Tel Aviv, Lissabon, Abu Dhabi: In der Haupthalle des neuen Hauptstadtflughafens scheint die Welt einen Katzensprung entfernt. Der neue Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup steht auf dem glänzenden Natursteinboden und sagt einen dieser Sätze, die typisch sind für die Dauerbaustelle: „Wir haben da oben die Anzeigetafel, die ist noch nicht in Betrieb, aber betriebsfähig und manchmal läuft sie auch schon.“
Dieses „manchmal“ reicht vorerst. Denn neben dem Check-in lagert Baumaterial, Scheiben sind abgeklebt, Bauzäune versperren die Sicherheitsschleuse – der BER ist noch immer nicht fertig. Fünf Jahre ist es her, seit die Eröffnung des Flughafens platzte – keine vier Wochen vor dem geplanten Termin am 3. Juni 2012. Am Montag berät der Aufsichtsrat über die Lage am neuen Hauptstadtflughafen, der noch größer werden könnte. Denn die Passagierzahlen an den bestehenden Berliner Flughäfen Tegel und Schönefeld sind in den vergangenen Jahren kräftig gestiegen. Bis Ende des Jahres soll ein Masterplan für den Ausbau des Flughafens nach 2025 fertig sein. Wann er allerdings öffnet, ist auch weiterhin unklar.
Wie oft wurde die Eröffnung eigentlich schon abgesagt?
Man hat sich an die kleinlauten Eingeständnisse gewöhnt: Seit Baubeginn 2006 haben die Verantwortliche den BER-Start fünf Mal gecancelt. Eigentlich sollte der drittgrößte Flughafen Deutschlands schon im Herbst 2011 in Betrieb gehen. Inzwischen dauert die Sanierung schon länger als die eigentliche Bauphase.
Gesamtranking: Der beste Flughafen Deutschlands
Exklusiv für die Wirtschaftswoche wurden die zehn größten Flughäfen Deutschlands bezüglich der Leistungen, des Angebots und der Wahrnehmung durch die Flughafenliste untersucht und entsprechend in eine Rangfolge gebracht. Die Daten stützen sich auf die Befragung bei den Flughafenzentralen zu objektiven Fakten, die Online‐Befragung von 4.825 Flughafengästen sowie die Überprüfung der Kundebetreuung via Mail, Hotline und Social Media durch anonyme Tester.
In dem Gesamtranking werden die Unterkategorien „Flugangebot“ (Anzahl der Fluggesellschaften, der angeflogenen Ziele/Länder, Start- und Landebahnen und Interkontinentalflüge), „Aufenthaltsqualität“ (Ausstattung der Terminals etwa adäquate Sitzmöglichkeiten, Sauberkeit, Waschräume, W‐Lan-Angebote, Gastronomie und Einkaufsangebot, Familienfreundlichkeit sowie Office‐, Freizeit‐ und Entertainmentangebote), „Prozesse“ (effiziente Abwicklung der Prozesse wie Check-In, Security oder verkehrstechnische Anbindung) und „Service“ (Kundenservice per Telefon, E‐Mail und Social Media und die Qualität der Webseite).
Die Gewichtung der Kategorien erfolgte nach folgendem Schlüssel: Flugangebot: 25%; Aufenthaltsqualität: 25%, Prozess: 30% und Service: 20%.
