Olli heißt das neue Lieblingsprojekt von Rüdiger Grube. Der autonom fahrende Mini-Bus fährt auf einem Testgelände in Berlin-Schöneberg bis zu sieben Passagiere über den Campus. Kurz vor Weihnachten gab der Bahnchef den offiziellen Startschuss für das Zukunftsprojekt des Konzerns. Dumm nur, dass das kleine Gefährt, das mit gerade mal vier Sensoren ausgestattet ist, kaum um die Kurve kam, als es den Vorstandschef in Schritttempo um den Block fuhr. Grube zeigte sich dennoch begeistert. „Es macht mich stolz.“
Die Zukunft sucht der Konzern inzwischen nicht nur auf der Schiene, sondern auch auf der Straße. Zu groß scheint die Gefahr, dass die Menschen irgendwann einmal das Auto der Bahn vorziehen, weil sie es genauso nutzen können wie heute den Zug: einsteigen, aus dem Fenster gucken und arbeiten. Die Kurvenprobleme von „Olli“ zeigen aber auch, dass die Zukunft noch weit weg ist. Grube hat deshalb noch Zeit, sich den profanen Dingen seines Geschäfts zuzuwenden: pünktliche Züge, guter Service, bequemes Reisen. Und geht es nach Grube, wird 2017 das Jahr, in dem alles besser wird.
Vor etwas mehr als einem Jahr hatte der Konzernchef ein Reformprogramm gestartet, das den Konzern runderneuern soll. Damals war die Lage miserabel: 2015 schloss der Konzern das erste Mal seit zwölf Jahren mit einem Milliarden-Verlust ab. Die Güterbahn war und ist bis heute ein Sanierungsfall. Die Regio-Tochter verlor wertvolle Marktanteile an die Wettbewerber. Die Züge im Fernverkehr waren unpünktlich. Grube wollte den Konzern mit dem Programm „Zukunft Bahn“ wieder auf die Erfolgsspur setzen. Nun, so scheint es, erntet er die ersten Früchte dieser Anstrengungen.
In diesem Jahr will die Deutsche Bahn zeigen, dass Zugfahren mehr ist als der Transport von A nach B. Und die erste Verbesserung ist das kostenlose WLAN in der zweiten Klasse. Inzwischen sind alle ICE mit der neuen Technik ausgerüstet. Der Konzern liegt damit voll im Zeitplan. Das allein schon ist ein Erfolg für den Konzern. Allerdings hat das Angebot einen Haken.
Wirklich besser wird es erst ab 2018
Denn in Wahrheit gilt kostenloses Surfen im Zug zunächst für ein Datenvolumen von 200 Megabyte (MB) pro Tag. Danach wird die Surfgeschwindigkeit gedrosselt. Irgendwann im Laufe des Jahres 2017 sollen die Kunden eine dauerhaft schnelle Verbindung hinzubuchen können. Doch wann das der Fall ist und wie viel es kosten wird, hat die Bahn noch nicht entschieden. Zunächst will die Bahn mit dem laufenden System Erfahrungen sammeln. Immerhin, so heißt es, sei das Downloadvolumen für 80 Prozent der Fahrgäste ohnehin ausreichend.
Hochgeschwindigkeitszüge in anderen Ländern
In Italien konkurrieren zwei Anbieter von Schnellzügen um die Kunden. Neben der Staatsbahn Trenitalia gibt es seit 2012 auch die privaten Italo-Züge. Italo bedient mit seinen schnellen und modernen Zügen des französischen Konzerns Alstom weniger Strecken als Trenitalia, setzt aber vor allem auf Komfort und Service. So gibt es in der ersten Klasse Essen am Platz, dazu kommen Wlan und die Möglichkeit eines eigenen Unterhaltungsprogramms. Trenitalia hat vor kurzem seinen neuen Frecciarossa 1000 präsentiert, der bis zu 400 Stundenkilometer schnell fährt. Die Freccia-Züge setzen eher auf gute Verbindungen, hohe Geschwindigkeit und wenige Haltepunkte. In den Schnellzügen beider Anbieter gilt generell eine Reservierungspflicht.
