Musikgeschäft Berlin, die Hauptstadt der Hitmacher

Berliner Unternehmen beherrschen das Geschäft mit der Tontechnik. Jetzt wollen die Takttüftler auch noch verändern, wie wir Musik erleben.

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Skrillex, David Guetta, Coldplay, Bruce Springsteen und Metallica: Sie alle setzen auf Tontechnik aus Berlin. Quelle: imago images

Meterhohe Flammen zucken auf der Bühne, gigantische Laser blitzen im Rhythmus melodisch verkitschter Töne, die von brachial verzerrten, extrem schnellen Bässen abgelöst werden. Dazu schreit ein kleiner Mann mit Nerdbrille ins Mikrofon und animiert Zehntausende Fans zum Mitsingen – wie beim Konzert einer Rockband. Nur steht Skrillex ganz allein auf der Bühne.

Wie andere Star-DJs mixt Skrillex seine elektronische Musik live mit dem Computer. Der 27-Jährige, der bürgerlich Sonny Moore heißt, ist Star und Protagonist einer Welle, die seit zwei, drei Jahren über die USA rollt: Elektro, gemixt mit Pop, Rock und Hip-Hop. Allein er kassierte im Vorjahr 24 Millionen Dollar. Neben seinem Hang zu bombastischen Inszenierungen hat er das vor allem Mate Galic zu verdanken, dem Vater des Erfolgs von Skrillex und Kollegen.

Galic ist Technikchef der Kreuzberger-Hinterhoffirma Native Instruments, mit deren Musiksoftware nahezu alle Elektro-Größen derzeit ihre Hits produzieren. In Berlin ist er damit in bester Gesellschaft: Komponiert werden die Erfolgssongs der aktuellen Elektro-Welle mit der Software Ableton Live; die Gründer von Ableton haben sich 1999 von Native Instruments abgespalten. Und auch verbreitet wird die Musik am Ende von Berlin aus – über die Musikplattform Soundcloud. Die brachte zuletzt „Cheerleader“ von Felix Jaehn ganz groß heraus – die erste deutsche Nummer eins in den USA seit Milli Vanilli 1989.

Die Superlative des Musik-Streamings
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So ist die Hauptstadt Herzkammer der weltweiten Elektro-Welle. Und für die Metropole ist Musik ein entscheidender Wirtschaftsfaktor: Mehr als 1000 Firmen tummeln sich hier mit 12 000 Mitarbeitern und 700 Millionen Euro Umsatz. Aber nicht nur Stars der elektronischen Musik nutzen das neue Berlin-Gefühl für schöne Töne. Hollywoods Hauskomponist Hans Zimmer ist Kunde bei den Takttüftlern an der Spree und Bruce Springsteens Toningenieur Harry McCarthy schwärmt über Ableton Live: „Es ist einfach die beste Musiksoftware der Welt.“ Depeche Mode, Metallica, Stevie Wonder, Radiohead oder Coldplay sind ebenfalls gute Kunden.

Die Spree-Tontechniker sind damit Hidden Champions, heimliche Weltmarktführer, die ihre Branche beherrschen. Im deutschen Maschinenbau gibt es diese Erfolgsgeschichten reichlich, in der heimischen Digitalwirtschaft sind sie noch immer die Ausnahme.

Wie schafft es also ausgerechnet Berlin, über das der Silicon-Valley-Großinvestor Peter Thiel lästert, das Nachtleben würde viele Gründer zu sehr ablenken und sei ein Grund, warum hiesige Start-ups den großen US-Rivalen hinterherhinkten, zu einem, wenn auch immer noch überschaubaren, Silicon Valley der Musikindustrie zu werden?

Wenn Informatiker musizieren

Die legendäre Partyszene der Hauptstadt hat schon immer dazu beigetragen, kreative Gründer anzulocken. „Fast alle Mitarbeiter bei uns machen selbst Musik“, sagt Ableton-Gründer Gerhard Behles, „wir entwickeln, was wir selber brauchen.“

Er hat einst mit Robert Henke, heute Professor für Sounddesign in Berlin, unter dem Namen Monolake elektronische Musik gemacht. Da ihnen die vorhandene Software nicht genügte, programmierten die Informatiker etwas Neues. Heute gehört die Firma zu den führenden Herstellern von Sequenzern, Programmen zum Produzieren von Musik, beschäftigt 200 Mitarbeiter. „Ich liebe Ableton Live“, schwärmt Skrillex, der DJ mit Nerdbrille.

Über ähnlich euphorische Zuneigung seiner Kundschaft freut sich Native-Instruments-Chef Daniel Haver: „Wir sind der erfolgreichste Hersteller virtueller Instrumente weltweit und produzieren die meistgenutzte DJ-Software.“ Das ist zwar angesichts der Tatsache, dass die Berliner Musikfirmen umsatztechnisch nicht gerade zur Avantgarde der Digitalwirtschaft gehören, gewagt vollmundig, aber auch nicht geschwindelt. Schließlich bieten Haver und seine 400 Mitarbeiter Programme, ohne die der Aufstieg der DJs zu den neuen Rockstars kaum denkbar wäre.

