Anarcho-Kapitalismus Freiheit statt Demokratie

Können wir ohne Staat und Demokratie besser leben? Ja, sagen viele libertäre und anarcho-kapitalistische Ökonomen. Die Zahl ihrer Anhänger wächst. Welche Ideen sie auf ihrer jüngsten Konferenz umtrieben.

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Freiheitsstatue in New York Quelle: Getty Images

Wer den Staat abschaffen, das Papiergeld durch Gold und die Demokratie durch eine Privatrechtsgesellschaft ersetzen will, wird von seinen Zeitgenossen im günstigsten Fall als skurriler Häretiker, im ungünstigsten Fall als subversiver Radikalinski betrachtet. Mitte September trafen sich mehr als 100 Vertreter dieser Spezies im türkischen Hafenstädtchen Bodrum. Sie folgten einer Einladung der Property and Freedom Society (PFS), einem Zusammenschluss libertärer Denker, Unternehmer und Wissenschaftler, die der deutsche Ökonom und Sozialphilosoph Hans-Hermann Hoppe vor zehn Jahren ins Leben gerufen hat.

Hoppe ist Vertreter der Österreichischen Schule der Nationalökonomie. Mit seinen radikalen und kompromisslosen Schriften ist er der wohl wichtigste Vordenker des anarcho-kapitalistischen Libertarismus der Gegenwart -  einer Denkschule, die den Staat ablehnt und im Privateigentum die wichtigste Voraussetzung für eine freie und friedliche Gesellschaft sieht. Vom ökonomischen Mainstream wird Hoppe wegen seiner kompromisslosen Haltung geschnitten, in libertären Kreisen hingegen genießt er Kultstatus. 

Kompromissloser intellektueller Radikalismus

Die von ihm gegründete PFS macht sich für das Privateigentum, die Vertragsfreiheit, den Freihandel und den Frieden stark. Imperialismus, Militarismus und Egalitarismus lehnen die libertären Denker hingegen entschieden ab. Damit schwimmen sie gegen den etatistischen Zeitgeist, der in staatlichen Eingriffen die Lösung für nahezu alle Probleme sieht. Hoppe ist es gelungen, unter dem Dach der PFS eine wachsende und über alle Kontinente vernetzte Gemeinschaft aufzubauen, die sich einmal im Jahr in Bodrum zum Gedankenaustausch trifft. Ohne falsche Rücksicht auf politische Korrektheit wird an der türkischen Küste über Wege zu einer freien Gesellschaft diskutiert. „Die PFS steht für einen kompromisslosen intellektuellen Radikalismus, der  Privateigentum und Freiheit verteidigt“, sagt Hoppe.

Was die Menschen vom Kapitalismus halten

Die Offenheit, mit der die Probleme der etatistischen Gesellschaft diskutiert werden, dürfte die meisten Normalo-Zeitgenossen ins Staunen versetzen. So ging der US-Ökonom Thomas DiLorenzo, Professor an der Loyola Universität von Maryland, bei dem diesjährigen Treffen in Bodrum mit dem wirtschaftlichen und politischen Dominanzstreben der USA hart ins Gericht. Die Amerikaner glaubten, sie seien das von Gott auserwählte Volk und fühlten sich daher berufen, anderen Nationen ihre Lebensweise und Staatsform zu diktieren, kritisierte DiLorenzo. Dieses Machtstreben habe weltweit große Schäden angerichtet. Die Flüchtlingsströme nach Europa seien beredtes Zeugnis der Malaise. „Amerika hat im Nahen Osten ein Machtvakuum herbeigebombt, in dem sich nun der Islamische Staat ausbreitet“, kritisierte DiLorenzo.

"Kriege sind eine gigantische Verschwendung von Ressourcen"

Den unerschütterlichen Glauben der Amerikaner an die eigene Überlegenheit führte DiLorenzo auf die Puritaner zurück, die im 17ten Jahrhundert die Neuenglandstaaten besiedelten. Deren Prädestinationslehre präge bis heute das Selbstverständnis der politischen Klasse Amerikas. Die Militärindustrie habe das geschickt für ihre Zwecke genutzt. „Die Machthaber aus den Neuenglandstaaten und die Militärindustrie sind eng miteinander verbunden“, sagte DiLorenzo. Amerika habe sich daher immer wieder in ausländische Konflikte eingemischt, häufig nach dem Motto: Tut was wir sagen, oder wir bringen Euch die Demokratie. Für Amerikas Wirtschaft sei das fatal. „Kriege sind eine gigantische Verschwendung von Ressourcen“, so DiLorenzo.   

