Deutsche Atomgeschichte 50 Jahre Atomkraft - eine Bilanz

Gerade einmal 50 Jahre ist es her, dass in Bayern der Startschuss für die Atomenergie fiel. In zehn Jahren soll mit der deutschen Atomkraft Schluss sein. Die Kosten für damaligen Bau und heutigen Abriss sind gigantisch.

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Nur ein Kühlturm dampft am Dienstag (13.07.2010) in Gundremmingen (Schwaben) neben dem Atomkraftwerk. Quelle: dpa

Vor 50 Jahren besiegelte der Freistaat Bayern den Beginn der kommerziellen Atomstrom-Ara in Deutschland. Seit dem tobt der Kampf um die Nutzung der Atomenergie. Am 24. Juli 1962 gründeten der Stromkonzern RWE und das damalige Bayernwerk (heute E.On) eine Gesellschaft, die den Betrieb eines Atomkraftwerks (AKW) in Gundremmingen im Donauried vorsah. Es sollte das erste Groß-AKW in Deutschland werden. Fünf Jahre später ging Block A in Betrieb. "Der Block A diente als großtechnisches Demonstrationskraftwerk und erbrachte den Nachweis, dass die Nutzung der Kernenergie auch im industriellen Maßstab möglich ist. Er war für einige Zeit das leistungsstärkste Kernkraftwerk der Welt", sagt eine RWE-Sprecherin.

Subventionierte Energie

Die Gesamtkosten für das geplante AKW wurden damals auf 345 Millionen Deutsche Mark veranschlagt. Die Kernkraftwerk RWE-Bayernwerk GmbH musste rund ein Drittel der Baukosten selbst aufbringen. Den Rest übernahmen ERP-Kredite von der Mittelstandsbank KfW, Bürgschaften der Bundesregierung sowie die Atomgemeinschaft Euratom. Geplant war, dass das Kraftwerk zu 72 Prozent ausgenutzt werden sollte, was 6.330 Voll-Laststunden entsprochen hätte. Für die ersten 1,5 Milliarden Kilowattstunden Atomstrom wurde damals ein Preis von 3,85 Pfennig pro Kilowattstunde veranschlagt. Sollte die Jahresproduktion über diese Grenze hinausgehen, wären für den Überschuss 1,1 Pfennig pro Kilowattstunde berechnet worden. Der Bund verpflichtete sich, einen Großteil möglicher Betriebsverluste zu übernehmen, die Betreiber verpflichteten sich dagegen, den im AKW erzeugten Strom auch abzunehmen.

In der Branche machte sich damals Euphorie breit. Die Regierung wollte, dass die Industrie in die Atomstromproduktion einsteigt. Die Energieerzeuger folgen dem Ruf. Die Argumente für Atomenergie klangen zu gut: Die Gewinnung von gigantischen Mengen an elektrischer und thermischer Energie, kein CO2 bei der Herstellung von Energie, keine Abhängigkeit von Öl oder Gas aus politisch unsicheren Ländern, Schaffung zahlreicher neuer Arbeitsplätze und die vermeintlich sicheren Anlagen. Auch der Kostenpunkt spricht für die Atomenergie. Allerdings verkaufen trotz günstiger Atomenergie Deutschlands Energieriesen ihren Strom zum Marktpreis. Hinzu kommt, dass niemand bei der Planung eines Kraftwerkes gewährleisten kann, dass bei der Fertigstellung der Strom kostendeckend produziert werden kann. Und auch Uran wächst nicht auf deutschen Äckern. Zur damaligen Zeit alles Argumente von Ökospinnern.

Subventionierte Branche

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Dennoch blieb die von den Stromkonzernen erhoffte langfristige Erfolgsgeschichte aus: Nach zwei schweren Unfällen in den 1970er Jahren mit zwei Toten und einem wirtschaftlichen Totalschaden wurde Block A in Gundremmingen wieder zurückgebaut. An dem Standort wurden 1984 Block B und C in Betrieb genommen. Schon 1961 war im Freistaat das erste deutsche AKW ans Netz gegangen. Im unterfränkischen Karlstein (Landkreis Aschaffenburg) wurde der erste Atomstrom produziert. Das Versuchskraftwerk Kahl arbeitete mit einer 16-Megawatt-Anlage. Es diente vor allem dazu, Erfahrungen mit der Technik zu sammeln und Personal zu schulen.

Bis heute wurde Kernenergie laut einer Greenpeace-Studie mit weit über 100 Milliarden Euro subventioniert - das von der Energiewirtschaft unterstützte Deutsche Atomforum hingegen hält das für völlig überzogen und geht von weniger als 20 Milliarden Euro aus. Das Forum argumentiert damit, dass mit den Atommeilern Jahrzehnte lang günstiger Strom ohne den Ausstoß von Kohlendioxid gewonnen werden konnte.

