E-Mail-Flut Mit der Zahl der Mails steigt der Stresspegel

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Ablenkendes Blinken

Anders ist es jedoch mit diesem einen bissigen Satz in der Mail an den Chef, den man sich doch nicht verkneifen konnte. Jeder kennt die Verlockung, E-Mails als Wutventil zu benutzen. In den USA gibt es dafür bereits einen eigenen Begriff: „e-venting“, was so viel heißt wie „elektronisch Dampf ablassen“. Keine gute Idee. Vor allem, weil das Abreagieren auch dem Absender der Mail nicht hilft. Das zeigte ein Experiment des Psychologen Brad Bushman. Er ließ Studenten einen Aufsatz schreiben, den sie anschließend einem Prüfer vorstellen mussten. Der kritisierte sowohl Sprache als auch Inhalt.

Die Studenten hatten also gehörig Wut im Bauch, als sie zum zweiten Teil des Experimentes kamen. Dort durfte ein Teil der Probanden auf einen Boxsack einschlagen, während sie an den Prüfer denken sollten. Die anderen Teilnehmer, die ähnlich wütend waren, durften ihren Ärger nicht rauslassen. Der zweiten Gruppe ging es nachher deutlich besser. Seine Wut abzulassen bringe nichts, schloss Bushman.

Guido Hertel kennt das Phänomen. Der Organisations- und Wirtschaftspsychologe der Universität Münster rät daher zu einem Trick. „Wer seine Wut unbedingt per Mail rauslassen will, der soll das machen“, sagt Hertel, „solange er vor dem Schreiben den Empfänger löscht und die Mail nicht abschickt, sondern nur speichert.“

Verständlichkeit von E-Mail-Antworten

Dann sollte man eine Nacht drüber schlafen und die Mail erneut lesen: „Vermutlich will man sie dann nicht mehr abschicken“, sagt Hertel, „oder formuliert sie zumindest konstruktiver.“ Dass E-Mails so viel produktive Arbeitszeit zerstören, liegt Hertel zufolge daran, dass sie falsch genutzt werden.

Süchtig nach E-Mails

Kein Wunder: In einem Klassiker der E-Mail-Forschung konnte der Computerforscher Thomas Jackson von der britischen Loughborough-Universität 2002 zeigen, dass E-Mails geradezu süchtig machen. Er beobachtete mehrere Tage lang die Angestellten einer IT-Beratung. Dabei bemerkte Jackson, dass die meisten ihre Mails innerhalb von sechs Sekunden nach dem Eintreffen öffnen. So weit, so verständlich.

Das Problem war allerdings: Nach der kurzen, vermeintlich harmlosen Unterbrechung dauerte es im Schnitt 64 Sekunden, bis sie sich wieder auf ihre eigentliche Aufgabe konzentrierten. Das klingt zunächst nach einer Petitesse. Doch da die Angestellten im Schnitt alle fünf Minuten von einer Mail aus ihrer Arbeit gerissen wurden, ging über den ganzen Tag ein großer Teil der Arbeitszeit durch E-Mails verloren.

Psychologe Hertel rät Unternehmen daher, E-Mail-Regeln einzuführen. Oft lasse sich die Zahl der Mails durch einfache Verhaltensänderungen reduzieren. „Ein Großteil der Mails, die jeden Tag geschickt werden, ist überflüssig“, sagt Hertel. Die vielen Ein-Wort-Mails mit „Danke, bitte, gern geschehen“ könne man meistens weglassen. Auch durch die Angewohnheit, im Zweifel die ganze Abteilung „in cc“ zu setzen, entstehen viele unnötige E-Mails .

Den Empfängern von störenden E-Mails rät Hertel, die blinkenden Benachrichtigungssymbole im Posteingang abzuschalten. „Eine E-Mail muss nicht sofort beantwortet werden. Sie ist ein Kommunikationsmittel, das extra dafür gemacht wurde, erst später bearbeitet zu werden“, sagt er. Wer seine E-Mails zum Beispiel nur zwei Mal täglich durchgeht und beantwortet, ist deutlich produktiver und zufriedener.

Eines ist jedenfalls sicher: Los werden wir die elektronische Post so schnell nicht. „Im Büro wird die E-Mail noch lange überleben“, prognostiziert Hertel. „Dafür hat sie einfach zu viele Vorteile.“

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