Softwareunternehmen Wie die SAP-Gründer um ihr Lebenswerk kämpfen

Der Wechsel an der Spitze läutet das Ringen um die Zukunft von SAP ein. Bleibt der Software-Riese eigenständig, oder gehört er bald zu einem US-Konkurrenten? Die Entscheidung treffen die Gründer, die sich längst nicht mehr so einig sind wie früher.

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SAP-Zentrale in Walldorf (c) Quelle: dpa

Es ist fünf Uhr Nachmittag am Montag der vergangenen Woche. Hasso Plattner tritt im Gebäude WDF20 in Walldorf an der nach ihm benannten Allee, Hausnummer 5, vor rund 1000 Mitarbeiter in der Kantine von SAP. Der Mitgründer der deutschen Software-Ikone, der seit 2003 an der Spitze des Aufsichtsrats steht, wirkt müde. Der 66-Jährige hat einen anstrengenden Tag hinter sich und ein noch anstrengenderes Wochenende. In aufreibenden Gesprächen war es ihm gelungen, den Aufsichtsrat auf seine Seite zu bekommen und dem erst seit Mai 2009 allein amtierenden SAP-Chef Léo Apotheker den Ende 2010 auslaufenden Vertrag nicht zu verlängern. Daraufhin sah sich Apotheker gezwungen, zurückzutreten.

Trotz der Strapazen gibt sich Plattner kämpferisch. „Wir müssen es jetzt schaffen, das Unternehmen neu aufzustellen“, beschwört er die Anwesenden. An seiner Seite sitzt mit offenem Hemdkragen der Däne Jim Hagemann Snabe, einer der zwei Apotheker-Nachfolger, die nach Plattners Willen den Software-Riesen künftig lenken sollen. Sein künftiger Co-Chef, der Amerikaner Bill McDermott, steht in hellblauem Hemd und dunkelblauer Krawatte vor tropischen Pflanzen und ist per Satellit zugeschaltet. Er kann nicht persönlich in Walldorf sein, weil er gerade auf Hawaii verdiente SAP-Vertriebsmitarbeiter bespaßt.

"Plattners SAP"

SAP-Gründer und Quelle: REUTERS

Plattner selbst wirkt in seinem dunklen Hemd und dunklen Sakko beinahe wie auf einer Trauerfeier, findet mancher SAP-Mitarbeiter. Und auch wenn „Plattners SAP“, wie mancher in Walldorf gerne spöttelt, heute alles andere als zu Grabe getragen wird, ist jedem Zuhörer klar: Es geht um nicht weniger als die Zukunft des berühmtesten deutschen High-Tech-Unternehmens, das, 1972 gegründet, bislang fast nur von Erfolg zu Erfolg eilte – kurzum: um Plattners Lebenswerk im nordbadischen Walldorf.

Denn der wahre Beweggrund für den hastigen Rauswurf Apothekers liegt weniger in dessen gern kolportierter Arroganz gegenüber Mitarbeitern oder Kunden. Gewiss, Apotheker hat bei den Unternehmenskunden die Daumenschrauben angezogen – und vor allem bei der Erhöhung der Wartungskosten für Software überdreht. Auch intern war das Klima zuletzt schlecht, nicht zuletzt durch den oft als abschätzig empfundenen Umgangston von Apotheker. Doch begann sein Spar- und Rationalisierungskurs gerade, sich finanziell auszuzahlen. Und immerhin räumte der 56-Jährige in einer E-Mail an die SAP-Mitarbeiter am Abend seiner Demission selber ein: „Meine Kommunikation mit Ihnen war nicht immer optimal.“

Mächtige Konkurrenz

Der wahre Grund für Apothekers Abgang liegt denn auch woanders, wie Insider berichten. Denn offenbar schwelt insbesondere unter den drei SAP-Gründern und -Großaktionären Hasso Plattner, Dietmar Hopp und Klaus Tschira ein Konflikt über den künftigen Kurs des Unternehmens. Während Plattner die Eigenständigkeit des Walldorfer Konzerns mit Zähnen und Klauen verteidigt, scheint Hopp ein Stück weit von seinem Buddy Plattner abgerückt zu sein, während Tschira viele Entwicklungen bei SAP bereits kritisch beäugt.

Im Kern geht die Auseinandersetzung zwischen den Dreien in den kommenden Monaten um die Frage: Haben die Walldorfer auch in Zukunft eine Chance als alleiniger Fels in der Brandung gegen die mächtigen US-Konkurrenten Hewlett-Packard (HP), IBM, Microsoft und Oracle? Oder muss SAP irgendwann einmal bei einem Wettbewerber unterschlüpfen? Damit würde Deutschlands einziger IT-Konzern von internationalem Rang möglicherweise zum Spielball irgendeines Hauptquartiers im fernen Amerika – mit allen Gefahren für Arbeitsplätze und Standorte, wenn die Geschäfte mal nicht so laufen wie erhofft.

