Grüne Pioniere Rebellin vom Lech

Lohndumping, Umweltfrevel, Kinderarbeit: Mode ist oft ein schmutziges Geschäft. Das will Sina Trinkwalder ändern. Sie schneidert Ökokleidung und stellt arbeitslose Frauen ein.

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Sina Trinkwalder

Sina schuftet. Für das Projekt ihres Lebens; täglich fast rund um die Uhr: Innerhalb von fünf Jahren will sie eine ökologische und soziale Alternative zu Bekleidungsketten wie H&M und Zara schaffen – ohne Natur und Menschen auszubeuten.

Sina heißt mit Nachnamen Trinkwalder. Doch die meisten, mit denen sie täglich zu tun hat, duzen sie. „Das finde ich angenehmer“, sagt sie mit ihrem typischen hellen Lachen und schiebt die Sonnenbrille ins schwarze Haar. Mit 34 Jahren startet sie bereits ihre dritte Karriere – nach einem Redaktionsjob bei der „Augsburger Allgemeinen“ und Erfolgen als Werberin mit eigener Agentur: In Augsburg belebt sie die jahrhundertealte textile Tradition wieder. Nicht einmal die lokalen Wirtschaftsförderer hatten dafür Chancen gesehen.

Riskanten Projekt mit Vorbildcharakter

Sie will nicht einstige Größen wie die Neue Augsburger Kattunfabrik oder Dierig kopieren, die zu Hochzeiten bis zu 30 000 Menschen beschäftigten. Nein, Trinkwalder hat ihre ganz eigenen Vorstellungen – weit weg von üblichem Geschäftsgebaren. Es ist ein Projekt voller Risiken. Aber wenn es gelingt, könnte es Vorbild sein für ein neues Modell sozialen Unternehmertums.

Nach zwei Jahren Vortasten mit einer kleinen Manufaktur wagte sich Trinkwalder Ende April in die textile Großproduktion – mit dem Einzug in ein umgebautes Rohwarenlager im Zentrum der Stadt am Lech. Seither kämpft sie Tag für Tag für den Erfolg. Hastet vom Designbüro im ersten Stock, in dem sie Taschen, Schmuck und Jacken entwirft, zur Zuschneidemaschine für die Stoffe ins Parterre. Von der lichten Haupthalle im grauen Betoncharme, in der bis zu 130 Nähmaschinen rattern, hinüber ins Textilmuseum. Dort webt sie Jeansstoffe für ihr Modelabel Manomama.

Langsam spielen sich die Abläufe ein, werden die kleinen und großen Katastrophen seltener. „Endlich!“, sagt Trinkwalder und erlaubt sich einen kleinen Seufzer. Die ersten Wochen waren chaotisch: Maschinen fehlten, die Heizung funktionierte nicht, Stoffballen kamen zu spät.

In die Schwachen investieren

Sie hat es sich aber auch nicht leicht gemacht. 100 Prozent ökologisch, sozial und regional verankert – diesen Anspruch erheben auch andere grüne Unternehmen. Aber niemand außer Trinkwalder hat es gewagt, ein neues Geschäft mit Menschen aufzuziehen, die der Arbeitsmarkt aussortiert hat. Frauen, die aus Sicht ihrer ehemaligen Arbeitgeber zu alt, zu häufig krank oder zu unproduktiv sind.

Trinkwalder hält solches Denken für skandalös. „Wie soll eine Gesellschaft bestehen, wenn wir nicht in die Schwachen investieren?“, fragt sie. Gesellschaftliche Teilhabe, hat sie gelernt, ist hierzulande an Arbeit gebunden. Daher sei es „die wichtigste unternehmerische Aufgabe, jedem einen anständigen Arbeitsplatz anzubieten“. In diesem Sinne versteht sie sich als soziale Unternehmerin, die ihr Personal nicht danach auswählt, wie viel Profit es bringt.

Trinkwalder hätte einfach weiter viel Geld mit der Werbeagentur verdienen können, die ihr Mann jetzt allein führt. „Doch ich konnte keinen Sinn mehr darin sehen, Menschen Appetit auf das nächste überflüssige Konsumgut zu machen“, sagt sie.

