Neuer VW-Aufsichtsratschef Wer ist Hans Dieter Pötsch?

Die schillernden Ex-VW-Größen Martin Winterkorn und Ferdinand Piëch sind auch einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Doch wer ist der neue Chefkontrolleur, der die Abgas-Affäre aufklären soll? Ein Annäherungsversuch.

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Hans Dieter Pötsch: VW-Chefkontrolleur mit bewegter Vergangenheit. Quelle: dpa

Wenn andere Vorstandsmitglieder bei Messen oder Pressekonferenzen ins Rampenlicht traten, hielt sich Hans Dieter Pötsch meist lieber im Hintergrund. Als „Herr der Zahlen“ agierte Volkswagens erfahrener Finanzchef bisher eher hinter den Kulissen. Sein Einfluss im und sein Überblick über den riesigen Weltkonzern waren dabei aber stets beträchtlich.

Doch mit dem Wirken im Hintergrund dürfte es spätestens jetzt vorbei sein. Als neuer Aufsichtsratsvorsitzender des Volkswagen-Konzerns muss der 64-jährige Österreicher den Abgas-Skandal aufklären und das Unternehmen zusammen mit dem neuen Vorstandschef Matthias Müller aus der Krise führen. Während sich in vielen deutschen Aktiengesellschaften der Aufsichtsrat im Hintergrund arbeiten und kontrollieren kann, wird sich Pötsch bei VW kaum der Öffentlichkeit entziehen können.

Der VW-Abgas-Skandal im Überblick

Wie schwer das wird, lässt sich auch aus den Worten von Wolfgang Porsche nur erahnen. „Wir danken Herrn Pötsch, dass er sich in schwierigen Zeiten bereiterklärt, diese wichtige Aufgabe zu übernehmen“, sagt Porsche laut einer VW-Mitteilung. Pötsch selbst dankte schlicht für das Vertrauen. „Ich werde alles tun, damit die Vorgänge restlos aufgeklärt werden“, wird der neue Chefkontrolleur zitiert. „Ich will und ich werde meinen Beitrag leisten, damit das Vertrauen von Kunden, Öffentlichkeit, Anlegern und Geschäftspartnern in Volkswagen wieder wachsen kann.“

„Der Wechsel ist kritisch zu sehen“

Doch die Kritik an der Wahl Pötschs ist groß – von Branchenexperten, aber auch Vermögensverwaltern. „Kein einziges VW-Aufsichtsratsmitglied ist unabhängig – irgendwann kann so etwas zurückschlagen. Der Wechsel von Hans Dieter Pötsch in der Aufsichtsrat passt ebenso nicht in eine gute Corporate-Governance-Landschaft“, sagte Henning Gebhart, Aktienchef der Deutsche-Bank-Vermögensverwaltung, dem „Handelsblatt“. „Selbst wenn er sich in den letzten zwölf Jahren als Finanzvorstand große Verdienste erworben hat, ist ein Wechsel vom Vorstand in den Aufsichtsrat kritisch zu sehen.“