Quelle: DKI, Stand: September 2016
Flughafen Berlin‐Tegel
Platz | 10 |
Punkte | 59,8 |
Note | ausreichend |
Bestes Flugangebot | |
Platz | 9 |
Punkte | 15,1 |
Note | mangelhaft |
Beste Aufenthaltsqualität | |
Platz | 10 |
Punkte | 12,1 |
Note | mangelhaft |
Beste Prozesse | |
Platz | 10 |
Punkte | 13,3 |
Note | ungenügend |
Bester Service | |
Platz | 2 |
Punkte | 19,3 |
Note | sehr gut |
Köln Bonn Airport
Platz | 9 |
Punkte | 71,9 |
Note | befriedigend |
Bestes Flugangebot | |
Platz | 10 |
Punkte | 13,7 |
Note | ausreichend |
Beste Aufenthaltsqualität | |
Platz | 2 |
Punkte | 21,3 |
Note | sehr gut |
Beste Prozesse | |
Platz | 8 |
Punkte | 20,5 |
Note | befriedigend |
Bester Service | |
Platz | 7 |
Punkte | 16,4 |
Note | gut |
Düsseldorf Airport
Platz | 8 |
Punkte | 73,2 |
Note | gut |
Bestes Flugangebot | |
Platz | 5 |
Punkte | 19,2 |
Note | befriedigend |
Beste Aufenthaltsqualität | |
Platz | 9 |
Punkte | 15,9 |
Note | befriedigend |
Beste Prozesse | |
Platz | 7 |
Punkte | 21,4 |
Note | befriedigend |
Bester Service | |
Platz | 5 |
Punkte | 16,7 |
Note | gut |
Hamburg Airport
Platz | 7 |
Punkte | 76,0 |
Note | gut |
Bestes Flugangebot | |
Platz | 7 |
Punkte | 16,7 |
Note | befriedigend |
Beste Aufenthaltsqualität | |
Platz | 6 |
Punkte | 19,5 |
Note | gut |
Beste Prozesse | |
Platz | 5 |
Punkte | 23,4 |
Note | gut |
Bester Service | |
Platz | 6 |
Punkte | 16,4 |
Note | gut |
Flughafen Stuttgart
Platz | 6 |
Punkte | 78,5 |
Note | gut |
Bestes Flugangebot | |
Platz | 3 |
Punkte | 19,9 |
Note | gut |
Beste Aufenthaltsqualität | |
Platz | 7 |
Punkte | 19,5 |
Note | gut |
Beste Prozesse | |
Platz | 4 |
Punkte | 23,5 |
Note | gut |
Bester Service | |
Platz | 9 |
Punkte | 15,6 |
Note | gut |
Airport Nürnberg
Platz | 5 |
Punkte | 80,1 |
Note | gut |
Bestes Flugangebot | |
Platz | 4 |
Punkte | 19,4 |
Note | gut |
Beste Aufenthaltsqualität | |
Platz | 8 |
Punkte | 18,8 |
Note | gut |
Beste Prozesse | |
Platz | 3 |
Punkte | 25,6 |
Note | sehr gut |
Bester Service | |
Platz | 8 |
Punkte | 16,3 |
Note | gut |
Bremen Airport
Platz | 4 |
Punkte | 80,4 |
Note | gut |
Bestes Flugangebot | |
Platz | 6 |
Punkte | 18,7 |
Note | gut |
Beste Aufenthaltsqualität | |
Platz | 5 |
Punkte | 20,0 |
Note | gut |
Beste Prozesse | |
Platz | 2 |
Punkte | 27,7 |
Note | sehr gut |
Bester Service | |
Platz | 10 |
Punkte | 14,0 |
Note | befriedigend |
Hannover Airport
Platz | 3 |
Punkte | 82,4 |
Note | gut |
Bestes Flugangebot | |
Platz | 8 |
Punkte | 16,0 |
Note | befriedigend |
Beste Aufenthaltsqualität | |
Platz | 3 |
Punkte | 21,2 |
Note | gut |
Beste Prozesse | |
Platz | 1 |
Punkte | 28,3 |
Note | sehr gut |
Bester Service | |
Platz | 4 |
Punkte | 16,9 |
Note | gut |
Frankfurt Airport
Platz | 2 |
Punkte | 86,3 |
Note | sehr gut |
Bestes Flugangebot | |
Platz | 1 |
Punkte | 25,9 |
Note | sehr gut |
Beste Aufenthaltsqualität | |
Platz | 4 |
Punkte | 20,7 |
Note | gut |
Beste Prozesse | |
Platz | 9 |
Punkte | 20,4 |
Note | befriedigend |
Bester Service | |
Platz | 1 |
Punkte | 19,3 |
Note | sehr gut |
Flughafen München
Platz | 1 |
Punkte | 92,2 |
Note | sehr gut |
Bestes Flugangebot | |
Platz | 2 |
Punkte | 25,7 |
Note | sehr gut |
Beste Aufenthaltsqualität | |
Platz | 1 |
Punkte | 24,7 |
Note | sehr gut |
Beste Prozesse | |
Platz | 6 |
Punkte | 22,9 |
Note | gut |
Bester Service | |
Platz | 3 |
Punkte | 18,9 |
Note | sehr gut |
Was haben die Verantwortlichen in den fünf Jahren getan?