Jedem eine Chance geben

Stoffbahnen der Farbe Himbeerfrisch

Mehr noch als dies trieb sie eine andere Erfahrung: Bei Kunden bekam sie immer wieder mit, dass sie Mitarbeiter kündigten, die eben noch hoch geschätzt waren, nur weil das Unternehmen seine Bilanz aufpolieren wollte. Da packte sie das Gefühl, dass etwas aus dem Lot geraten ist.

Jedem eine Chance geben zu wollen ist seither ihr Motto. Und dafür hat sie bewusst eine Branche gewählt, die in der Vergangenheit an ihrem Heimatort Näherinnen gleich zu Tausenden auf die Straße setzte. Angeblich, weil sie zu teuer sind, um mit Billig-Textilarbeiterinnen in Indien und Bangladesh konkurrieren zu können.

Trinkwalder hält das für vorgeschoben. „Wir können Hemden und Hosen auch hier wirtschaftlich fertigen“, sagt sie. „Mit Produktion in Asien sind die Gewinne natürlich höher, das ist der einzige Grund für die Verlagerung der Arbeitsplätze.“ Sie kommt mit Margen von drei bis vier Prozent hin. Traditionelle Bekleidungsfirmen, sagt sie, erwarteten mindestens 20 Prozent.

Nachhaltiger Internet-Vertrieb

Deshalb Menschen auf die Straße zu setzen hält sie für ungehörig. Diese Einstellung hat ihr weit über die Grenzen der lokalen Wirtschaft Anerkennung und vor allem eine wachsende Schar Stammkunden gebracht. Rund 4000 sind es bundesweit, die über Manomamas Internet-Seite Babyjäckchen, Blusen und Jacken bestellen.

Der Internet-Vertrieb ist nachhaltiger als der Ladenverkauf. Das ist Trinkwalder wichtig. Sie produziert und transportiert nur Ware, die tatsächlich abgenommen wird, während die unverkäufliche Kleidung in Textilgeschäften im Müll landet. Wegen all dieser Dinge hat der Rat für Nachhaltige Entwicklung, das wichtigste Beratungsgremium der Bundesregierung in ökosozialen Fragen, Trinkwalder zum „Social Entrepreneur 2011“ gekürt.

Dabei ging es ihr nicht um Preise, als sie im April 2010 in einem umgebauten Pferdestall begann, ihre Vorstellung von einer gerechteren Welt umzusetzen, ohne die geringste Ahnung von textiler Produktion zu haben. Sie besorgte sich Schnittbücher, suchte nach Bezugsquellen für Ökostoffe, entwarf erste T-Shirts und verkaufte sie über das Internet.

So war Sina schon als kleines Mädchen: Hatte sie sich etwas in den Kopf gesetzt, ließ sie nicht locker, bis es geschafft war. Mit zehn Jahren etwa brachte sie sich selbst das Comiczeichnen bei und beförderte sich mit 13 zur Chefin der Schülerzeitung.

In einer Welt mit begrenzten Ressourcen müssen wir radikal umdenken, um nachhaltiges Wachstum zu ermöglichen. Zahlreiche Projekte zeigen, wie es gehen kann.
von Dieter Dürand, Jürgen Rees, Benjamin Reuter, Andreas Menn

Zwei Drittel der Belegschaft sind über 50

Sie ist ein Mensch, der Ideen umsetzen will, statt bloß mitzuschwimmen. Kai Nebel hat sie so kennengelernt. Sie habe das Talent, „Neues rasch zu kapieren“, sagt der Leiter des Bereichs Textile Verfahrenstechnik und Produktentwicklung an der Hochschule Reutlingen. Nebel war einer der Ersten, den Trinkwalder mit ihren Ideen zur Ökomode bestürmte. Ihr Enthusiasmus fasziniert ihn, ebenso ihr unternehmerisches Anliegen. Dieses Kapital, Menschen für sich einnehmen zu können, hilft ihr häufig.

Ihren Anspruch, bevorzugt sozial Ausgesteuerte einzustellen, hat sie eingelöst. Zwei Drittel der inzwischen mehr als 70 Näherinnen sind älter als 50 Jahre. Die meisten waren längere Zeit arbeitslos.