Das neue Who is Who im VW-Konzern
Stefan Knirsch Quelle: Audi
Hinrich Woebcken Quelle: dpa
Neuer Generalbevollmächtigter für die Aggregate-Entwicklung: Ulrich EichhornVolkswagen hat einen neuen Koordinator für die Aggregate-Entwicklung auf Konzernebene. Der WirtschaftsWoche bestätigte Ulrich Eichhorn, dass er im Frühjahr zu VW zurückkehrt. Der 54-Jährige kommt vom Verband der Deutschen Automobilindustrie (VDA), wo er die Verantwortung für die Bereiche Technik und Umwelt inne hatte. Zuvor war Eichhorn neun Jahre lang Entwicklungsvorstand bei der VW-Tochter Bentley. Eichhorn wird nicht Mitglied des Vorstands, sondern berichtet als Generalbevollmächtigter direkt an VW-Chef Matthias Müller – ähnlich wie der neue Chef-Stratege Thomas Sedran. Quelle: Presse
Der neue Generalbevollmächtigte für Außen- und Regierungsbeziehungen: Thomas StegEs ist kein Wechsel der Funktion, sondern der Zuordnung: Thomas Steg ist seit 2012 Generalbevollmächtigter des Volkswagen-Konzerns für Außen- und Regierungsbeziehungen. Bislang war dieser Bereich Bestandteil der Konzernkommunikation. Jetzt ist das Team um Steg als eigenständiger Bereich in das Ressort von VW-Chef Matthias Müller zugeordnet, an den Steg persönlich berichtet. Der diplomierte Sozialwissenschaftler wird zusätzlich das Thema Nachhaltigkeit verantworten. „Mit der Bündelung der Konzernzuständigkeiten und der neuen Zuordnung des Themas Nachhaltigkeit trägt Volkswagen dessen wachsendem Gewicht Rechnung“, teilte der Konzern mit. Steg begann seine berufliche Laufbahn 1986 als Redakteur der Braunschweiger Zeitung. Danach war er Pressesprecher zunächst des DGB Niedersachsen/Bremen, ab 1991 des Niedersächsischen Sozialministeriums und ab 1995 der SPD-Landtagsfraktion Niedersachsen. 1998 übernahm er im Bundeskanzleramt die stellvertretende Leitung des Büros von Bundeskanzler Gerhard Schröder, ab 2002 war er stellvertretender Regierungssprecher, ab 2009 selbstständiger Kommunikationsberater. Quelle: Presse
Der neue VW-Entwicklungsvorstand: Frank WelschKurz nach dem Bekanntwerden von Dieselgate wurde der Entwicklungsvorstand der Marke VW, Heinz-Jakob Neußer, beurlaubt. Bei der Aufsichtsratssitzung am 9. Dezember ernannte das Kontrollgremium Frank Welsch zu seinem Nachfolger. Der promovierte Maschinenbau-Ingenieur ist seit 1994 im Konzern. Über verschiedene Stationen in der Karosserie-Entwicklung, als Entwicklungsleiter in Shanghai und Leiter der Entwicklung Karosserie, Ausstattung und Sicherheit der Marke Volkswagen arbeitete er sich zum Entwicklungsvorstand von Skoda hoch. Diesen Posten hatte Welsch seit 2012 inne.Sein Vorgänger Neußer verlässt den Konzern allerdings nicht, sondern steht laut VW-Mitteilung "dem Unternehmen für eine andere Aufgabe zur Verfügung". Quelle: Volkswagen
Der neue VW-Beschaffungsvorstand: Ralf BrandstätterRalf Brandstätter wird Vorstand für Beschaffung der Marke Volkswagen. Der 47-Jährige folgt in seiner neuen Funktion auf Francisco Javier Garcia Sanz, der die Aufgabe als Markenvorstand in Personalunion zusätzlich zu seiner Funktion als Konzernvorstand für den Geschäftsbereich Beschaffung wahrgenommen hatte. In Zukunft wird Garcia Sanz zusätzlich zu seinen Aufgaben als Konzernvorstand Beschaffung die Aufarbeitung der Diesel-Thematik betreuen. Brandstätter kam 1993 in den Konzern. Seit dem ist der Wirtschaftsingenieur in verschiedensten Posten für die Beschaffung verantwortlich gewesen, zuletzt als Leiter Beschaffung neue Produktanläufe. Zwischenzeitlich war er auch Mitglied des Seat-Vorstands. Seit Oktober 2015 ist Brandstätter auch Generalbevollmächtigter der Volkswagen AG. Brandstätter berichtet wie der ebenfalls neu berufene Entwicklungschef Frank Welsch direkt an VW-Markenvorstand Herbert Diess. Quelle: Volkswagen
Neuer VW-Personalvorstand: Karlheinz BlessingMitten in der größten Krise der Konzerngeschichte bekommt Volkswagen mit dem Stahlmanager Karlheinz Blessing einen neuen Personalvorstand. Der Aufsichtsrat stimmte am 9. Dezember bei seiner Sitzung dem Vorschlag der Arbeitnehmerseite für den vakanten Spitzenposten bei Europas größtem Autobauer zu. Blessing folgt damit auf den bisherigen Personalvorstand Horst Neumann, dieser war Ende November in den Ruhestand gegangen. Der Ernennung war eine lange Suche nach einem geeigneten Kandidaten vorausgegangen. Blessing (58) ist seit 2011 Vorstandsvorsitzender der Stahlherstellers Dillinger Hütte. Zuvor war er Büroleiter des damaligen IG Metall-Vorsitzenden Franz Steinkühler und Anfang der 1990er Jahre Bundesgeschäftsführer der SPD. 1993 ersetzte er als Arbeitsdirektor bei der Dillinger Hütte Peter Hartz, der damals zu VW nach Wolfsburg ging. Blessing sei gut in der IG Metall vernetzt, habe aber auch unternehmerische Erfahrung, hieß es in den Konzernkreisen. Quelle: dpa

