WirtschaftsWoche online: Herr Jackob, darf ich Ihnen Ausschnitte des Kommentars eines Facebook-Nutzers unter einem unserer Artikel zur US-Wahl vorlesen?
Nikolaus Jackob: Nur zu.
"Putin arbeitet jetzt für Rothschild – ist alles abgesprochen, um Europa klein zu kriegen und die Vorstufe der NWO, der ‚Vereinigten Staaten von Europa' (…) errichten zu können. So langsam kommt uns der Verdacht, dass Trump zum Plan gehört (…), welcher lautet, wie 1933 das Volk nach rechts zu ziehen und damit Freiheit und Frieden untergehen zu lassen." Was erwidert man so jemandem?
Sie können wissenschaftlich argumentieren und der Person empirische und historische Fakten entgegenstellen, das benötigt aber viel Zeit.
Selbst wenn man die hat, dürfte es meist wenig Wirkung zeigen.
Viele Menschen, die so etwas verbreiten, glauben, alle Medien steckten unter einer Decke und hätten sich gemeinsam mit den Eliten gegen das Volk verschworen. Solchen Leuten ist mit Fakten nicht mehr beizukommen, denn sie glauben, das, was Medien als Fakten verkaufen, sei nur Propaganda. Auch die Wissenschaftler seien Teil des Unterdrückungssystems. Diesen Leuten können sie schlagfertige Argumente mit humoristischen Pointen vor die Füße werfen, um ihre verschwörungstheoretische Lesart durch Ironie ad absurdum zu führen. Oder Sie können sie ignorieren.
Zur Person
Nikolaus Jackob ist Geschäftsführer des Instituts für Publizistik an der Uni Mainz. Er forscht unter anderem in den Bereichen politische Kommunikation sowie Vertrauen in und Glaubwürdigkeit der Medien.
Wie gefährlich sind Facebook-Gruppen, Blogs und Fake-News-Seiten, die mit falschen Tatsachen gezielt Stimmung machen und Verschwörungsgläubigen Futter für ihre Weltsicht geben?
Sie sind ein Angriff auf die Grundfesten der demokratisch-rationalen Entscheidungsfindung. Unsere Gesellschaft fußt darauf, dass die Bürger sich auf Basis von gut recherchierten Informationen ein sachliches Bild von der Welt machen und anhand dessen ihre Urteile fällen. Die Aufgabe des Mediensystems ist es, entsprechende Fakten zu liefern. Das ist der entscheidende Mechanismus dafür, dass eine Demokratie funktioniert. Insofern sind solche Angebote extrem gefährlich.
Hat die Verbreitung entsprechender Falschmeldungen durch das Internet und die sozialen Medien zugenommen?
Grundsätzlich gab es das schon immer. Überall, wo um Herrschaft und Macht gerungen wird, wird auch mal mit Lügen gearbeitet, das ist völlig normal. Ob im antiken Griechenland, bei Machiavelli oder der Propaganda des Kremls und der USA während des Kalten Kriegs. Die Frage ist immer, ob ein ganzes System darauf fußt, die Wahrheit zu unterlaufen oder ob es nur ein gelegentliches Mittel zum Zweck ist. Das Verbreiten systematischer Lügen ist nichts Neues. Neu ist das Interesse bestimmter Akteure, wieder solche Formen der Desinformation zu nutzen.
Konkreter?
Was wir aktuell erleben, ist eine Rückkehr zu den Methoden des Kalten Kriegs. Das war damals völlig normal – wir haben nur vergessen, dass das der Normalzustand war. Wir lebten 25 Jahre in einer wunderbaren Welt, die von Rationalität geprägt war – das war das Besondere. Jetzt erleben wir die Rückkehr in den Normalzustand. Hinzu kommt, dass soziale Medien heute die Reichweite und die Intensität erhöhen, mit der Desinformation auf uns einprasselt.
Was war früher anders?
In einem System von freiheitlich organisierten Massenmedien reagiert jemand auf falsche Behauptungen und widerspricht. Dann entspannt sich ein Kampf um die Wahrheit. In den sozialen Medien tritt das auf, was gemeinhin als Filterblase bezeichnet wird. Wer sich einmal für eine gewisse Sichtweise auf die Welt entschieden hat, dem liefert Facebook fortan entsprechende Nachrichten, die diese Lesart unterstützen. Wer etwa an Verschwörungen glaubt, erhält vermeintliche Nachrichten, die diesen Eindruck verstärken. Facebook bietet keine Gegenbeispiele. Die Folge ist eine Radikalisierung von Teilen der Öffentlichkeit und ein Zerfall in feindselige Gruppen, die nicht mehr miteinander reden.