Erbe der Auto Union: Auf Überlebende zugehen

Wie deutsche Unternehmen mit ihrer NS-Zeit umgehen

Daimler

Daimler ließ 1986 als erster Konzern durch externe Historiker die NS-Zeit aufarbeiten.  Prompt gab es Streit: Die Darstellung der NS-Zeit durch die Gesellschaft für Unternehmensgeschichte geriet nach Ansicht einer Autorengruppe der Hamburger Stiftung für Sozialgeschichte zu positiv. Die unabhängigen Forscher verfassten prompt eine Gegen-Studie. Insgesamt hat Diamler in den Jahren 1944/45 fast 40.000 Zwangsarbeiter beschäftigt.

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Volkswagen

Volkswagen engagierte 1986 zur Aufarbeitung seiner Vergangenheit den Historiker Hans Mommsen. VW setzte nahezu überall in der Produktion Zwangsarbeiter ein.   Insgesamt waren es über 12 000. Die Zwangsarbeiter stammten aus der Sowjetunion, Polen, Frankreich, Italien, Holland sowie der Tschechoslowakei. Hinzu kamen KZ-Häftlinge, die in einem eigens eingesperrten Konzentrationslager eingesperrt wurden. Die Idee, ein modernes Automobilwerk in Wolfsburg zu errichten, ging direkt auf Hitler zurück.

(Foto: Adolf Hitler besichtigt einen VW Käfer)

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Deutsche Bank

Für die Deutsche Bank beleuchtete der Historiker Harold James die Nazi-Periode. Das Werk zur Geschichte des Geldinstituts erschien 1995, zum 125-Jährigen Firmenjubiläum. James beschreibt die Bank als „Mitläufer“, die Haltung der damaligen Banker nannte er „willfährig“. Von Anfang an wurden danach Vorstände jüdischer Konfession ausgeschlossen, nach und nach auch die Aufsichtsratsmitglieder und Mitarbeiter. Von 1938 an profitierte die Bank zunehmend von sogenannten „Arisierungen“ jüdischer Betriebe.

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BASF, Bayer, Hoechst

BASF, Bayer, Hoechst öffneten in den Neunzigerjahren ihre Archive. Insgesamt beschäftigte die frühere I.G. Farben über 80.000 Zwangsarbeiter.  Um Rohstoffe für den Krieg, Synthetikkautschuk und –benzin, zu gewinnen, errichtete die I.G. Farben ein Werk in der Nähe von Auschwitz. Eine Tochtergesellschaft von Degussa und der I.G. Farben produzierte das Schädlingsbekämpfungsmittel Zykon B, das zum Massenmord in den Gaskammern eingesetzt wurde.  Erst relativ spät setzten sich die Nachfolgegesellschaften mit ihrer NS-Vergangenheit auseinander. Selbstverständlich ist der Umgang mit der eigenen Geschichte immer noch nicht: Bei den Feierlichkeiten zum 150-Jährigen Firmenjubiläum im vergangenen Jahr sparte Bayer die Jahre 1933 bis 1945 einfach aus.

(Foto: das Konzentrationslager in Auschwitz. Die Beteiligungsgesellschaft der IG Farben Degesch produzierte hierdas in den Konzentrationslagern eingesetzte Giftgas Zyklon-B.)

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Deutsche Lufthansa

Die Lufthansa hat zu ihrer braunen Vergangenheit ein gespaltenes Verhältnis. Einerseits verweist sie gern darauf, dass die „Deutsche Luft Hansa“ mit dem bis heute gebrauchten Wappentier Kranich 1926 als eine der ersten europäischen Linie abhob. Andererseits sieht sich der Konzern nicht als Rechtsnachfolger der im dritten Reich tätigen Linie, weil diese nach Kriegsende von den Alliierten geschlossen wurde und erst 1953 neu gegründet wurde.

Mit der NS-Zeit hat sich die Linie bereits zweimal befasst. 1946 verfasste der ehemalige Vorstand Martin Wronsky  einen Bericht. Darin bescheinigte er Probleme, beschrieb aber gleichzeitig „mustergültige Barackenlager“ für die Zwangsarbeiter, sprach von „nahrhafter und schmackhafter Verpflegung“  und lobte, es habe dort „künstlerische Darbietungen“ gegeben.

1999 bestellte die Lufthansa beim Wirtschaftshistoriker Lutz Bodraß von der Universität Bochum die Studie „Die Lufthansa und ihre ausländischen Arbeiter im Zweiten Weltkrieg“ in Auftrag. Bodraß zeigte, wie sich die Lufthansa über ihre Wartungsbetreibe allmählich ins Regime hineinziehen ließ. „Bei wenigen Unternehmen lässt sich so klar wie bei der Lufthansa nachweisen, dass der Zwangsarbeitereinsatz von einem einzigen Interesse geleitet wurde: so viel Gewinn wie möglich aus der Rüstungsproduktion zu ziehen und dabei die Zwangsarbeiter so weit wie möglich auszubeuten, um Startkapital für den Neuanfang nach dem Krieg zu sammeln“, urteilt Historiker Budraß. Das lag nicht zuletzt daran, dass ihr Vorstandsmitglied und späterer Aufsichtsratschef Erhard Milch im Reichsluftfahrtministerium bis zum Generalinspekteur der Luftwaffe aufstieg und später als Kriegsverbrecher zu lebenslanger Haft verurteilt wurde.