Europa sollte sich an Australien orientieren

Hoppe gab zu bedenken, dass der Flüchtlingsstrom nach Europa Amerika durchaus gelegen komme. „Wenn man wie Amerika die Welt beherrschen will, muss man andere Länder destabilisieren. Masseneinwanderungen eignen sich hervorragend dafür, weil multikulturelle Gesellschaften den Keim innerer Unruhen in sich tragen“, urteilte Hoppe. Es sei naiv zu glauben, man könne die Einwanderer kulturell assimilieren, wenn man ihnen nur genügend Sozialarbeiter zur Seite stelle. Statt blauäugig Flüchtlinge aufzunehmen, solle sich Europa an Australien orientieren. Das Land nehme nur Migranten auf, von denen es sich einen positiven Beitrag für Wirtschaft und Gesellschaft erhoffe.

Wie Mario Draghi die Märkte mit Geld fluten kann

Enrico Colombatto von der Universität Turin lenkte den Fokus auf die zunehmende Ausbreitung der Bürokratie in Europa. Er warnte, der Kontinent sei dabei, in eine von Technokraten gesteuerte Oligarchie abzudriften. Im 19ten Jahrhundert habe die Macht noch weitestgehend in den Händen der Politiker gelegen, mittlerweile aber hätten die Technokraten das Ruder übernommen. Während die Politiker die öffentliche Bühne bespielten, zögen die Technokraten aus dem Beamtenapparat im Hintergrund die Strippen. Exemplarisch für die neue Machtelite sei Mario Draghi, der Chef der Europäischen Zentralbank (EZB). Unter seiner Führung habe die EZB selbstermächtigend ihre gesetzlichen Kompetenzen überschritten und sich zur mächtigsten Institution Europas aufgeschwungen. Durch Käufe von Staatsanleihen monetisiere Draghi die Schulden der Staaten und verschaffe den Banken hohe Gewinne.

"Die wahren Feinde der freien Gesellschaft sitzen in den Bürokratien"

Technokraten wie Draghi mieden die große Bühne der Politik, stattdessen verfolgten sie ihre Karrieren bei Banken, Ministerien und Zentralbanken. Stets gehe es ihnen darum, ihr eigenes Einkommen und ihre Macht zu maximieren. Weil sie sich -  anders als die Politiker -  nicht durch Wahlen für ihr Handeln rechtfertigen müssten, entzögen sie sich der öffentlichen Kontrolle. „Die wahren Feinde der freien Gesellschaft sitzen in den Bürokratien“, warnte  Colombatto. „In den nächsten Jahren wird sich die Zahl der Mario Draghis multiplizieren und die Kontrolle in Europa übernehmen“, prophezeite der italienische Ökonom. Dies könne nur verhindert werden, wenn man die Technokraten in das Rampenlicht der Öffentlichkeit zerre und deutlich mache, wieviel Einfluss, Macht und Einkommen sie sich angeeignet haben.

Thorsten Polleit, Chefvolkswirt von Degussa, analysierte die Folgen der  Geldvermehrung durch die staatlichen Notenbanken. Geld sei ein Gut wie jedes andere, erklärte Polleit unter Verweis auf die Lehren des österreichischen Ökonomen Ludwig von Mises. Daher gelte auch für Geld das Gesetz des abnehmenden Grenznutzens. Weite die EZB die Geldmenge aus, sinke der Grenznutzen jeder zusätzlichen Geldeinheit. Die Menschen tauschten daher ihr Geld in reale Güter. Die höhere Nachfrage lasse deren Preise steigen. Inflation manifestiere sich daher in der Ausweitung der Geldmenge, steigende Preise seien nur das Symptom.

Polleit widersprach der von vielen Ökonomen und Notenbankern vertretenen These, die Geldschwemme der EZB habe keine Inflation erzeugt. „Hätte die EZB die Geldmenge nicht ausgeweitet, wären die Preise gesunken“, urteilte Polleit. Die EZB habe die Bürger durch ihre lockere Geldpolitik daher um einen Anstieg der realen Kaufkraft durch Deflation gebracht.