Noch deutlicher wurde Auto-Professor Ferdinand Dudenhöffer im „Deutschlandfunk“. „Den Finanzchef, der zwölf Jahre lang alle Entscheidungen mitgetragen hat, jetzt zum Oberaufseher zu machen über Gerichtsurteile, die Aktionäre links liegen zu lassen, keine Hauptversammlung zu machen, ist nach meiner Einschätzung ein Zeichen dafür, dass man es mit der Aufklärung wirklich nicht so ernst nimmt, wie man immer behauptet“, so der Leiter des CAR-Instituts. „Es gibt viele Fragen hinter Pötsch, auf der einen Seite durch seine Vergangenheit und auf der anderen Seite dadurch, dass er nach meiner Einschätzung es versäumt hat, seine Aktionäre auf diese großen Risiken hinzuweisen. Das heißt, auch hier stehen Aktionärsklagen ins Haus.“

Doch wer ist Hans Dieter Pötsch – der Mann, der jahrelang im Schatten von Martin Winterkorn die Finanzgeschäfte leitete und jetzt den Abgas-Skandal aufklären soll?

Ausgewiesener Finanzexperte ohne Risikofreude

Seit 2003 ist der stets korrekt gekleidete Wirtschaftsingenieur Vorstandsmitglied in Wolfsburg, zunächst ohne festes Ressort. Doch bereits wenige Monate nach seinem Antritt fiel sein Talent für Zahlen auf und er übernahm die Finanzsparte – keine schlechte Entscheidung, wie sich später zeigen sollte.

Investoren und Analysten schätzen seine konservative und solide Liquiditätssteuerung. Trotz teuren Übernahmen, etwa von Porsche und MAN, konnte Pötsch Barreserven in Höhe von mehreren Milliarden Euro anhäufen. Zudem kann sich Volkswagen bei den Banken zu extrem guten Konditionen refinanzieren.

Dabei ist Pötsch kein Freund des Risikos. Das äußerste Wagnis, das der bisherige Finanzchef einzugehen bereit ist, „liegt bei null“, sagte er einmal. Offene Rechnungen oder gar Unsicherheiten schätzt er wie Bauchweh. Die Ungewissheiten, die bei der Aufklärung der Abgas-Affäre auf den Konzern zukommen, dürften Pötsch bereits heute Magenkrämpfe bereiten.

2006 musste Pötsch beinahe gehen

Als sein Meisterstück gilt zweifelsohne die Abwicklung der Übernahme von Porsche durch den Wolfsburger Konzern. Zur Erinnerung: Über komplizierte Aktiengeschäfte und Optionen hatte der viel kleinere Sportwagenbauer aus Stuttgart zunächst versucht, seinerseits Volkswagen zu übernehmen. Das kühne Vorhaben des damaligen Porsche-Chefs Wendelin Wiedeking und seines Finanzjongleurs Holger Härter scheitere – und VW griff selbst zu.

Die komplexen Transaktionen zu entwirren und die Übernahme diskret im Hintergrund abzuwickeln brachte Pötsch großes Vertrauen bei den Mehrheitseigentümern der Familien Porsche und Piëch ein. Dass er den Kauf so geschickt abwickelte, dass trotz der Milliardenströme kaum Steuern anfielen, hat den Familienoberhäuptern in Stuttgart und Salzburg auch gefallen.

