Langes Zögern
Bombardier startete das Projekt zu spät. Zwar hatte der Konzern die erste Idee für einen 100-Sitzer Mitte der Neunzigerjahre. Damals sah sich das Unternehmen die kriselnde Daimler-Tochter Fokker an, deren Fokker 100 von der Größe und der Struktur der Airline-Kunden die Lücke gefüllt hätte. Doch am Ende scheute Bombardier Kosten und Risiko.
Das galt ebenso 1998, als die Ingenieure den BRJ-X mit bis zu 110 Plätzen und einem breiteren Rumpf entwickelten. Statt rund eine Milliarde Dollar Entwicklungskosten zu investieren, streckte der Konzern lieber für einen Bruchteil seine CRJ-700. Heraus kamen die gut 90-sitzige CRJ-900 und die auf gut 100 Passagiere ausgelegte CRJ-1000.
An der aus heutiger Sicht falschen Entscheidung rüttelte Bombardier auch nicht, als 2001 nach der Pleite des Herstellers Fairchild Dornier das weitgehend entwickelte Modell 728 mit einer dreistelligen Zahl an Kaufverträgen zu haben war.
Hybris
Damit überschätzte Bombardier seine Marktmacht. Anders als Mitte der Neunzigerjahre hatten die Kanadier um die Jahrtausendwende den Markt der 100-Sitzer nicht mehr für sich.
Neben dem Aufsteiger Embraer mit seinen E-Jets warfen die Branchenführer Airbus und Boeing ihre Doppelschrumpf-Versionen A318 und 737-600 teilweise unter Baukosten auf den Markt. Sie wollten der neuen Konkurrenz das Leben schwer machen. Boeing drückte zudem den kleineren, 717 genannten Erben der legendären McDonnell Douglas DC-9 und MD-90 auf den Markt. Erfolg hatte am Ende nur Embraer, weil die Jets der Brasilianer als einzige neu entwickelt waren - und damit effizienter und komfortabler.
Keine Gemeinsamkeiten
Als Bombardier ab 2005 das Konzept der CSeries vorstellte, traten sie vergleichsweise bescheiden auf. Sie vertrauten auf ihre Technik. Als einziges neu entwickeltes Modell dieser Größenklasse versprach es geringere Betriebskosten und den Passagieren mehr Komfort durch weniger Lärm oder mehr Platz. Flughafenanwohner sollten durch weniger Fluglärm profitieren. Das sollte die streng rechnenden Airlines überzeugen.
Darüber vergaßen die Bombardier-Manager aber, dass Airlines nicht nur auf den Spritverbrauch achten. Wichtig sind etwa auch Familienvorteile, wenn zum Beispiel bei der Bedienung im Cockpit möglichst viele Gemeinsamkeiten mit alten Modellen bestehen. Airbus hatte mit den vielen Gemeinsamkeiten seiner Modelle vom A320 bis A350 gezeigt, dass die niedrigeren Wechselkosten zwischen den Modellen die Kunden fast so eng binden wie bei einem Nassrasierer.
Pannen
Beim Bau der Maschine übernahm sich der Konzern. „Wir haben Erfahrung, weil wir jedes Jahr mindestens eine neue Maschine auf den Markt bringen“, gab sich der damalige Chef des Linienfliegerbaus, Mike Arcamone, im Sommer 2013 zuversichtlich. Kurz vor dem geplanten Erstflug lobte er vor allem das Testprogramm der CSeries.
Kurz darauf musste er den Erstflug absagen, weil etwas mit der Software nicht stimmte. Als die drei Monate später funktionierte, startete der Flieger unter großem Jubel.
Doch nun erkannte Bombardier, wie viel komplexer das Testprogramm eines neuen Passagierjets im Vergleich zu Privatjets ist. Zuerst musste die Linie reihenweise Flüge absagen. Dann explodierte zu allem Überfluss bei einem Bodentest Ende Mai eines der Triebwerke und beschädigte einen Flügel. Als Anfang September nach einem größeren Umbau am Triebwerk die ersten Maschinen wieder flogen, bleib der beschädigte Prototyp am Boden. Grund: Bombardier hatte die Reparatur der neuen Verbundwerkstoffe unterschätzt.
Nach den vielen Pannen zog sich Bombardier zurück, statt bei Fluglinien und Öffentlichkeit um Vertrauen zu werben. „Das stärkte nicht gerade das Vertrauen“, so Scott Hamilton, Chef des auf die Flugbranche spezialisierten Marktforschers Leeham. Die Reaktion kam prompt: Es gab nicht nur keine neuen Aufträge. Auch die bestehenden Orders wackelten und einige wie die als Erstbetreiberin eingeplante schwedische Fluggesellschaft Malmö Aviation verschoben ihre Auslieferungen.