Zunächst: das Chaos vergrößert. Architekten flogen raus, neue Manager kamen, den Moloch zu zähmen. Gemein war ihnen ihr großes Ego, die Rezepte unterschieden sich: Mal sollte es gründlich gehen, mal husch, husch. Hahnenkämpfe wie zwischen den Managern Horst Amann und Hartmut Mehdorn ließen die Baustelle zur Nebensache werden. Die Politik machte Druck, Köpfe rollten, Stückwerk blieb. Und Pech: die Pleite des Ausrüsters Imtech etwa und ein Technikchef, der sich schmieren ließ.
„Wir haben zwischen 2012 bis 2014 zwei Jahre sinnlos vertan“, bekannte Berlins Senats-Chef Michael Müller (SPD) erst lange, nachdem er seinen Vorgänger Klaus Wowereit abgelöst hatte. Inzwischen gibt es aber auch große Fortschritte: Sämtliche Umbauten sind genehmigt und es gibt einen halbwegs klaren Überblick, was noch zu tun ist.
Bis zuletzt wurden aber auch Dinge verschlafen, etwa dass ein Teil der Sprinkler nicht genug Wasserdruck hat und dass sich 1000 Türen nicht richtig steuern lassen - weshalb auch der Start 2017 kippte.
Warum ist die Baustelle so schwer in den Griff zu bekommen?
Vieles folgt aus alten Fehlentscheidungen: gigantischen Umplanungen nach Baubeginn, dem Verzicht auf einen Generalunternehmer, zu knappen Eröffnungsterminen. Und: Die beteiligten Firmen verdienen gut daran, dass der Flughafen nicht fertig wird. Sie werden seit 2012 auf Stundenbasis angefordert. Auf Werkverträge mit Fristen und festen Summen lassen sie sich nicht mehr ein.
Wird der BER jemals in Betrieb gehen?
Davon ist auszugehen, zumal der manchmal geforderte Neubau an anderer Stelle illusorisch ist. Schon Standortsuche, Planung und Genehmigung könnten gut und gerne 15 Jahre verschlingen - zu lange für den stark wachsenden Berliner Luftverkehr. Zudem: Die wesentlichen Probleme am BER scheinen aus dem Weg geräumt, auch wenn solche Feststellungen bei dem Projekt mit Skepsis zu betrachten sind. „Wir sind jetzt in der Phase, wo wir die Schlussarbeiten haben“, versichert jedenfalls der Flughafenchef.
Die große Frage ist die nach dem Wann. 2018 ist jetzt das Ziel, doch sicher ist Lütke Daldrup noch nicht. Seine Fachleute haben zwei Dutzend Bereiche benannt, in denen noch Risiken schlummern könnten. Ein Gutachten nährt Zweifel an 2018.
Warum lässt man nicht einfach den Flughafen in Tegel offen?
Der Flughafen platzt aus allen Nähten. Außerdem verlassen sich die Anwohner seit 20 Jahren darauf, dass dort nach dem BER-Start Schluss ist. Es ist umstritten, ob es überhaupt rechtlich möglich wäre, Tegel parallel zum neuen Flughafen offen zu halten. In jedem Fall wäre das Klagerisiko hoch. Gleichwohl hat die Berliner FDP erreicht, dass es am Tag der Bundestagswahl einen Volksentscheid über Tegel gibt. Wenn eine Mehrheit der Berliner es will, müsste sich der Senat gegen seinen erklärten Willen dafür einsetzen, dass Tegel offen bleibt. Dann könnte es politisch spannend werden.
Hat der BER überhaupt noch eine Chance?
Die wesentliche Argumente sind: Es tauchen immer neue Probleme auf, die auch hohe Extrakosten verursachen. Niemand könne garantieren, dass der Eröffnungstermin nicht doch noch einmal verschoben werden muss, wenn der nächste Fehler entdeckt werden sollte. Dass eine Reihe weiterer Fehler im Terminal gefunden werden könnte, hält Vize-Aufsichtsratschef Rainer Bretschneider nach eigenen Worten für möglich. Er lässt dennoch am Eröffnungstermin in der zweiten Jahreshälfte 2017 nicht rütteln. Ursprünglich sollte der BER im Oktober 2011 in Betrieb gehen.