Die niedrigen Zinsen können Wirtschaftskrisen auslösen

Allerdings könne die EZB die Politik des leichten Geldes nicht ewig fortsetzen. „Die höhere Geldmenge und die künstlich nach unten gedrückten Zinsen verursachen Boom-Bust-Zyklen, die in heftige Finanz- und Wirtschaftskrisen münden“, konstatierte Polleit. Hoffnungen auf ein rasches Ende des Geldmonopols der staatlichen Zentralbanken machte er jedoch nicht. Die Abhängigkeit der Bürger, Banken, Unternehmen und Regierungen vom ständigen Wachstum der Geldmenge sei so groß, dass die Zentralbanken alles täten, um das System zu erhalten - auch wenn dies immer neue Boom-Bust-Zyklen auslöse.

Die schwärzesten Börsentage aller Zeiten
Farbenprächtig blühende Tulpen im Erholungspark Britzer Garten in Berlin Quelle: dpa/dpaweb
Strände Neukaledoniens - hier «Kuto Bay» Quelle: dpa-tmn
Broker stehen am 25. Oktober 1929 in der New Yorker Boerse waehrend des Boersenkrachs, der die Weltwirtschaftskrise einleitete ('Schwarzer Freitag'). Quelle: AP
Blick auf das leere Autobahnkreuz Duisburg-Kaiserberg. Wegen der Ölkrise wurde am 02.12.1973 zum zweiten Mal ein sonntägliches Fahrverbot verhängt Quelle: dpa
Hektisches Treiben in der Aktienbörse in Frankfurt (Hessen) Quelle: dpa
United Airlines planes arrive at Denver International Airport in Denver Quelle: REUTERS
 Boris Jelzin, links, neben Alexander Korschakow Quelle: AP

Guido Hülsmann, Professor an der Universität Angers, wies auf die kulturellen und gesellschaftlichen Deformationen durch Inflation hin. Inflation fördere die Kreditaufnahme, da sie den realen Wert der Schulden sinken lasse. Bürger, Staaten und Unternehmen hätten sich daher in hohem Maße verschuldet. Das  verzerre die Entscheidungen im täglichen Leben. So neigten die Menschen dazu, sich in Ballungszentren anzusiedeln, weil sie hofften, dort in Wirtschaftskrisen, die das Schuldgeld auslöse, leichter neue Jobs zu finden als auf dem Lande.

Die Reihenhaussiedlung ist ein Phänomen der wachsenden Verschuldung

Sogar der Trend zu standardisierten Reihenhaussiedlungen lasse sich durch die wachsende Verschuldung erklären. Aus Angst, ihre Schulden später nicht mehr bedienen zu können, erwerben die Menschen Immobilien mit standardisierter Architektur, die sich notfalls leicht wieder zu Geld machen lassen. Zudem förderten hohe Schulden die Tendenz zu Regulierungen, um systemische Insolvenzrisiken zu minimieren. Sogar die zunehmende Feminisierung der Wirtschaft erklärte Hülsmann mit dem Schuldgeld. Hochverschuldete Unternehmen müssten vorsichtig am Markt agieren. Daher neigten sie dazu, Führungspositionen mit Frauen zu besetzen, die risikoscheuer handelten als Männer.

Die Geschichte der freien Marktwirtschaft
Metamorphose IIn der Frühphase des Kapitalismus werden aus Landarbeitern Handwerker: Webstuhl im 19. Jahrhundert in England. Quelle: imago / united archives international
Metamorphose IIMit der Industrialisierung werden aus Handwerkern Arbeiter: Produktion bei Krupp in Essen, 1914. Quelle: dpa
Metamorphose IIIIm Wissenskapitalismus werden Arbeiter zu Angestellten und Proletarier zu Konsumenten: Produktion von Solarzellen in Sachsen. Quelle: dpa
Ort der VerteilungsgerechtigkeitDen reibungslosen Tausch und die Abwesenheit von Betrug – das alles musste der Staat am Markt anfangs durchsetzen. Quelle: Gemeinfrei
Ort der KapitalkonzentrationDer Börsenticker rattert, die Märkte schnurren, solange der Staat ein wachsames Auge auf sie wirft Quelle: Library of Congress/ Thomas J. O'Halloran
Ort der WachstumsillusionWenn Staaten Banken kapitalisieren, sind das Banken, die Staaten kapitalisieren, um Banken zu kapitalisieren... Quelle: AP
Karl MarxFür ihn war der Unternehmer ein roher Kapitalist, ein Ausbeuter, der Arbeiter ihrer Freiheit beraubt. Quelle: dpa

Einen Ausweg aus der Staatsgesellschaft wies David Dürr, Professor für Rechtstheorie an der Universität Zürich. Dürr zeigte, dass Staaten aus Konflikten zwischen einzelnen Gruppen der menschlichen Gesellschaft entstanden sind -  eine Reminiszenz an die Arbeiten des Ökonomen und Soziologen Franz Oppenheimer. Dieser hatte in seinen Werken nachgewiesen, dass der Staat eine Institution ist, die eine siegreiche Gruppe von Menschen einer unterlegenen Gruppe aufgezwungen hat, um letztgenannte zu beherrschen und auszubeuten. Zur Absicherung der Macht nach innen und außen zetteln Staaten Kriege an.