Divergierende Akzente

Neuer Co-Chef McDermott
Der Quelle: AP

Darüber entscheiden letztlich, so viel steht fest, die drei Gründer und Großaktionäre. Denn sie kontrollieren insgesamt noch rund 27 Prozent der Anteile an SAP und verfügen über den größten Einfluss – allerdings mit divergierenden Akzenten.

Aufsichtsratschef Plattner besitzt mit einem Anteil von 10,4 Prozent am SAP-Stammkapital den größten Batzen aller Gründer. Er ist überzeugt, dass SAP auch in Zukunft allein überleben kann – vorausgesetzt, jetzt werden die richtigen Weichen für die Zukunft gestellt. „Der Markt für Unternehmenssoftware steht an einem wichtigen technologischen Scheideweg“, betonte Plattner auf der Betriebsversammlung am vergangenen Montag. „Aus diesem Grund wäre es absolut dramatisch, würde SAP im Wartungsmodus verharren und nicht nach vorne stürmen.“ Auf gut Deutsch: Der Chefwechsel sei vor allem deshalb notwendig gewesen, damit SAP wieder angreift, statt sich weiter mit sich selbst zu beschäftigen.

Hopp, 69, hält etwas mehr als acht Prozent an SAP. Zwar gilt er neben Plattner bis heute als Führungspersönlichkeit des Konzerns, den er (Spitzname: „Vadder Hopp“) zwischen 1988 und 1998 als Vorstandschef leitete. Doch der Nimbus ist offenkundig schwächer geworden. Der gebürtige Heidelberger habe sich seit seinem Ausscheiden aus dem Aufsichtsrat im Jahr 2005 „emotional mehr und mehr von SAP entfernt“, berichten Personen aus seinem Umfeld. Überdies hat Hopp aus seiner Verehrung für Microsoft nie einen Hehl gemacht. „Mit Microsoft wäre es eine unschlagbare Verbindung für die Ewigkeit gewesen“, sagte Hopp Anfang 2006 im Interview zu Verhandlungen über einen Zusammenschluss beider Konzerne (WirtschaftsWoche 4/2006). Anfang 2004 hatten Microsoft und SAP über eine Fusion gesprochen, die Unterredungen aber in einem Frühstadium wegen möglicher Kartellprobleme abgebrochen.

Walldorfer Weltmarktführer

SAP

Tschira, 69, verwaltet über seine Stiftung rund 8,5 Prozent der SAP-Aktien. Der Freiburger saß zwar bis 2007 im SAP-Aufsichtsrat, er gilt in Unternehmenskreisen aber als derjenige, der die aktuelle Entwicklung am kritischsten betrachtet. So bezweifle Tschira, dass SAP in der gegenwärtigen Konsolidierung der IT-Branche eigenständig bleiben könne, heißt es. Einem fairen Zusammenschluss mit einem Konkurrenten würde er wahrscheinlich offen gegenüberstehen.

Möglicherweise hat sich der bisherige SAP-Chef Apotheker genau in eine solche Richtung bewegt. Jedenfalls verlautet aus dem Umfeld des Top-Managements, dass es Ende 2009 mehrere Treffen mit Chefs großer Wettbewerber gegeben habe. Worum es dabei ging, drang nicht nach draußen. Sollte Apotheker solche Gespräche mit Vertretern aus der Riege um HP, IBM oder Microsoft ohne Rückendeckung des Aufsichtsratsvorsitzenden Plattner geführt haben, hätte dieser darin mit Sicherheit einen persönlichen Affront gesehen. „Das würde die plötzliche Intervention und die Absetzung Apothekers erklären“, sagt ein Insider.

Die unterschiedlichen Meinungen von Plattner, Hopp und Tschira rührt aus divergierenden Einschätzungen über die Zukunftsfähigkeit von SAP. Zwar ist der Konzern mit den Wurzeln in Walldorf seit vielen Jahren Weltmarktführer für Unternehmenssoftware und steuert inzwischen die Prozesse von insgesamt 95.000 Unternehmen.

Zurückhaltung bei Zukäufen

Den großen Teil des Geschäfts macht SAP jedoch weiterhin mit seinen alten Stammkunden, den Großkonzernen. Diverse Vorstöße in Richtung Mittelstand oder komplett neuer Geschäftsfelder entpuppten sich als Rohrkrepierer – zumindest bisher: Geradezu exemplarisch für die krampfigen Ausflüge in neue Geschäftsfelder ist die Mittelstandssoftware Business By Design, an der SAP-Entwickler seit rund sieben Jahren programmieren und die trotz zweijähriger Verspätung immer noch nicht am Markt ist (WirtschaftsWoche 41/2009).

Dies war so lange kein Problem, wie das Stammgeschäft erkleckliche Erträge abwarf und die Kunden wenig Alternativen hatten. Doch die jahrelang komfortable Situation für SAP hat sich in den vergangenen Jahren dramatisch gewandelt. Die IT-Branche entwickelt sich „von einer aufstrebenden zu einer reifen Industrie“, sagt David Mitchell, IT-Analyst beim britischen Marktforschungshaus Ovum.