Lob von der IG Metall

Näherinnen in Trinkalders Fabrik

Trinkwalder gibt ihnen Zeit, sich wieder in einen Achtstundentag einzufinden. Auf keinen Fall will sie die Frauen überfordern. Sie können sich ihr Pensum einteilen, keine arbeitet im Akkord. Trotz der kommoden Bedingungen zahlt Trinkwalder zehn Euro pro Stunde. Selbst die örtliche IG Metall lobt das Projekt.

Ihre Zugeständnisse an die eingeschränkte Leistungsfähigkeit der Frauen erkauft sich die Unternehmerin mit bescheidenen Gewinnspannen. Doch das stört sie nicht. „Es muss so viel hängen bleiben, dass ich Jobs schaffen kann.“

Den Näherinnen ihrerseits ist jenseits einer anständigen Bezahlung und rücksichtsvoller Arbeitsbedingungen vor allem eins wichtig: Sie zählen wieder etwas.

Etwa Brigitte Zanardi, die Einkaufstaschen zum Versand bereitstellt. Die 58-Jährige hatte 2009 ihre Stelle als Küchenhilfe verloren. Arthrose und eine verkrümmte Wirbelsäule schränken ihre Fitness ein. Bei Manomama hat sie die Freiheit, ihr Arbeitstempo daran anzupassen. Ehrensache, dass sie dafür alles gibt. „Ich fühle mich nicht mehr wertlos“, sagt sie und hofft, bis zur Rente bleiben zu können.

Geschäft läuft besser als erwartet

Zu sehen, wie „die Ladys wieder aufblühen“, macht Trinkwalder glücklich. Immer stärker spürt sie allerdings auch, was sie sich mit ihrem sozialen Auftrag aufgebürdet hat. Zwar laufen die Geschäfte weit besser als kalkuliert. Die Drogeriekette DM etwa orderte plötzlich monatlich 240 000 Einkaufstaschen aus Stoff in Himbeerfrisch und Apfelgrün – geplant waren gut 80 000.

Doch der an sich erfreuliche Boom bringt Trinkwalder an die Grenzen ihrer wirtschaftlichen Möglichkeiten: Auf einmal muss sie weit mehr Stoffe, Nähgarne und Knöpfe einkaufen als geplant. Und weit früher eine Reservefläche für die wachsende Produktion ausbauen. Ende dieses Monats soll die stehen. Dann wird sie weitere 50 Mitarbeiterinnen einstellen.

Da selbst Genossenschaftsbanken nicht bereit sind, Trinkwalders Experiment zu finanzieren, muss sie alle Investitionen aus ihrem Privatvermögen bezahlen. Mit 300 000 Euro hat sie kalkuliert – inzwischen hat sie fast eine Million vorgestreckt.

Frustig verlief so manches Einstellungsgespräch. Viele Bewerber, die ihr das Jobcenter vorbeischickt, erscheinen trotz oft langer Arbeitslosigkeit erst gar nicht oder lassen rasch erkennen, dass sie nicht wirklich an Arbeit interessiert sind.

Erfolg trotz Anfangsschwierigkeiten

Jetzt hängt sie ihr Herz nur noch an die, „die wirklich wollen“. Reinhold Demel, Chef der Augsburger Agentur für Arbeit, bewundert ihre Standfestigkeit und wünschte sich, dass mehr Unternehmen ein vergleichbares Engagement zeigen würden: „Dann hätten wir deutlich weniger Probleme am Arbeitsmarkt.“

Die Anfangsschwierigkeiten haben Trinkwalder Kraft gekostet. Übernimmt sie sich, wie Freunde sich sorgen? Trinkwalder beugt sich energisch vor und sagt mit einem glucksenden Lachen: „Da kennan’s mich schlecht. So rasch kriegt mich niemand unter.“

So sprechen die Leute in Oettingen, einem 5500-Einwohner-Städtchen nördlich von Augsburg, in dem sie 1978 zur Welt kam.

