Müssen die Autobauer die Software dann selbst entwickeln?
Keese: Nur drei oder vier Autokonzerne haben die Fähigkeiten und Kapazitäten, das selbst zu machen. Das lohnt sich aber auch nur, wenn die Funktionen markendifferenzierend sind – sprich sie sich mit der eigenen Lösung vom Wettbewerb abheben können. Nicht jeder Hersteller wird jede kleine Standard-Funktion selbst entwickeln. Trägt es nicht zur Markenbildung bei, werden die großen und die kleinen Hersteller weiter auf Zulieferer zurückgreifen. Das heißt dann, dass die Zulieferer sich an diese Anforderungen anpassen müssen.
Bernhart: Etwas Ähnliches lässt sich zurzeit in China beobachten. Dort liegen die Produktentwicklungszeiten für Infotainment- und Connectivity-Lösungen in der Regel unter 18 Monaten. Das sind zwar oft Standard-Lösungen und bei weitem nicht so angepasst wie die Systeme deutscher Hersteller, aber es geht. In diesem Zeitraum ein komplettes Infotainmentsystem zu entwickeln, müssen westliche Zulieferer erst noch lernen.
Die Highlights der CES 2017
Samsung erneuert seine Smartphone-Mittelklasse. Im Gegensatz zu den Top-Modellen der S-Reihe gibt es bei den A-Modellen leichte Abstriche beim Chip, Display und Kamera. Für die meisten Nutzer reicht das aber dennoch völlig aus. Verkaufsstart ist im Februar.
Ebenfalls auf die Mittelklasse zielt das HTC X10. Der Nachfolger des X9 dürfte vor allem mit einem kolportierten Preis von 290 Dollar punkten.
Asus erneuert sein Chomebook – das sind Netbooks auf Basis des Google-Betriebssystems chromeOS. Viel ist noch nicht bekannt, spekuliert wird über ein 12,5-Zoll-HD-Display und (ähnlich der Macbooks) nur noch USB-C-Anschlüsse.
Beyerdynamic verspricht neue In-Ear-Kopfhörer der Spitzenklasse. Allerdings wohl auch zu einem Spitzenpreis von rund 1000 Dollar.
Auf der CES geht es nicht nur um autonome Autos und Smartphones. Samsung zeigt eine gewöhnungsbedürftige Kombination aus Waschmaschine und Wäschetrockner, bei der zwei Programme gleichzeitig laufen können. Soll Zeit und Energie sparen.
GoXtreme zeigt mit der Sphere WVR20 eine 4K-fähige Virtual-Reality-Kamera. Und dem Vernehmen nach auch eine VR-Brille.
LG treibt das Prinzip der drahtlosen Lautsprecher auf die Spitze: Der PJ9 schwebt dank starker Magnete einige Zentimeter über der Basisstation frei im Raum. Damit ist er sicher ein Hingucker auf der CES. Aber auch ein Klangwunder?
Virtual Reality ist einer der Trends auf der CES. Neben der Oculus Rift gehört die HTC Vive zu den verbreitetsten VR-Brillen. Gerüchten zufolge steht auf der CES die Premiere der zweiten Generation an, die ohne Kabel auskommen soll.
Blackberry hat angekündigt, keine eigenen Smartphones mehr herstellen zu wollen. Das letzte "echte" Blackberry-Gerät könnte auf der CES vorgestellt werden.
VW will in den kommenden drei Jahren 1000 IT-Experten in den unterschiedlichsten Bereichen anstellen. Ist das nicht viel zu spät?
Keese: Zu einzelnen Unternehmen äußern wir uns nicht. Aber generell gilt in der Branche: Das Problem ist nicht die Leute einzustellen, sondern die Leute zu finden. Eine solche Ankündigung kann auch ein Versuch sein, überhaupt die Aufmerksamkeit für das Thema zu schaffen, um auch branchenfremde Fachkräfte zu erreichen. Das gilt übrigens auch in den USA: Im Großraum Detroit fehlen tausende Software- und Elektronikentwickler bei den großen drei US-Herstellern und ihren Zulieferern.
Dabei sind die US-Universitäten eigentlich recht nah an der Praxis.
Keese: Das ist richtig, der Lehre kann man keinen Vorwurf machen. In der Automobilentwicklung ist ein neuer Berufszweig entstanden, Software- und Elektronikingenieure waren früher einfach nicht gefragt. Im Fokus standen die klassischen Maschinenbauer. Das hat sich komplett gedreht, der Bedarf ist größer als das Angebot.
In Sachen Elektroantrieb und autonomes Fahren haben branchenfremde Unternehmen zuerst die Schlagzeilen und die Entwicklung bestimmt. Was müssen die Autobauer anders machen, damit sie bei den nächsten Megatrends von Anfang an vorne liegen?
Keese: Wir haben eine sehr traditionelle Industrie, die es gelernt hat, in Zyklen von sechs oder sieben Jahren zu denken. Die heutigen disruptiven Entwicklungen verändern grundsätzlich auch das Verhalten der Autobauer: Es wird mehr in Forschung investiert, Venture-Capital-Gesellschaften gegründet, Geschäftsmodelle hinterfragt. Dadurch werden die Konzerne automatisch agiler. Zudem haben sie verstanden, dass sie bei der Elektromobilität geschlafen haben.
Müssen die deutschen Autobauer von Tesla lernen?
Keese: Tesla wird von vielen gelobt, sie hatten auch zur richtigen Zeit das richtige Auto. Wenn ich mir aber die anstehenden Modellneuheiten der kommenden fünf Jahre anschaue, dann hat jeder namhafte Hersteller mindestens zwei bis drei reine Elektroautos mit annehmbarer Reichweite auf dem Markt. Dann wird auch Tesla wieder mehr an den Rand gedrängt. Die Autoindustrie ist nicht die innovativste, aber wenn sie sich auf einen Weg festgelegt hat, ist sie sehr gut und schnell darin.