Sucht-Forscher Nir Eyal Wie das Internet uns süchtig macht

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"Facebook stillt ein uraltes Bedürfnis der Menschen"

Zum Beispiel?
Wenn wir uns langweilen, schauen wir Videos bei YouTube oder Netflix. Wenn wir einsam sind, öffnen wir Facebook, um uns sozialer Kontakte zu vergewissern. Wenn wir uns bei etwas unsicher sind, googlen wir es schnell. Fast ohne bewusstes Nachdenken nehmen wir uns, was schnelle und gut zugängliche Erleichterung bietet. Und das Perfide ist: Wir entwickeln eine seelische Verbindung zu den Dingen, die uns Abhilfe vom Unbehagen verschaffen.

Langeweile, Einsamkeit, Unsicherheit – Gefühle, die es schon sehr lange gibt.
Exakt, und sie wurden immer auf unterschiedliche Weise befriedigt. Langeweile begegneten wir in einer gewissen Zeit mit Fernsehen, davor mit Büchern oder Tanzen. Facebook ist nur die neueste Variation eines Dienstes, der ein uraltes Bedürfnis der Menschen stillt.

Zehn Wege, um die Handy-Sucht zu besiegen
Alternative zum Smartphone findenAuf dem Handy gibt es viel zu tun: WhatsApp, Facebook, Twitter, E-Mails oder News-Portale checken. Suchen Sie sich eine Alternative, die einen ähnlichen Charakter wie das Smartphone mitbringt. Greifen Sie etwa stattdessen zu Hause oder in der Bahn mal zu einem Buch. Das Lesen löst den ständigen Blick aufs Smartphone ab und senkt mit der Zeit das Bedürfnis, immer wieder draufzuschauen. Quelle: dpa
Eine Armbanduhr tragenViele verzichten mittlerweile auf Armbanduhren und schauen auf ihr Handy, um die Uhrzeit zu erfahren. Wenn Sie sich vom Smartphone unabhängiger machen wollen, dann ist das der falsche Weg. Tragen Sie eine Armbanduhr und nutzen Sie sie nicht nur als Modeaccessoire, sondern dafür, wofür sie gemacht ist. Quelle: dpa
Online-Profile ausdünnenMan muss nicht auf jeder Hochzeit tanzen: Weniger soziale Netzwerke bedeuten weniger Statusmeldungen. Wer sich mehr Zeit für die Welt jenseits des Smartphone-Displays wünscht, sollte seine Apps kritisch prüfen - und sich von ein paar Online-Profilen lösen. Quelle: dpa
Nicht mit dem Smartphone bezahlenMit dem Smartphone zu bezahlen ist im Supermarkt, in Hotels oder Restaurants auf dem Vormarsch. Dieser Trend bedeutet allerdings noch mehr Griffe zum Handy. Stattdessen sollten Sie die dazugehörigen Apps löschen und lieber auf das gute, alte Portemonnaie setzen. Quelle: AP/dpa
Schlichte Höflichkeitsformen beachtenWer beim Essen oder im Gespräch mit anderen zum Smartphone greift, ist schlichtweg unhöflich. Vermeiden Sie das und konzentrieren Sie sich lieber auf Ihr Umfeld und Ihre Gesprächspartner. Sie werden es Ihnen danken. Quelle: Fotolia
Feste Handy-Pausen nehmenWer beruflich ständig über dem Smartphone hängt, sollte sich über den Tag verteilt immer wieder feste Handy-Pausen verordnen. Die Zeit lässt sich für einen kurzen Spaziergang oder zum Kaffeeholen nutzen. Quelle: dpa
Klingelton oder Vibration ausschaltenAus den Ohren, aus dem Sinn: Wer seinen Klingelton oder die Vibration abschaltet, ist gelassener und kann sich besser auf andere Dinge konzentrieren. Quelle: dpa

Müssen Unternehmen also menschliches Verhalten verstehen, um erfolgreich zu sein?
Zumindest ist das hilfreich, auch weil sie dadurch enorm viel Geld sparen können. Facebook, Twitter, Instagram, WhatsApp – all diese Dienste werben nicht. Weil sie es nicht müssen. Sie beeinflussen unser Verhalten durch das eigentliche Nutzungserlebnis. Und wenn die Nutzung zur Routine wird, wechselt man nicht einfach zu einem Wettbewerber.

Welche Formen Mobbing im Internet annehmen kann

Können von Ihren Erkenntnissen auch Unternehmen profitieren, die ein Produkt offline anbieten?
Absolut. Spielautomaten und Lotterien funktionieren zum Beispiel nach diesem Schema, Sport ebenfalls. Ob Fußball oder Baseball: Sie weisen die Haken auf, liefern variable Belohnung und animieren zur Investition. Menschen würden eher ihre Religion wechseln als ihr Lieblingsteam.

Die Haken schützen vor Konkurrenz?

Ja. Es setzt sich nicht mehr das beste Produkt durch. Sondern jenes, das unsere Gewohnheiten am nachhaltigsten prägt – ohne dass wir über Alternativen nachdenken. Die meisten Menschen finden Google besser als Microsoft Bing. Aber in Blindtests können sie die Suchergebnisse kaum voneinander unterscheiden. Die Lösung, die uns als erste in den Sinn kommt, dominiert den Markt. Und langfristige Gewohnheiten lassen sich nur selten verändern.

Wie lässt sich Vereinnahmung verhindern, wenn die Nutzung Gewohnheit ist?
Wir hatten bislang nicht genug Zeit, soziale Antikörper zu bilden, um uns zu schützen. Deshalb empfehle ich, Technologie in Schranken zu weisen. Verbannen Sie internetfähige Geräte aus dem Schlafzimmer. Schalten Sie Benachrichtigungen am Smartphone aus. Und stellen Sie den Router so ein, dass es internetfreie Zeiten gibt. Diese Freiheit sollten wir uns nehmen.

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