Das alles funktioniert aber nicht mehr gut, weil die europäische Konjunktur stottert. Deutliches Zeichen dafür war 2013 der Rückgang der ausländischen Direktinvestitionen um über vier Prozent auf 12,7 Milliarden US-Dollar. Weil das Land stets mehr Waren und Dienstleistungen einführt als exportiert, führte der Investitionsrückgang zu einer Ausweitung des hohen Zahlungsbilanzdefizits.
Türkische Exporterfolge schlagen makroökonomisch weniger stark zu Buche als Gegeund erhöhten den maßgeblichen Zinssatz für die türkische Lira auf mehr als in anderen Schwellenländern. Für 100 Dollar Exporterlöse muss die türkische Industrie für durchschnittlich 43 Dollar Vorprodukte und Rohstoffe aus dem Ausland importieren: Das Land muss eben seine gesamte Energie importieren und ist auch sonst vergleichsweise rohstoffarm.
Wegen der Zahlungsbilanzmisere zog die Notenbank in Ankara Anfang dieses Jahres die Reißleine und erhöhte den maßgeblichen Zinssatz auf mehr als zehn Prozent. Das verzögerte den chronischen Wertverlust der türkischen Lira gegenüber Euro und Dollar, führte aber auch zum weiteren Schrumpfen des Wirtschaftswachstums. Das liegt nach den letzten offiziellen Zahlen aufs Jahr gerechnet aktuell bei 2,1 Prozent, und die Inflationsrate hält sich trotzdem weiter über neun Prozent.
Illusorische Zukunftsvision
Angesichts der im Vergleich zu den früheren Jahren mauen Wachstumsrate wirkt Recep Tayyips Erdoğans wirtschaftliche Zukunftsvision ganz illusorisch. Der Präsident will sein Land bis 2013 – dann wird die Republik Türkei genau 100 Jahre alt – von Platz 17 unter den Volkswirtschaften der Welt auf Platz zehn bringen; das Bruttosozialprodukt soll dann pro Kopf 25.000 Dollar betragen (heute sind es 14.000).
Natürlich weist der Präsident den Vorwurf zurück, seine eigene Politik habe zu den Wachstumsproblemen von heute beigetragen. Dabei haben sowohl die Bilder vom Tränengaseinsatz gegen friedliche Demonstranten wie die Nachrichten von Korruptionsaffären und außenpolitischen Alleingängen nichts zum Vertrauen wirtschaftlicher Akteure in das Land beigetragen.
Aber Erdoğan und seine Leute wollen all das mit den gewaltigen Infrastrukturplänen konterkarieren, die tatsächlich zu einer wirtschaftlichen Großmacht passen würden, falls sie sich denn realisieren lassen. An erster Stelle steht da noch vor dem gewaltigen Ausbau des Straßen- und Elektrizitätsnetzes der Bau des größten Flughafens Europas in Istanbul und das Projekt eines Kanals zwischen Schwarzem Meer und Marmara-Meer.
Ob der „zweite Bosporus“, der 2023 der Schifffahrt übergeben werden soll, überhaupt realisierbar ist, steht dahin. An Aufträgen aus der Türkei für viele deutsche Unternehmen wird es aber jedenfalls in naher und mittlerer Zukunft nicht mangeln.