Zinsskandal Was wusste die Bank of England?

Überraschende Wende im Libor-Skandal: Barclays hat brisante Dokumente veröffentlicht, die die britische Notenbank schwer belasten. Es wäre ein gigantischer Vertrauensverlust. Heute muss Ex-Chef Bob Diamond aussagen.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Bank of England: Wusste die Notenbank davon, dass die gemeldeten Referenzzinssätze zu niedrig waren? Quelle: Reuters

London Der Skandal um die Manipulation des weltweit wichtigsten Vergleichszinssatzes hat bereits zwei Banker-Karrieren ruiniert. Dabei dürfte es nicht bleiben. Die Affäre zieht immer weitere Kreise. Selbst die ehrwürdige Notenbank Großbritanniens, die Bank of England, könnte von den Machenschaften gewusst haben.

Die Affäre kocht hoch, als in der vergangenen Woche die britische Großbank Barclays einräumte, dass ihre Händler systematisch den globalen Referenzzinssatz Libor manipuliert haben. Um die Vorwürfe aus der Welt zu schaffen, akzeptierte Barclays eine Rekordstrafe von knapp einer halben Milliarde Dollar.

In Großbritannien löste der Skandal einen innenpolitischen Sturm aus, der gestern Barclays-Chef Bob Diamond seinen Job kostete. Bereits am Montag musste der Chairman der Bank, Marcus Agius, seinen Posten aufgeben.

Jetzt könnte die Affäre allerdings eine überraschende Wendung nehmen. Heute muss sich Diamond vor dem Finanzausschuss des britischen Parlaments rechtfertigen. Vor diesem Auftritt veröffentlichte Barclays eine Reihe von Dokumenten, die nahezulegen scheinen, dass die britische Notenbank von den Manipulationen wusste und die Banken 2008 möglicherweise sogar ermutigte, niedrigere Libor-Sätze zu melden, um eine weitere Zuspitzung der Finanzkrise zu vermeiden.

Der Skandal um mögliche Tricksereien bei den Referenzzinsen weitet sich aus. Die Ermittlungen betreffen nicht nur den Libor, sondern auch den Euribor. Anleger stellen sich die Frage, ob sie davon betroffen sind.

Der Libor ist ein täglich vom britischen Bankenverband BBA errechneter Zins, an dem sich Geldhäuser rund um den Globus orientieren. Seit 1986 befragt die BBA die am Finanzplatz London ansässigen Banken, zu welchem Zins sie sich zuletzt untereinander Geld geliehen haben. Der daraus errechnete Libor-Satz für Laufzeiten von bis zu einem Jahr und für die gängigsten Währungen ist nicht nur der wichtigste Indikator für die Liquiditätslage am Interbankenmarkt und damit ein entscheidendes Krisenbarometer, er dient auch als Referenz für Finanzprodukte im Wert von Hunderten von Billionen Euro.

Zwei Vorwürfe stehen nun im Raum: Zum einen sollen sich die Händler einer Reihe von Banken durch die Manipulation des Libor bereichert haben. Dabei sollen die Banker eine Art Kartell gebildet haben, um die Sätze in eine Richtung zu lenken, die den Wert ihrer eigenen Derivatepositionen steigerte. "Heute bräuchten wir einen ziemlich niedrigen Satz bei den Dreimonats-Laufzeiten, sonst kostet uns das ein Vermögen", heißt es in einer E-Mail eines der beschuldigten Barclays-Händler.

Zum anderen sollen einige der damals am Libor-Fixing beteiligten Banken in den Krisenjahren 2007 und 2008 systematisch zu niedrige Zinsen gemeldet haben, um die verunsicherten Märkte zu beruhigen.