In Spanien hebt das staatliche Eisenbahnunternehmen Renfe vor allem die Pünktlichkeit der mit Höchstgeschwindigkeiten von bis zu 310 Stundenkilometern fahrenden Schnellzüge hervor. Ab Herbst sollen die Waggons zunächst auf der Strecke zwischen Madrid und Barcelona mit Wlan ausgestattet werden. Der Hochgeschwindigkeitszug AVE hat im Juli 1,84 Millionen Reisende transportiert und damit einen neuen Rekord aufgestellt. Mit einem Streckennetz von knapp 3150 Kilometern ist das AVE-System im europäischen Highspeed-Sektor führend. In den kommenden Jahren soll das Netz für rund zwölf Milliarden um weitere 1850 Kilometer erweitert werden. Geplant sind außerdem 30 neue Züge im Wert von 2,65 Milliarden Euro.
In Frankreich soll 2022 eine neue Generation des Hochgeschwindigkeitszugs TGV in Betrieb gehen. Das Modell wird vom Bahnkonzern SNCF und dem Siemens-Rivalen Alstom gemeinsam entwickelt. Der neue TGV soll billiger und sauberer werden und in der Anschaffung sowie im Betrieb mindestens 20 Prozent günstiger sein. Geplant ist außerdem, den Energieverbrauch um mindestens ein Viertel zu senken. Der erste TGV ging 1981 an den Start und war der Vorreiter der Hochgeschwindigkeitszüge in Europa. Er verbindet die wichtigsten Städte des Landes. Die mehr als 400 Kilometer von Paris bis Lyon schafft er mit teilweise über 300 Stundenkilometern in rund zwei Stunden.
Der wohl bekannteste Schnellzug in Großbritannien ist der Eurostar, der Spitzengeschwindigkeiten von bis zu 320 Kilometern pro Stunde erreichen kann. Seit Ende 2015 ist das Modell e320 von Siemens im Einsatz und verbindet London, Paris und Brüssel. Auf der Hochgeschwindigkeitstrasse High Speed 1 (HS 1) zwischen London und dem Eurotunnel fährt aber auch der sogenannte Class 395 „Javelin“ der britischen Eisenbahngesellschaft Southeastern Railway, der 225 Stundenkilometer erreicht. Gestritten wird wegen hoher Kosten über eine Nord-Süd-Trasse (HS 2) zwischen London, Birmingham, Sheffield, Manchester und Leeds. Der Bau der Strecke soll 2017 beginnen - das Parlament hat aber bisher nur für einen Teil grünes Licht gegeben.
In Polen setzt die Staatsbahn PKP auf Schnelligkeit und Komfort. Für umgerechnet etwa sieben Milliarden Euro ließ das Unternehmen seit 2012 Schienennetz, Bahnhöfe und Züge erneuern. Zum Modernisierungsprogramm gehört etwa der Kauf der elektrischen Triebzüge ED250 Pendolino des Herstellers Alstom. Sie erreichen eine Höchstgeschwindigkeit von 250 Stundenkilometern. Für eine bequeme Reise sorgen ausziehbaren Sitze, individuelle Beleuchtung und Steckdosen an jedem Platz. Diesen Komfort in der Kategorie Express InterCity Premium (EIP) soll sich mittels Frühbucherrabatten jeder leisten können. Tickets gibt es ab umgerechnet 11 Euro. Ein Imbiss und sowie ein Getränk an Bord sind im Preis inbegriffen.
Japans derzeit schnellster Zug ist der Shinkansen. Da der Eisenbahnbetrieb auf nationaler Ebene seit den 1980er Jahren privatisiert ist, gibt es mehrere Betreiber für die Hochgeschwindigkeitszüge. Die meist befahrene Strecke zwischen Tokio und Osaka fällt unter die Zuständigkeit des Bahnunternehmens JR Tokai. Dieses verfolgt angesichts des immer heftigeren Konkurrenzkampfes mit Billigfliegern die Ziele, schneller, komfortabler und sicherer zu werden, ohne dabei die Preise zu senken. Mit einem neuen Bremssystem sollen die rund 130 Züge zudem mit einer Höchstgeschwindigkeit von 285 km pro Stunde fahren können.
Technisch ist die Drosselung der Downloadgeschwindigkeit nachvollziehbar. Die Bahn bündelt die Bandbreiten der Mobilfunkanbieter und stellt sie den Reisenden im Zug über den WLAN-Hotspot zur Verfügung. Doch die Übertragung des Mobilfunks in die fahrenden ICE-Züge ist eine anspruchsvolle Angelegenheit. In der Praxis kommt die Bahn auf vielen Eisenbahn-Kilometern gerade mal auf ein mickriges WLAN-Downloadvolumen von zehn bis 50 Megabit pro Sekunde. Das Volumen müssen sich im Extremfall bis zu 800 Passagiere teilen. Zum Vergleich: ein gut ausgerüsteter Haushalt verfügt heute schon über einen WLAN-Anschluss von bis zu 100 Megabit pro Sekunde.
