Die EU-Regierungschefs fordern einen sofortigen Waffenstillstand in der syrischen Stadt Aleppo und humanitäre Hilfe für die Bevölkerung. Zudem sprechen sich die 28 EU-Staats- und Regierungschef laut Entwurf der Erklärung des EU-Gipfels am Donnerstag in Brüssel dafür aus, dass Kriegsverbrechen in Syrien geahndet werden müssten. "Diejenigen, die für Verstöße gegen das Völkerrecht, bei denen es sich zum Teil möglicherweise um Kriegsverbrechen handelt, verantwortlich sind, müssen zur Rechenschaft gezogen werden. Die EU zieht alle verfügbaren Optionen in Betracht", heißt es im Entwurf der Abschlusserklärung. Neue EU-Sanktionen gegen Russland wegen dessen militärischer Unterstützung für die syrische Armee sind aber offenbar kein Thema.
In der syrischen Großstadt Aleppo sind die Rebellen nach russischen Angaben aus allen Vierteln vertrieben worden. Am Donnerstag war eine Aktion zur Evakuierung der letzten Rebellenenklave in Aleppo angelaufen. Sollte sie gelingen, wäre es der bisher wichtigste Sieg für den syrischen Staatschef Baschar al-Assad.
Vor allem Frankreichs Präsident Francois Hollande und die britische Premierministerin Theresa May hatten vor Gipfelbeginn eine "robuste" Antwort des EU-Gipfels auf die Vorgänge in Aleppo gefordert. Beide hatten Russland und den Iran mitverantwortlich für die Lage in Aleppo gemacht, weil sie die syrische Regierung militärisch unterstützen.
Warum Aleppo im syrischen Bürgerkrieg so wichtig ist
Aleppo hat sich zum Symbol für den verheerenden Konflikt entwickelt. Die Stadt war nahezu seit Beginn der Kämpfe zwischen Regime und Rebellengruppen geteilt und ist das am schwersten umkämpfte Schlachtfeld in dem Krieg. Wer hier siegt, hat auch einen immensen psychologischen Vorteil.
Aleppo ist die letzte Großstadt, in der Aufständische noch Gebiete kontrollieren. Damaskus und Homs sind fest in der Hand der Truppen von Syriens Präsident Baschar al-Assad. Den Rebellen blieben ohne die ehemals größte Stadt des Landes nur noch einige eher ländliche Gebiete wie die Provinz Idlib.
Nicht zu unterschätzen ist der militärische Spielraum, den die syrische Armee bei einer Eroberung gewinnen würde. Die Schlacht um die ehemalige Handelsmetropole bindet viele Kräfte. Diese könnten sich dann auf andere Rebellengebiete des Landes konzentrieren und das Ende des Bürgerkrieges erzwingen.
An der Entwicklung in der nordsyrischen Stadt lässt sich der Einfluss Russlands seit seinem Kriegseintritt vor mehr als einem Jahr sowie der des Irans ablesen. Ohne diese beiden Verbündeten wäre das geschwächte Regime nicht in der Lage gewesen, die Rebellen so in die Defensive zu drängen.
An Aleppo zeigt sich die Schwäche und die verfehlte Politik des Westens, allen voran der USA und seiner Verbündeten. Sie ließen ein Machtvakuum im Bürgerkrieg entstehen, in das Moskau zugunsten der syrischen Regierung vorstieß - und gucken nun ohnmächtig der zivilen Katastrophe zu.
Die Eroberung Aleppos würde dem Regime eine starke Verhandlungsbasis für künftige Friedensgespräche geben - falls Assad diese angesichts seines Siegeszuges überhaupt für nötig halten sollte.
"Der Europäische Rat verurteilt nachdrücklich den anhaltenden Sturmangriff auf Aleppo durch das syrische Regime und seine Verbündeten, insbesondere Russland, einschließlich der gezielten Angriffe auf Zivilpersonen und Krankenhäuser", heißt es nun im Entwurf der Abschlusserklärung. Damit wird der Zusammenhang zu einer möglichen russischen Verbindung zu Kriegsverbrechen hergestellt – ohne die Regierung in Moskau direkt zu beschuldigen.
Ein militärisches Eingreifen wurde von der EU aber nicht ins Auge gefasst. "Ich glaube nicht, dass es viele Europäer gibt, die wegen Syrien sterben möchten", hatte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bereits am Mittwoch in der ZDF-Sendung "Was nun?" gesagt. Am Dienstag hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin telefoniert und von ihm eine Waffenruhe gefordert, damit die Zivilisten in Aleppo entweder evakuiert oder versorgt werden könnten.
Die EU-Regierungschefs trafen auch mit einem Bezirksrat aus Aleppo zusammen, Brita Hagi Hassan, der über die Lage in der Stadt berichtete. Politiker verschiedener Parteien hatten zuvor harsche Kritik an der EU geübt, dass sie den Kämpfen in Aleppo hilflos zusehe. Der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, verwies auf die begrenzten Möglichkeiten der Europäischen Union. "Die EU kann nur dazu beitragen, dass es humanitäre Korridore, finanzielle Hilfe und Lebensmittel gibt. Ich glaube nicht, dass die EU auch nur im Ansatz eine militärische Rolle spielen kann", sagte er. "Mein Eindruck war, dass der Bürgermeister von Aleppo appelliert hat, dass die EU kurzfristig mit Geld, Lebensmitteln und Korridoren helfen soll."
In Brüssel wurden am Donnerstag aber auch die Differenzen vor allem in der französischen Politik sichtbar. So kritisierte der Präsidentschaftskandidat der Konservativen, Francois Fillon, die westliche Syrien-Politik und forderte auch die Aufhebung der EU-Sanktionen gegen Russland wegen des Ukraine-Krieges.