Milliardenkosten durch Schadensersatzprozesse

Die wertvollsten Bank-Marken der Welt
Platz 15: Die staatsgeführte Bank of China ist nicht nur das zweitgrößte, sondern auch das älteste Geldinstitut der Volksrepublik. Im Vergleich zum Vorjahr konnte sich die Bank of China in Sachen Markenwert um zwei Plätze steigern. Der aktuelle Markenwert des Hauses liegt bei rund 12,86 Milliarden US-Dollar. Die Ergebnisse stammen vom Brand Finance Banking 500 - einer Erhebung, die das amerikanische Beratungsunternehmen Brandfinance mit dem Fachblatt "Te Banker" erarbeitet hat. Quelle: REUTERS
Platz 14: Das größte Kreditinstitut der Bundesrepublik, die Deutsche Bank, konnte 2011 trotz der europäischen Banken-Krise respektable Ergebnisse vorlegen. Die Universalbank konnte ihre Vorjahres-Platzierung erneut verteidigen. Der aktuelle Markenwert des Hauses liegt bei rund 12,9 Milliarden US-Dollar. Quelle: dapd
Platz 13: Die Banco Itaú ist die größte Bank in Brasilien und ganz Lateinamerika. Hervorgegangen ist das Unternehmen aus der Fusion der beiden Banken Banco Itaú und der Unibanco. Im Vergleich zum Vorjahr hat das Geldhaus zwei Plätze eingebüßt. Der aktuelle Markenwert des Hauses liegt bei rund 13,2 Milliarden US-Dollar. Quelle: dpa
Platz 12: Die drittgrößte Bank Großbritanniens ist im Vergleich zum Vorjahr um ganze fünf Plätze nach unten gerutscht. Die Turbulenzen auf den Finanzmärkten sind 2011 auch an Barclays nicht spurlos vorübergegangen. Dennoch übertrifft das international agierende Finanzunternehmen in Sachen Markenwert alle anderen britischen Bankhäuser, abgesehen von HBSC. Der aktuelle Markenwert des Hauses liegt bei rund 13,6 Milliarden US-Dollar. Quelle: REUTERS
Platz 11: Gemessen an der Bilanzsumme ist die Industrial & Commercial Bank of China (ICBC ) die größte Bank Chinas. Dennoch musste das Haus in Sachen Markenwert einen kleinen Verlust hinnehmen - im Vergleich zum Vorjahr fiel das Unternehmen drei Plätze nach unten. Der aktuelle Markenwert des Hauses liegt bei rund 15,2 Milliarden US-Dollar. Quelle: REUTERS
Platz 10: Die China Construction Bank (CCB) gehört zu den vier größten Banken der Volksrepublik. In Sachen Markenwert hat es das Geldhaus nicht nur geschafft, den Konkurrenten ICBC zu überrunden, sondern auch die Spitzenposition unter den chinesischen Banken einzunehmen. Der aktuelle Markenwert des Hauses liegt bei rund 15,5 Milliarden US-Dollar. Quelle: dpa
Platz 9: Die Banco Bradesco gehört zu den vier größten Banken Brasiliens. Im Vergleich zum Vorjahr büßte das Geldinstitut drei Plätze in Sachen Markenwert ein, ist unter den brasilianischen Konkurrenten aber immer noch Spitzenreiter. Der aktuelle Markenwert des Hauses liegt bei rund 15,7 Milliarden US-Dollar. Quelle: Presse

Der Untersuchungsbericht der US-Aufsicht CFTC zeigt, dass die britische Notenbank damals in regelmäßigem Kontakt zu Barclays stand und dass Vertreter des Geldhauses in einigen dieser Konferenzen den Verdacht äußerten, dass die Libor-Sätze künstlich niedrig gehalten würden. Gestern veröffentlichte Barclays nun eine Notiz von Bob Diamond, die er nach einem Telefonat mit dem für die Stabilität des britischen Finanzsystems verantwortlichen Notenbanker Paul Tucker angelegt hatte.

Großbanken machen ihr Testament

Tucker "ist sicher, dass wir keine Ratschläge brauchen, aber dass unsere Libor-Sätze nicht immer so hoch erscheinen müssen wie zuletzt". Barclays verstand das offenbar als versteckte Aufforderung, niedrigere Libor-Sätze zu melden. Zumindest gaben Führungskräfte der Bank eine entsprechende Anweisung an die Händler weiter.

Die Bank of England hat bereits dementiert, dass sie von der Zinsaffäre wusste oder gar indirekt Manipulationen unterstützt hätte. Aber nach der Veröffentlichung der Barclays-Dokumente steht auch für Tucker bei der heutigen Parlaments-Anhörung sehr viel auf dem Spiel, gilt er doch bislang als Favorit für die Nachfolge von Notenbank-Gouverneur Mervyn King im kommenden Jahr.

Was den Libor so wichtig macht

Aber nicht nur deshalb wird der Libor-Skandal weitere Kreise ziehen. Schließlich ist in die Affäre nicht nur Barclays verwickelt. Rund um den Globus ermitteln die Aufseher gegen etwa 20 Institute, darunter auch die Deutsche Bank. Zwölf Geldhäuser haben bereits verdächtige Händler suspendiert. "Noch vor Ende des Jahres könnte es weitere Vergleiche geben", kündigte Adair Turner, oberster britischer Finanzaufseher, an.

Nach Informationen aus Finanzkreisen stellt sich die Royal Bank of Scotland bereits auf eine Strafe ein. Darüber hinaus scheint die Schweizer UBS im Fokus der Libor-Untersuchung zu stehen.

Analysten rechnen mit Milliardenkosten durch Schadensersatzprozesse. In den USA gehen erste Sammelklagen ein. Eine Klageschrift nennt alle 16 damals an der Libor-Findung beteiligten Institute als Beschuldigte, auch die Deutsche Bank. In Finanzkreisen heißt es, dass einige Händler der Frankfurter in den Skandal verwickelt sind, allerdings gehe es nicht um systematische und großangelegte Manipulationen wie bei Barclays.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%