Die Lufthansa veröffentlichte Budraß Studie freilich nicht im großen Stil. Sie bietet die 117-seitige Arbeit lediglich den eigenen Mitarbeitern im firmeneigenen Intranet zum Download an. Andere Interessenten schickt die Lufthansa die Studie nur auf Wunsch zu.  Auch darum will Budraß im kommenden Jahr eine erweiterte Ausgabe seiner Forschung unter dem Titel „Adler und Kranich“ heraus bringen.

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Krupp

Krupp wurde vom Historiker Werner Abelshauser durchleuchtet, der 2002 publizierte. Krupp galt als NS-Musterbetrieb und beschäftigte zeitweise über 75 000 Zwangsarbeiter, ein Drittel der Gesamtbelegschaft. Alfried Krupp von Bohlen und Halbach kam nach Kriegsende in Haft, wurde aber bereits 1951 begnadigt.  1953 setzte er den  Generalbevollmächtigter Berthold Beitz an, der im vergangenen Jahr verstarb. Beitz, während des Krieges in Diensten einer Ölfirma, konnte auf eine ganz andere Biographie verweisen: Er rettete in Boryslaw in der Ukraine Hunderte Juden vor den Massenvernichtungslagern.

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Bertelsmann

Sie trugen Titel wie „Flieger am Feind“ oder „Torpedoboote vor!“ – dank Romanen für die Hitlerjugend und Groschenheftchen für Frontsoldaten explodierten beim Gütersloher Verlag C. Bertelsmann im Dritten Reich die Gewinne. Doch erst der 800 Seiten starke Bericht einer vom Konzern beauftragten Historikerkommission um den israelischen Wissenschaftler Saul Friedländer räumte im Oktober 2002 mit dem bis dahin gepflegten Mythos auf, die Ostwestfalen seien im Dritten Reich praktisch christlich gefärbte Widerstandskämpfer gewesen. Stattdessen hatte das Medienhaus massiv vom Nazi-Regime profitiert. Unter anderem lieferte Bertelsmann 19 Millionen eigens produzierte Buchexemplare an die Wehrmacht und damit mehr als der Zentralverlag der NSDAP. Aus der Arbeit der Friedländer-Kommission ist das Bertelsmann-interne Team Corporate History hervorgegangen, das die Geschichte des 1835 gegründeten Unternehmens archiviert und aufarbeitet.

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Audi will nun auf Überlebende des Nazi-Terrors zugehen, die Darstellung in eigenen Museen überarbeiten, sich an KZ-Gedenkstätten engagieren – und den bislang verehrten, durch die Studie aber stark belasteten Gründervater Richard Bruhn vom Sockel stoßen.

Eine Audi-Rentenkasse mit seinem Namen soll umbenannt werden. Auch hat Audi schon die Ingolstädter Stadtverwaltung vorgewarnt: „Es wird wohl darum gehen, ob die Bruhnstraße umbenannt wird“, sagt Oberbürgermeister Christian Lösel. Sobald der Stadt die Audi-Studie vorliege, würden Ältestenrat und Stadtrat eingeschaltet.

Für die Studie erforschten der Chemnitzer Geschichtsprofessor Rudolf Boch und Audi-Historiker Martin Kukowski, wie die Auto Union zu einem der eifrigsten Ausbeuter von Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen wurde. Ihr Werk birgt eine Fülle neuer Erkenntnisse – und viel Zündstoff.

Erschreckende Zustände

Denn die erschreckenden Zustände bei Auto Union beschränkten sich nicht auf Leitmeritz, wo Auto Union 1944 und 1945 Panzermotoren baute. Neben diesem Außenlager des KZ Flossenbürg hatte die SS für die Auto Union in Zwickau und an anderen Standorten sechs weitere KZ-Außenlager eingerichtet. Die „Initiative zum Produktionseinsatz von KZ-Häftlingen ging“, so schreiben Kukowski und Boch, „vom Vorstand aus“.

Für die 18.000 KZ-Häftlinge, die die Leitmeritzer Stollen zu Produktionsstätten umbauten, aber nicht in der Motorenproduktion eingesetzt wurden, sei Auto Union moralisch, aber nicht rechtlich verantwortlich, so die Studie. Denn diese Häftlinge unterstanden der SS.

Direkt unterstellt waren der Auto Union aber weitere 3700 KZ-Häftlinge und rund 16 500 Zwangsarbeiter. Die Zahlen sind Stichtagsbetrachtungen. Wegen der hohen Sterblichkeit der Arbeiter war die Fluktuation groß und das tatsächliche Ausmaß der Zwangsarbeit deshalb weitaus größer.

Gemessen an der Zahl von rund 50.000 Konzern-Mitarbeitern 1944, war der Anteil der Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge bei Auto Union vergleichsweise hoch und stieg gegen Kriegsende steil an. „Auf dem Weg in die Riege der schwerst belasteten Rüstungskonzerne wie Flick oder I.G. Farben kam das Kriegsende dem Auto-Union-Konzern zuvor“, so die Studie. „Nur das nahe Kriegsende verhinderte einen noch umfänglicheren KZ-Häftlings-Einsatz. Entsprechende Planungen lagen bereits vor.“

Daimler machte den Anfang

Audi ist der letzte der deutschen Autobauer, der sich in dieser Form der Vergangenheit stellt. Daimler hatte 1986 und 1994 den Anfang gemacht (siehe Bildergalerie). 20 Jahre später folgt nun das VW-Flaggschiff aus Bayern. Konsequenzen hat das nicht nur für Deutschlands beliebtesten Arbeitgeber, als der Audi oft in WirtschaftsWoche-Rankings brilliert, sondern auch für die Konzernmutter in Wolfsburg. Im März stand die NS-Studie auf der Tagesordnung von Vorstandssitzungen bei Audi und VW.