Musikalisches Multi-Talent

Mit dem Programm Traktor der Berliner können Diskjockeys Musikdateien mixen, automatisch das Tempo eines Songs an den nächsten anpassen und beide taktsynchron überblenden. Das Programm und die dazugehörigen Mischpulte sichern den Berlinern etwa ein Drittel der jährlichen Einnahmen von 80 Millionen Euro. Das Programm Komplete wiederum produziert virtuelle Gitarren, Klaviere oder Schlagzeuge in Serie, mit ihm lassen sich Zehntausende Klänge am Rechner erzeugen, vom Synthesizer bis zur klassischen Geige.

A cappella auf Knopfdruck

Und das ist erst der Anfang der Musik-Offensive aus der Hauptstadt. Längst tüfteln die Entwickler in den Hinterhöfen von Kreuzberg und Prenzlauer Berg an ganz neuen Instrumenten, Dateiformaten und Gadgets. Die sollen verändern, wie wir Musik machen, hören und fühlen.

So hat Native Instruments gerade mit Stems ein neues Musikformat vorgestellt, das DJs ganz neue Klangwelten eröffnen soll. Statt einen fertig produzierten Song als eine Stereodatei auszuliefern, besteht der neue Standard aus vier Tonspuren. Auf einer liegt der Gesang, auf den anderen Schlagzeug, Bässe und Melodielinien. Auf Knopfdruck können DJs so ein Gesangsstück in eine Instrumentalversion verwandeln oder in ein A-cappella-Lied.

Mehr als 100 Labels bieten bereits Titel im Stems-Format an, meist im Bereich elektronische Musik. Andere Genre sollen folgen. Für die Branche ist das Projekt lukrativ, denn ein Song kostet mit 2,72 Euro weit mehr als herkömmliche MP3-Dateien.

Bässe spüren

Ableton und Native Instruments sind mit Software groß geworden. Inzwischen bauen sie auch Hardware: Mischpulte, Soundkarten oder Keyboards. Über den Rechner gebeugt zu komponieren fördere nicht gerade die Kreativität, sagt Ableton-Chef Behles. So brachte er vor zwei Jahren mit Push erstmals Hardware heraus, eine schwarze Kiste mit 64 berührungsempfindlichen Pads. Das sei eine Art „Überinstrument“, mit dem ein Musiker via Software Schlagzeug oder Klavier spielen können. Durch die Einführung von Push konnte Ableton seinen Umsatz von 14 auf mehr als 30 Millionen Euro steigern.

„Ein Laptop ist als Instrument nun einmal miserabel“, sagt auch Daniel Büttner, der sieben Jahre bei Ableton gearbeitet und jetzt das Start-up Rescued Ideas gegründet hat. Bei klassischen Instrumenten spüre der Musiker die Schwingungen der Musik selbst, erzählt der frühere Kontrabassist. Das will er auch im Digitalen erfahrbar machen.

Das Ergebnis seiner Überlegungen steckt in einem kleinen, mit Star-Wars-Figuren verzierten Metallköfferchen. Darin befindet sich ein rotes Armband, das über zwei Kabel mit einer streichholzschachtelgroßen Plastikdose verbunden ist. Es wandelt tiefe Frequenzen in Vibrationen um und macht Bässe so fühlbar, wie es Besucher von Konzerten oder Clubs kennen. Aus der Idee, das Instrument der Zukunft zu entwickeln, ist so erst einmal ein Gadget namens Basslet für Musikfans geworden, das Musiker auch als Metronom nutzen können.

Smartwatch mit Rhythmus

„Anfangs war ich skeptisch, aber der Effekt ist wirklich beeindruckend“, sagt Dave Haynes, Manager beim Investor Seedcamp. Auch der reichste Mann Asiens, Li Ka-shing, ist von Büttner überzeugt: Sein Hongkonger Wagniskapitalfonds Horizon Ventures, der schon in Spotify und Facebook investierte, beteiligte sich an dem Start-up.

Büttner will sein Armband im Frühjahr 2016 auf den Markt bringen. Doch gibt es neben Fitnessbändern und smarten Uhren noch Platz am Arm? Büttner, der selbst zwei Lederbändchen trägt, glaubt: „Künftige Versionen lassen sich auch als Armband in Smartwatches integrieren.“

Wird das Bassarmband zum Erfolg, könnte Büttners Start-up auch für Apple mit dessen smarter Uhr interessant werden – als Partner oder gar Übernahmekandidat. Es wäre nicht das erste Mal, dass sich der Konzern aus Cupertino für deutsche Musiktechnik begeistert. Dessen Musiksoftware Logic stammt von der Hamburger Firma Emagic, die Apple 2002 schluckte.

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