Ein Haushaltsanschluss für 800 Fahrgäste
Mit anderen Worten: Die Bahn verteilt einen Haushaltanschluss auf einen gesamten Zug. Andererseits: Die Bahn kann auch nur die Mobilfunknetze bündeln, die außerhalb des Zuges zur Verfügung stehen. Die Bahn nutzt dafür modernste WLAN-Technik des schwedischen Ausrüsters Icomera, der alle drei Netze von Deutsche Telekom, Vodafone und O2 zu einem Netz bündeln und das Maximale aus den verfügbaren Netzen heraus holen kann. So werden 85 Prozent des ICE-Streckennetzes mit mindestens zehn Megabit pro Sekunde abgedeckt. Richtig viel ist das natürlich nicht. Aber mehr geht derzeit kaum.
Mitunter scheitert die Vollversorgung daran, dass regulatorische Vorgaben etwa für die Einflugschneise des Frankfurter Flughafens eine Optimalversorgung nicht zulassen. So kann die Deutsche Telekom zwischen Frankfurt und Darmstadt auf 1,2 Kilometern (vier Prozent der Strecke) keinen Mobilfunk anbieten. Bei Vodafone und Telefonica liegen die Lücken bei 2,8 Kilometern (10 Prozent) beziehungsweise 4,8 Kilometer (17 Prozent). Durch Bündelung schafft es die Bahn immerhin, die Lücken auf der Strecke laut eigenen Angaben auf 300 Meter, sprich: ein Prozent der Strecke, zu reduzieren. Aber es bleiben Lücken.
Künftig gilt gleiches Recht für alle – ein bisschen
Wirklich besser wird es erst ab 2018. Jeder der drei Mobilfunkbetreiber hat auf Druck der Politik zugesagt, bis dahin das gesamte Schienennetz im ICE-Verkehr auf 50 Megabit pro Sekunde hochzurüsten. Durch Bündelung müsste jeder ICE-Zug dann dauerhaft, also auch in entlegenen Gebieten, mindestens 150 Megabit pro Sekunde über den Router im Zug verteilen können.
Im Vergleich zu früher setzt die Bahn nun auf eine Fairplay-Policy. Jeder Passagier bekommt die gleiche Downloadgeschwindigkeit zur Verfügung gestellt. Das Datenvolumen wird also über alle surfenden Fahrgäste gleichmäßig verteilt. Das ist eine Abkehr von der bisherigen WLAN-Politik. Bislang galt: Wer sich als Erster in den Hotspot einloggte, konnte sich über den besten WLAN-Empfang freuen. Künftig gilt: Nur wer alleine im ICE sitzt, bekommt das volle Datenvolumen für sich. Zwei Passagieren teilen jeweils die Hälfte, drei bekommen jeweils ein Drittel usw. Man wolle „ein soziales Netzwerk“ sein, heißt es bei der Bahn.
Allerdings werden die Fahrgäste in der ersten Klasse bevorzugt behandelt. „Wir rechnen mit einer dauerhaften Datenrate von einem Megabit pro Sekunde in der ersten Klasse“, sagt Michael Peterson, Marketingvorstand bei DB Fernverkehr. Unklar ist allerdings noch, ob auch die neuen doppelstockigen Intercity-Züge kostenloses WLAN bekommen. „Das prüfen wir im Laufe dieses Jahres“, so Peterson. Und die Bordrestaurants zählen faktisch zur zweiten Klasse.
Auch die Telefonie soll ab diesem Jahr stabiler funktionieren. „Man kann zehn Mal länger telefonieren“, sagt Peterson. Die Bahn und die drei Mobilfunkbetreiber Telekom, Vodafone und Telefonica haben sich dafür zu einem Technik-Konsortium zusammen geschlossen. Neue Repeater verstärken nun in den ICE-Zügen die Mobilfunk-Signale für den Innenraum. Die vier Unternehmen teilen sich die Kosten in Höhe von rund 120 Millionen Euro.
