: Anders als der Präsident versteht es nicht nur diese Sprache. Und deshalb braucht es neben der finanziellen Schwächung des russischen Kriegsapparats auch ein ehrliches, gutes Angebot des Westens. Neben Peitsche eben auch Zuckerbrot. Unternehmen des Westens müssen ein Angebot auf den Tisch legen, das kein vernünftiger Mensch in Russland ablehnen kann: Milliardeninvestitionen in Unternehmen, Märkte und Infrastruktur, breite Kooperationen bei Bildung, Wissenschaft und Raumfahrt, gigantische Bestellungen für klimafreundlichen Wasserstoff, nachhaltig erzeugte Rohstoffe und Lebensmittel. Keine Spenden, sondern Mega-Deals auf Augenhöhe. Denn Russland hat vieles, was der Westen dringend braucht – und umgekehrt.

Die Wirtschaft des Westens muss sich mit der Politik zusammensetzen, muss ein Angebot schreiben und sie muss es jetzt tun. In der Vergangenheit haben solche Bemühungen begonnen, wenn Kriege vorbei waren. Geberkonferenzen also für geschundene, traumatisierte Völker. Aber ist das nicht etwas spät? Sollte Russland nicht alle Optionen kennen, bevor es die Ukraine in ein einziges Trümmerfeld verwandelt – oder noch Schlimmeres passiert? Geschnürt werden muss das Paket jetzt. Überreicht werden kann es selbstverständlich erst, wenn die Politik den Rahmen dafür definiert hat. Etwa wenn Russland sich seines Präsidenten und seiner Großmannssucht entledigt hat und aus der Ukraine abgezogen ist, um mal ein Minimalziel zu definieren. So kann sich das russische Volk und sein Generalstab heute entscheiden – zwischen Putin und Pleite oder Partnerschaft und Prosperität. Und wenn jemand Putin stoppen kann, dann nur das Volk oder der Generalstab.



Mit Zuckerbrot und Peitsche kennt Deutschland sich aus. In den USA wurde nach dem Zweiten Weltkrieg überlegt, aus unserem Land einen Agrarstaat zu machen, um deutsche Angriffskriege zu verhindern. Der sogenannte Morgenthau-Plan. Amerika entschied sich glücklicherweise für das Gegenteil, die ausgestreckte Hand, die Vermittlung demokratischer Werte, den Marshallplan. Es haben beide Staaten und viele andere Länder davon profitiert. Nun kann Deutschland zeigen, was es daraus gelernt hat. Kein anderes europäisches Land hat wirtschaftlich so viel zu gewinnen in Russland, kaum eines hat sich dort wirtschaftlich so sehr engagiert.

Deutschlands Wirtschaft, was legst Du für die Russen auf den Tisch? Angebote bitte an martin.seiwert@wiwo.de.

Dieser Beitrag entstammt dem neuen WiWo-Newsletter Daily Punch. Der Newsletter liefert Ihnen den täglichen Kommentar aus der WiWo-Redaktion ins Postfach. Immer auf den Punkt, immer mit Punch. Außerdem im Punch: der Überblick über die fünf wichtigsten Themen. Hier können Sie den Newsletter abonnieren.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%