Verhasste Ungleichbehandlung

Die nachhaltigsten Unternehmen
Innenansicht einer Filiale der Drogerie-Kette dm Quelle: AP
Ein Mann lehnt an einer Wand, unter dem Logo von Mercedes Benz Quelle: REUTERS
Palina Rojinski bei der Pressepäsentation zum OTTO Saisonstart 2012 in Hamburg Quelle: Morris Mac Matzen
Ein Audi A1 Quattro in der Produktion Quelle: dpa
Ein Marmeladenglas der Sorte Landliebe Quelle: dpa/dpaweb
Produkte der Bärenmarke Quelle: AP
Ein Mitarbeiterin von Miele montiert eine Waschmaschine Quelle: dpa

Sich durchzusetzen hat sie früh gelernt: als eines von vier Mädchen unter lauter Jungen auf einem Augsburger Gymnasium. Das Beispiel des Vaters, der ein Bauplanungsbüro führte, zeigte ihr, dass man ohne hohe Arbeitsmoral nichts erreicht.

Ihre soziale Ader hat hingegen ihre Mutter geprägt – allerdings ungewollt. Weil Sina gegenüber ihrer ein Jahr älteren Schwester mit mehr Talenten gesegnet war, bevorzugte die Mutter diese oft. So empfand es jedenfalls Klein-Sina. Sie hasste die Ungleichbehandlung – und wandelte sich zur Gerechtigkeitsfanatikerin.

Mit Verve wettert sie gegen Greenwashing: den Versuch, umweltschädliches Verhalten schönzureden. Dagegen hat sie sogar ein Manifest verfasst. Nie sei es so einfach gewesen, sich als besserer Mensch zu fühlen, der fair ist, bio lebt und öko fährt, schreibt sie darin. Doch das neue Bewusstsein, klagt Trinkwalder, „ist nur eine Fassade, hinter der die alte, schmutzige Konsumwirtschaft quicklebendig ist“. Vor allem die soziale Dimension komme zu kurz, bemängelt sie: „Dem Qualitätsgedanken gegenüber dem Produkt wird Rechnung getragen, gegenüber dem Mitarbeiter wird rücksichtsloser Raubbau betrieben.“

Ständig neue Ideen

Auch in Sachen Ökologie geht sie weiter als andere, will möglichst viele Materialien aus der Region beziehen, um Transporte zu sparen. Das ist gar nicht so leicht. Einst hieß ihre Heimat das „blaue Allgäu“, weil die Landwirte auf vielen Hektar blau blühenden Flachs aufzogen. Heute hat sie Mühe, Bauern zu überreden, außer Flachs auch andere textile Naturprodukte wie Leinen oder Hanf wieder anzubauen.

Solche Hürden halten die Unternehmerin nicht davon ab, ständig neue Ideen zu entwickeln. Eine kam ihr, als sie mit dem Reutlinger Textil-Experten Nebel Shrimps aß: Könnte man aus deren Schalen nicht Knöpfe und Reißverschlüsse herstellen?

Nebel, längst ein engagierter Weggefährte, prüfte das im Labor: Es klappte. Wie vieles andere, das der 49-Jährige und Trinkwalder ausprobieren: Fasern aus Brennnesseln etwa oder Knöpfe aus Lignin, einem Holzabfallprodukt.

Hilfe durch Spenden

Kann sie das alles als One-Woman-Show weiterführen? Trinkwalder traut sich das zu. Nur beim Geld ist sie jetzt erstmals auf Unterstützung angewiesen. Weil ihre persönlichen Finanzreserven weitgehend aufgebraucht sind, bittet sie Kunden und Sympathisanten auf ihrer Web-Seite um Spenden, um das unerwartet schnelle Wachstum aufrechterhalten zu können. Rund 29 000 Euro hat die Aktion schon eingebracht. Davon kann sie zehn Nähmaschinen kaufen.

Steckt ihr Geschäftsmodell etwa doch in Schwierigkeiten und droht vom eigenen Erfolg aufgefressen zu werden? Trinkwalder weist das zurück. Sie will nur nicht zurückstecken von ihrem Ziel, in fünf Jahren eine soziale und ökologische Alternative zu den etablierten Modemarken zu sein. Und schon in zwei Jahren hofft sie, 300 Beschäftigten wieder eine Perspektive zu bieten. Sina hat ihr Ziel fester vor Augen denn je.

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