WirtschaftsWoche: Herr Gattner, chinesische Anbieter wie Temu oder Shein fluten den deutschen Markt gerade mit ihren Billigprodukten. Inwiefern bedroht dies das Geschäft von Online-Gebrauchthändlern wie Rebuy?
Philipp Gattner: Ich betrachte Anbieter wie Temu aus unterschiedlichen Richtungen. Rein aus einer geschäftlichen Perspektive, ohne sonstige Wertung, ist der Aufstieg des Unternehmens durchaus beeindruckend – eine vergleichbare Wachstumsgeschichte hat es vermutlich noch nie gegeben. Umso wichtiger ist es für uns zu verstehen, was den Erfolg von Temu ausmacht und was die Konsequenzen für unser eigenes Geschäftsmodell sind.
Und welche Rückschlüsse haben Sie da für Ihr Unternehmen gezogen?
Meiner Meinung nach wird sich der Einfluss von Temu am Ende stark je nach Produktkategorien unterscheiden. Im Bereich Unterhaltungselektronik, in dem wir agieren, dürften die Auswirkungen eher gering sein, weil der Großteil des Umsatzes heutzutage mit Produkten von hochwertigen Marken verdient wird: Bei Smartphones und Tablets sind das vor allem Apple und Samsung; bei Spielkonsolen Nintendo, Sony und Microsoft. Aus diesem Grund gehe ich nicht davon aus, dass günstige Unterhaltungselektronikprodukte von Temu in Zukunft ernsthaft im Wettbewerb mit hochwertigen gebrauchten Markenprodukten stehen werden.
Also keine Gefahr für Ihr Geschäft?
Dass ich den Aufstieg von Temu bedenklich finde, ergibt sich vor allem aus der Perspektive der Nachhaltigkeit. Denn eigentlich sollten wir inzwischen alle verstanden haben, wie wichtig es ist, unseren Konsum nachhaltiger zu gestalten. Das ist auch einer der Gründe, warum Rebuy vor 20 Jahren entstanden ist. Wenn jetzt sehr günstige Konsumgüter unsere Märkte überfluten und diese gleichzeitig auch noch per Flugzeug verschickt werden, widerspricht das wirklich allem, was nachhaltigen Konsum am Ende ausmacht.
Zur Person
Philipp Gattner ist seit 2019 Geschäftsführer des Berliner Online-Gebrauchthändlers Rebuy. Der promovierte Betriebswirt hat unter anderem an der Universität St. Gallen, der London School of Econimics sowie der Universität Witten/Herdecke studiert. Von 2008 bis 2015 arneitete der heute 42-Jährige als Berater bei der Unternehmensberatung McKinsey, bevor er als Strategy Officer bei Rebuy einstieg.
Müssten daher sogenannte Recommerce-Anbieter nicht stärker gegen Temu & Co. vorgehen?
Das tun wir ja bereits, indem wir heute schon eine Alternative für Konsumenten bieten, die nicht nur nach niedrigen Preisen schauen, sondern für die zudem auch das Thema Nachhaltigkeit eine wichtige Rolle spielt. Wir machen es Verbrauchern so einfach wie möglich, an der Kreislaufwirtschaft teilzunehmen und nachhaltig zu handeln, indem wir das Thema Recommerce, also den Handel mit gebrauchten Produkten, aus der Nische in den Massenmarkt gebracht haben. Zu unseren eigenen internen Erfolgsfaktoren zählt neben betriebswirtschaftlichen Dingen wie Wachstum und Profitabilität beispielsweise auch, wie viel Elektroschrott wir im Jahr verhindern, indem wir gebrauchten Elektronikprodukten ein neues Leben geben. Wenn Unternehmen wie Temu mit genau gegensätzlichen Prinzipien erfolgreich sind, bedeutet das für uns, dass wir unsere Anstrengungen weiter verstärken müssen, um noch mehr Menschen von unserem nachhaltigen Angebot zu überzeugen.
Erwarten Sie hier eigentlich eine Intervention seitens der Politik in Form von Regulierung?
Schwierig zu sagen. Ein paar Dinge liegen auf der Hand – hier müssten Regularien nur viel stärker umgesetzt werden. Nehmen Sie beispielsweise die CE-Kennzeichnung: Sind die Produkte, die von Temu verkauft werden, überhaupt für den europäischen Markt zugelassen? Normalerweise muss jedes in der EU verkaufte Produkt alle Sicherheitskriterien erfüllen, um die CE-Kennzeichnung zu erhalten. Soweit ich weiß, ist das aber bei vielen Produkten von Temu nicht der Fall. Das birgt zum einen Risiken bei der Sicherheit dieser Produkte. Zum anderen sind Unternehmen, die sich an die Vorgaben halten und ihre Produkte regelkonform herstellen, dann oft nicht mehr wettbewerbsfähig. Hier ist es wichtig, dass die Politik die geltende Regulierung auch umsetzt und gleiche Wettbewerbsbedingungen herstellt. Weitere protektionistische Maßnahmen halte ich aber nicht für notwendig. Am Ende gehören ein internationaler Austausch und Warenfluss zu unserem Wirtschaftssystem – aber eben zu fairen Konditionen.
Laut Studie des Digitalverbands Bitkom hat erst jeder achte Deutsche ein Gebrauchtgerät wie Smartphone oder Tablet gekauft. Wie wollen Sie hier das Potenzial von wiederaufbereiteten Produkten weiter steigern?
Genau das ist der Kern unserer unseres Geschäftsmodells: Wir möchten es den Menschen so einfach wie möglich machen, gebrauchte Ware zu handeln – das heißt, Smartphones und Tablets zu verkaufen und zu kaufen. Schließlich sprechen am Ende wenige Dinge dagegen, gebrauchte Produkte, die man nicht mehr benötigt, wieder in Umlauf zu bringen.
Was hält denn Konsumenten bisher noch davon ab, ihre Gebrauchtgeräte zurück in den Nutzungskreislauf zurückzugeben?
Viele Nutzer verkaufen beispielsweise ihre Smartphones oder MacBook ungern, weil sie Angst haben, dass dort noch private Informationen gespeichert sind, die später von Experten wieder hergestellt werden könnten. Hier kommen wir ins Spiel: Alle Produkte, die von uns angekauft werden, durchlaufen einen strengen Prozess der Wiederaufbereitung, bei dem eine zertifizierte Datenlöschung stattfindet.
Inwiefern ändern die neuen Rücknahme- und Update-Pflichten im Elektrohandel eigentlich das Gebrauchtgeschäft von Rebuy mit Smartphones und Tablets?
Aktuell sehen wir hier noch keine großen Veränderungen. Es gibt aber aktuell ein anderes wichtiges Thema für uns: Das Recht auf Reparierbarkeit, das auf europäischer Ebene schon sehr weit fortgeschritten ist und nun im nächsten Schritt in die Mitgliedstaaten getragen wird. Das ist für uns sehr positiv, denn: Aktuell müssen wir häufig Produkte, die bestimmte technische Defekte haben, beim Ankauf ablehnen. Etwa weil diese Geräte so verklebt sind, dass sie nicht ohne weiteres geöffnet und repariert werden können. Wir gehen davon aus, dass dies dem Markt noch einen Schub geben könnte, weil künftig deutlich mehr Waren für Reparatur und Gebrauchthandel verfügbar sein werden.
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