Dürr warnte, die zunehmende Zusammenarbeit der Nationalstaaten drohe in einen Weltstaat mit einer Weltregierung zu münden. Das gefährde die Freiheit der Menschen. Als Gegenentwurf empfahl er daher eine staatsfreie Privatrechtsgesellschaft. In dieser sollten private Organisationen in Konkurrenz zueinander die bisher vom Staat wahrgenommen Aufgaben erfüllen. Der Bürger habe dann als Kunde die Wahl, bei welcher Organisation er die gewünschte Dienstleistung erwerbe. Jedermann müsse zudem das Recht haben, durch Sezession aus den Privatrechtsgesellschaften auszutreten, wenn ihm die Bedingungen dort nicht mehr gefielen.

Freiheit braucht Privateigentum

  

Hans-Hermann Hoppe erläuterte, wie die Demokratie die Freiheit bedroht. Alle zwischenmenschlichen Konflikte, so Hoppe, entzündeten sich an der Knappheit von Gütern. Damit die Menschen friedlich zusammenleben, müssten private Eigentumsrechte geschaffen werden, die den Eigentümern das ausschließliche Nutzungsrecht an ihren Gütern gewährten. Privateigentum könne durch Erstbesitznahme, Produktion oder durch freiwilligen Tausch entstehen.

Der Staat verstoße gegen das natürliche Recht auf Privateigentum, indem er  durch sein Monopol der Rechtsetzung und Rechtsprechung Gesetze erlasse, die das Privateigentum gefährden. Ohne Privateigentum aber sei die Zerstörung der Zivilisation vorprogrammiert. Ein Beispiel sind die Antidiskriminierungsgesetze. Sie entziehen den Unternehmern, Versicherungen und Vermietern faktisch die Verfügungsgewalt über ihr Privateigentum. Können sie Menschen nicht mehr diskriminieren, haben diese ihrerseits keine Anreize mehr, sich sozialverträglich zu verhalten. Gesellschaftliche Werte gehen verloren, das friedliche Zusammenleben der Menschen ist in Gefahr.

Die Demokratie, so Hoppe, öffne allen Menschen den Zugang zu Machtpositionen. Die kurzen Legislaturperioden erhöhten die soziale Zeitpräferenz, das Kurzfristdenken nehme zu. Im Wettbewerb um die politischen Ämter setzten sich diejenigen durch, die das größte demagogische Talent und die geringsten Skrupel haben. „In der Demokratie  sind die Aktivitäten der Machthaber darauf ausgerichtet, Eigentum umzuverteilen, am besten zugunsten der eigenen Klientel“, sagte Hoppe.

Der Aufstieg der Demokratien nach dem Ersten Weltkrieg habe dazu geführt, dass nahezu alle Lebensbereiche mit Gesetzen überzogen wurden und die Zahl der vom Staat abhängigen Menschen zugenommen hat. Heute lebten von den 260 Millionen Amerikanern über 18 Jahren 181 Millionen, also knapp 70 Prozent, von staatlichen Geldern. Nur 79 Millionen Amerikaner über 18 Jahren seien noch unabhängig von staatlichen Zuwendungen. 

Die durch Steuergelder finanzierten und vom Staat abhängigen Intellektuellen hätten Staatseingriffe in der Meinung der Öffentlichkeit hoffähig gemacht. Der Staat säe auf diese Weise Konflikte, um sich dann selbst als Problemlöser anzubieten.  „Wer die absurden Spielregeln des demokratischen Staates durchschaut und kritisiert, wird als Reaktionär, Extremist, Soziopath oder Neandertaler diskreditiert“, kritisierte Hoppe.

Da bleibt nur der Trost, dass die Neandertaler seit zehn Jahren über ein Refugium verfügen, in dem sie ihre staatskritischen Gedanken frei entfalten können – auch wenn dieses Refugium nicht im Neandertal bei Düsseldorf, sondern im türkischen Bodrum liegt.   

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