So schwappt über die IT-Unternehmen seit rund zwei Jahren eine gewaltige Welle von Übernahmen und Zusammenschlüssen, durch die immer mehr Konglomerate aus Computerbauern, Softwareschmieden und IT-Dienstleistern entstanden sind. Deren Ziel ist es, einen immer größeren Anteil an der gesamten Wertschöpfung rund um die Computerei zu ergattern, indem sie Unternehmen – wie einst in den Siebzigerjahren – alles aus einer Hand anbieten (WirtschaftsWoche 33/2009). Fast alle Großen der Branche beteiligten sich an der Übernahmeschlacht. Nur SAP hat sich – bis auf die Übernahme des US-Wettbewerbers Business Objects Ende 2007 – mit größeren Zukäufen zurückgehalten.

Wildern im SAP-Revier

Neuer Co-Chef Hagemann Snabe Quelle: AP

Gerade für die Walldorfer aber wird diese Entwicklung nun langsam gefährlich. Denn die neuen Konglomerate, zu denen IT-Konzerne wie HP oder IBM inzwischen geworden sind, wildern kräftig im Revier von SAP, obwohl sie eigentlich Partner sind, die bisher vor allem bei Dienstleistungen rund um die Einführung von SAP-Programmen halfen oder ihre Hardware dazu verkauften. 

IBM-Chef Sam Palmisano etwa hat in den vergangenen Jahren durch Spartenverkäufe den Umsatzanteil von Hardware zurückgefahren und konzentriert sich verstärkt auf die Beratung beim Zusammenbau von IT-Systemen sowie auf die Auswertung riesiger Datenmengen. Dieses Geschäft ist jedoch seit dem Kauf von Business Objects auch eine Domäne von SAP, eine wichtige zumal, weil sie echtes Neuland für die Walldorfer darstellt.

HP-Boss Mark Hurd wiederum setzt auf die Kombination von Hard- und Software und hat zu diesem Zweck 2008 den IT-Dienstleister EDS geschluckt, um seinen Kunden ein umfassendes Angebot aus einer Hand machen zu können.

"Weitgehend ein Ein-Produkt-Anbieter"

Richtig in die Vollen gegangen ist SAP-Erzrivale Oracle. Nicht nur, dass Konzernchef Larry Ellison in den vergangenen fünf Jahren insgesamt deutlich mehr als 30 Firmen übernommen hat. Neuerdings tritt der ehemalige US-Datenbankspezialist sogar als Komplettanbieter auf. Erst kürzlich gab die EU-Kommission grünes Licht für den im vergangenen Jahr angekündigten Kauf des US-Großrechner-Herstellers Sun Microsystems. Damit kann Ellison seinen Kunden künftig nicht nur Unternehmenssoftware anbieten, sondern gleichzeitig auch Rechner mit komplett vorinstallierten Programmen – ein wichtiger Wettbewerbsvorteil. 

„Während SAP weitgehend ein Ein-Produkt-Anbieter geblieben ist, haben Kunden bei Oracle schon heute die Auswahl aus einer ganzen Palette von Produkten und verschiedenen Betriebsmodellen“, sagt Stefan Ried vom amerikanischen IT-Marktbeobachter Forrester: Das bedeutet: Unternehmenskunden können beispielsweise entscheiden, ob sie ihre Oracle-Datenbanken oder -Software für Buchhaltung und Personalwesen in ihrem eigenen Firmennetzwerk betreiben, ob sie via Internet auf diese Programme zugreifen oder ob sie eine Mischform aus beidem wählen.

Diese Wahlmöglichkeit wird in Zukunft immer wichtiger: „Das neue Paradigma bei der Nutzung von Business-Software lautet Cloud Computing“, sagt Jim Holincheck, Analyst beim amerikanischen IT-Analysehaus Gartner. Das sogenannte Cloud Computing bezeichnet die Bereitstellung von Software zur Miete übers Internet. Ausgerechnet auf diesem Gebiet tut sich SAP bisher aber enorm schwer, wie die mehrfach verschobene Software Business By Design für Mittelständler beweist. Mehr noch: „Ein vergleichbares Cloud-Angebot auch für Konzerne hat SAP noch gar nicht in der Pipeline“, sagt Forrester-Analyst Ried.

Schicksal scheint besiegelt

Amerikaner sehen die Zukunft des deutschen Vorzeige-Softwarehauses viel emotionsloser als die Gründer und hiesigen Politiker, die sich auf der jährlichen IT-Messe Cebit in Hannover gern mit den Stars aus Walldorf präsentieren. Jenseits des Atlantik jedenfalls scheint das Schicksal von SAP bei einigen längst besiegelt – egal, wie Plattners Bemühungen um den Erhalt der Selbstständigkeit ausgehen.

„Schlussendlich“, meint Peter Goldmacher, Analyst bei der US-Bank Cowen, über den Ausgang des Kampfes um SAP, „werden sie übernommen werden.“

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