Blutige Proteste und Milliarden für Wackersdorf

Da in Bayern Atomstrom in dem halben Jahrhundert besonders gefördert wurde, gab es im Freistaat auch turbulente Zeiten. Denn die Atomkraft spaltete die Bevölkerung: Die einen kämpften mit aller Macht dagegen und fürchten Unfälle und Umweltkatastrophen. Die anderen sahen darin die Schaffung sicherer Arbeitsplätze, verbunden auch mit der Ansiedelung weiterer Industrie. 50 Jahre Atomkraft in Bayern - das ist daher auch die Geschichte von missglückten Projekten. Dazu gehört insbesondere der geplante Bau der Wiederaufarbeitungsanlage (WAA) im oberpfälzischen Wackersdorf. Es gab erbitterte Proteste der Bevölkerung, zunächst friedliche. Doch nach der Katastrophe von Tschernobyl 1986 eskalierte die Situation. Bei blutigen Krawallen am Bauzaun wurden knapp 400 Menschen verletzt, es gab mehrere Tote. Bei der Verfolgung von Demonstranten stürzte ein Polizeihubschrauber ab - ein Beamter starb.

Im Jahr 1989 kam für das umstrittene Projekt das Aus, weil in Frankreich - konkret in La Hague - der deutsche Atommüll zu einem Drittel der Kosten entsorgt werden konnte. Rund 3,2 Milliarden Mark (etwa 1,63 Milliarden Euro) hat die deutsche Energiewirtschaft das WAA-Debakel gekostet. Heute steht auf dem Gebiet ein moderner Industriepark. Dem Atomkraftwerksboom in den 1970er-Jahren folgt nun der Abschied bis ins Jahr 2022. Von der Bildfläche werden die Meiler erst Jahrzehnte später verschwunden sein. Der Abriss der AKW verschlingt Milliardensummen und ist eine Generationenaufgabe. Der Bau des 1971 in Betrieb genommenen Kernkraftwerks Würgassen beispielsweise hatte 400 Millionen DM verschlungen. Der Abriss wird noch deutlich teurer: 700 Millionen Euro kalkuliert E.On dafür ein. Dabei ist Würgassen mit einer Leistung von gut 600 Megawatt noch ein AKW überschaubarer Größe.

Vernichtetes Kapital

Das bittere Fazit aus einem Jahr Energiewende
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Freileitungen verlaufen in der Nähe eines Umspannwerkes bei Schwerin über Felder Quelle: dpa
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Ein Strommast steht neben Windkraftanlagen Quelle: AP
Windräder des Windpark BARD Offshore 1 in der Nordsee Quelle: dpa
Eine Photovoltaikanlage der Solartechnikfirma SMA Quelle: dpa
Euroscheine stecken in einem Stromverteile Quelle: dpa

Davon abgesehen, dass Deutschland seinen Energiewende-Fahrplan wohl nicht einhalten kann, vernichtet ein schneller Ausstieg auch große Vermögen. Da wundert es nicht, dass sich Investoren und Energieriesen so vehement wehren. Ein neues Kraftwerk mit einer Leistung von 1600 Megawatt kostet rund 4,5 Milliarden Euro. Das ist mehr als doppelt so viel wie ein Kohlekraftwerk. Die bestehenden Kernkraftwerke in Deutschland sind jedoch mittlerweile alle komplett abgeschrieben, die Betreiber müssen nur mit den Produktionskosten kalkulieren. Die Produktion einer Megawattstunde kostet in einem Kernkraftwerk Branchenangaben zufolge rund 15 bis 20 Euro, in Kohle und Gaskraftwerken sind es 30 bis 40 Euro.
Die ursprünglich beschlossene Laufzeitverlängerung hätte den Kraftwerksbetreibern nach Berechnungen der Landesbank Baden-Württemberg zusätzlichen Einnahmen von 57 Milliarden Euro eingebracht. Vorausgesetzt, der Strompreis bliebe konstant bei 50 Euro je Megawattstunde. Doch nicht nur die Betreiber, auch der Staat verliert Geld durch den Wechsel. Nach Schätzung der LBBW würde der Staat rund 31 Milliarden Euro verdienen, wenn das letzte Kraftwerk erst 2040 statt 2022 vom Netz ginge.

30 Milliarden für Abriss und Entsorgung

Stattdessen kommen nun immense Kosten auf die Unternehmen zu: „Pro Standort kalkuliert E.On für den Rückbau und die Entsorgung im Durchschnitt Kosten von 1,1 Milliarden Euro ein“, sagt Konzernsprecherin Uhlmann. Für die Kraftwerke Isar 1 und Unterweser hat E.On einen schnellen Rückbau beantragt. Gleiches plant RWE für die beiden Blöcke im hessischen Biblis. Hier schätzen die Essener die Abrisskosten auf 1,5 Milliarden Euro. Die vier Atomkonzerne in Deutschland - neben E.On und RWE sind dies EnBW und Vattenfall - haben insgesamt über 30 Milliarden Euro für den Abriss der Meiler und die Entsorgung zurückgestellt. Letztere wird die Menschen noch deutlich länger beschäftigen, als der Rückbau der Kraftwerke: Im Moment stehen die Castorbehälter noch in den kraftwerkseigenen Zwischenlagern. Die Endlagersuche ist auch 50 Jahre nach dem Start in die kommerzielle Atomstrom-Ära noch immer nicht abgeschlossen. Im Gegenteil: Die Suche wird nach dem Streit um Gorleben bundesweit neu aufgerollt - auch in Bayern soll nach einem geeigneten Endlager gesucht werden.

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