Neues Entertainment-Programm
Vorteil für den Kunden: Die Bahn verspricht mit der neuen Technik „90 Prozent weniger Gesprächsabbrüche“. Vor allem O2- und Vodafone-Kunden dürften profitieren. Denn die alten Repeater, die bislang in den ICE-Zügen zum Einsatz kamen, verstärkten die Signale der Deutschen Telekom, schwächten aber im Extremfall die Signale der anderen beiden Provider. Die neuen Antennen verstärken nun alle Mobilfunknetze. So wird auch das Surfen im Internet ohne WLAN besser funktionieren als vorher.
Die Deutsche Bahn bastelt zudem an einem neuen Entertainment-Programm. Ab dem zweiten Quartal dieses Jahres sollen die Fahrgäste über ein bordeigenes Portal unter bis zu 50 Filmen von Maxdome auswählen können. Die Bahn reagiert damit auf den Trend, dass heutzutage fast jeder ein Smartphone oder Tablet-Computer hat, auf denen man Filme streamen kann.
Langsamere, aber flexiblere Züge
Das „ICE Portal“ enthält Nachrichten, Hörbücher und einen Zeitungskiosk. Hinzu kommt ein Blockbuster-Film pro Monat. Der Kinostart des Films soll maximal zwölf Monate zurück gelegen haben. Hinzu kommen vier Filme, deren Kinostart maximal 24 Monate zurück gelegen hat. Die Auswahl wird alle drei Monate erneuert.
Ab Ende des Jahres bekommt die Bahn dann auch neue Züge. Der Konzern hat bei Hersteller Siemens 130 ICE 4 bestellt. Das Investitionsvolumen liegt bei 5,3 Milliarden Euro – der größte Einzelauftrag in der Firmengeschichte. Die neuen Züge sind zwar mit einer Spitzengeschwindigkeit von maximal 250 Kilometer pro Stunde nicht so schnell wie etwa der ICE3 mit Tempo 300. Aber sie sind in der Länge variierbar und effizienter.
Neue Züge der Deutschen Bahn
Die neuen ICx von Siemens erhalten eine Beleuchtung, die sich an Zeit und Außenstimmung anpasst. Zudem erlauben sie die Mitnahme von Rädern. Die ersten der 130 bestellten Züge kommen 2017. Investition: 5,3 Milliarden Euro. Pro Jahr liefert Siemens 20 Stück. Ein rund 200 Meter langer Zug besteht beim ICx aus sieben statt acht Wagen wie beim ICE. Das senkt Kosten und bringt mehr Sitzplätze. Siemens baut zwei Modelle: 345 und 202 Meter lang, Höchsttempo 249 und 230 Kilometer pro Stunde.
Die Doppelstockzüge von Bombardier kommen vor allem auf Nebenstrecken zum Einsatz. Anders als im Nahverkehr, wo sie bereits als Regionalexpress unterwegs sind, erhalten die 44 bestellten Dostocks das blaue Velours-Ambiente eines Intercity. Investition: 660 Millionen Euro. Es gibt keinen Schnickschnack: Sitzreihen und Toiletten sind enger, kein Bordrestaurant, stattdessen mobiler Gastro-Service. Betriebliche Vorteile: Die Züge sind in der Länge variabel und gelten als extrem verlässlich.
So richtig los mit dem ICE 4 geht es zwar erst im Dezember 2017, wenn die Deutsche Bahn den Fahrplan umstellt und den ICE 4 in den Regelbetrieb übernimmt. Doch die ersten ICE-4-Züge werden bereits auf der Strecke München-Hamburg getestet. „Die Züge werden unsere Kunden begeistern“, sagt Birgit Bohle, Fernverkehrschefin des Konzerns. Die Bordrestaurants bekommen eine größere Auslage. Es gibt ein vielfältigeres Angebot an Speisen. Außerdem passt sich das Licht der Außenatmosphäre an. Die Fenster sind etwas größer. Und vor allem: Die Klimaanlagen sind auf Außentemperaturen von bis zu 45 Grad Celsius ausgelegt.
Die Bahn will so in Zukunft deutlicher verlässlicher unterwegs sein. Es ist das ganz große Versprechen der Deutschen Bahn – wie im jeden Jahr. Das interne Ziel des Konzerns: Künftig sollen acht von zehn ICE- und Intercity-Zügen nicht mehr als sechs Minuten zu spät kommen. Perspektivisch soll die Pünktlichkeit auf 85 Prozent steigen. Im abgelaufenen Jahr waren 78,6 Prozent der Züge pünktlich. Da ist also noch Luft nach oben.