Das Vertrauen in den zurückhaltenden Finanzexperten war sogar so groß, dass er bei dem angeblichen Rückzug des Konzernpatriarchen Ferdinand Piëch im Jahr 2013, der dann keiner war, schnell als Kandidat für den Vorstandsvorsitz oder gar die direkte Nachfolge Piëchs im Aufsichtsrat gehandelt wurde.

Doch nicht immer lief es für Pötsch in Wolfsburg so positiv. Bereits 2006 stand er kurz vor der Abberufung aus dem VW-Vorstand: Pötsch wurde von dem damaligen VW-Boss Bernd Pischetsrieder nach Wolfsburg geholt. Die beiden Manager kannten sich aus BMW-Zeiten in den 1980er Jahren, wo Pötsch zwischenzeitlich das Konzerncontrolling leitete. Als Pischetsrieder bei Piëch in Ungnade fiel, wurde er vom Hof gejagt – und seine Vertrauten beinahe mit ihm. Am Ende durfte Pötsch auf Bewährung bleiben – und wurde schnell zu einem unverzichtbaren Bestandteil der Führungsmannschaft, zu Martin Winterkorns rechter Hand.

„Ein idealer zweiter Mann, aber kein Chef“

Der Job als Mann im Hintergrund scheint Pötsch zu liegen, denn seine Erfolge in Wolfsburg sind unbestreitbar – im Gegensatz zu seinem Wirken in Baden-Württemberg, wo er zuvor mit durchwachsenem Erfolg mehrere Unternehmen geleitet hatte. Er sei ein idealer zweiter Mann, aber eben kein Unternehmenschef, berichteten frühere Weggefährten aus der Zeit in Baden-Württemberg.

Von 1991 bis 1995 leitete der Österreicher die Geschäfte des Industriemaschinenherstellers Traub AG aus Reichenbach an der Fils. Ein Jahr nach Pötschs Abgang musste das Traditionsunternehmen Insolvenz anmelden. Aktionäre warfen dem Management wiederholt vor, Bilanzen geschönt zu haben – auch als Pötsch noch die Verantwortung hatte. „Trotz intensiver Bilanzkosmetik sieht Traub seit langem alt aus“, hieß es etwa bei einer Hauptversammlung. Von Pötschs Management angestoßene Übernahmen des Werkzeugmaschinenbauers Heckert Chemnitzer und der Maschinenfabrik Berthold Hermle AG hatten Traub in eine finanzielle Schieflage gebracht, Bankschulden von über 260 Millionen Mark lasteten auf dem Unternehmen.

Die Traub-Insolvenz beobachtete Pötsch aus dem rund 50 Kilometer entfernten Bietigheim-Bissingen, wo er inzwischen Vorstandsvorsitzender des Anlagenbauers und Autozulieferers Dürr war. Auch hier kaufte er kräftig zu – etwa Alstom Automation, den Darmstädter Messtechnik-Konzern Carl Schenck oder Premier Manufacturing aus den USA. Letztgenanntes Unternehmen hat Dürr 2005 wieder verkauft.

Premier und Schenck waren für sich genommen jeweils größer als Dürr. Mit den Übernahmen – die Begleiter aus dieser Zeit „zum Teil nicht zukunftsfähig“ nennen – wuchs die Dürr-Gruppe von rund 3.000 auf über 12.000 Mitarbeiter. Doch an anderer Stelle blieb das Wachstum aus: Der Aktienkurs der Dürr AG sank unter der Führung von Pötsch von umgerechnet rund 17 Euro auf unter 9 Euro – erst mit einem radikalen Kurswechsel nach dem Weggang Pötschs und auch seines Nachfolgers Stephan Rojahn konnte Dürr wieder zulegen.

Die geschäftlichen Entwicklungen von Traub und Dürr sind natürlich nicht alleine Pötsch anzulasten. Dennoch lief, wenn er eine tragende Rolle innehatte, nicht alles rund. Bleibt für die 600.000 VW-Angestellten und unzähligen Kleinaktionäre zu hoffen, dass es dieses Mal mit Hans Dieter Pötsch an der Spitze besser läuft.

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