Eine Idee ist, das Terminal zwar stehen zu lassen, aber den Innenausbau noch einmal von vorne zu beginnen. Die zweite Variante wäre, das Hauptgebäude aufzugeben und nebenan ein neues, größeres Abfertigungsgebäude zu bauen. Unabhängig davon halten es mehrere Kritiker des gegenwärtigen Zustands für unentbehrlich, die Flughafengesellschaft in eine Betreiber- und eine Projektgesellschaft zu trennen. Die Projektfirma könnte sich mit aller Kraft um den neuen Flughafen kümmern. Heute muss sich das Unternehmen bei stark wachsender Passagierzahl auch den Betrieb der Flughäfen Tegel und Schönefeld (alt) im Griff behalten.
Es sind Politiker aus der Opposition im Bund und in den Ländern Brandenburg und Berlin, die zumindest dafür plädieren, über einen Neuanfang nachzudenken. Dazu gehören die Grünen-Bundestagsabgeordneten Anton Hofreiter und Renate Künast, der CDU-Abgeordnete Jens Koeppen aus Brandenburg und Martin Delius von der Piraten-Partei, der Vorsitzender des Untersuchungsausschusses im Berliner Abgeordnetenhaus ist. Es ist niemand darunter, der Verantwortung für den BER trägt.
Man könnte mit Planung und Bau neu beginnen und dabei die aktuellen Standards der Technik und Sicherheit berücksichtigen. Der Neubau könnte nach den jüngsten Prognosen für die benötigten Passagierkapazität ausgerichtet werden. Der Flughafen-Aufsichtsrat rechnet mit rund 40 Millionen Passagieren, die im Jahr 2023 in Berlin abgefertigt werden müssen. Derzeit sind es schon 28 Millionen in Tegel und Schönefeld. Der BER ist nur für 27 Millionen Fluggäste geplant. Deshalb hat der Aufsichtsrat am Freitag schon eine Erweiterung beschlossen.
Man müsste mit Planung und Bau neu beginnen. Milliarden Euro wären in den Sand gesetzt. Wie sich beim BER gezeigt hat, können vom ersten Entwurf bis zur Inbetriebnahme mit Planfeststellung und Gerichtsverfahren leicht 20 Jahre vergehen. In dieser Zeit müsste aber eine sehr lange Zwischenlösung für den Luftverkehrsstandort Berlin gefunden werden, was auch eine äußerst schwierige Aufgabe wäre. Nach einer Entscheidung über ein Ende des BER würde die Diskussion um den Standort wieder losbrechen. Brandenburgs Flughafenkoordinator Bretschneider sagte zu dem Vorschlag eines neuen Neubaus: „Es erhöht die Zeitprobleme und es erhöht die Kostenprobleme.“
Die Flughafengesellschaft versucht die Eröffnung bis Ende 2017 noch hinzukriegen. Nach der jüngsten Panne sagte Flughafenchef Karsten Mühlenfeld, dass mit zusätzlich drei bis vier Monaten Bauverzögerung am BER zu rechnen sei. „Wir haben dann aber noch Potenzial bei der technischen Inbetriebnahme, so dass wir die Möglichkeit haben, im zweiten Halbjahr 2017 fertig zu werden“, fügte er hinzu.
Wie viel kostet das BER-Desaster?
Seit Baubeginn ist der Kostenrahmen von 2 auf 6,5 Milliarden Euro gewachsen - ohne Ausgaben für die Verkehrsanbindung und größtenteils ohne Zinsen. Dazu trugen auch Erweiterungen des Projekts bei. Heute versichert das Management, bis 2020 mit dem Geld auszukommen - auch weil es an den Bestandsflughäfen brummt. Der leere Flughafen verschlingt unterdessen monatlich 17 Millionen Euro Betriebskosten, zudem fehlen eingeplante Mieteinnahmen von 13 bis 14 Millionen Euro.
Musste irgendjemand für dieses Debakel haften?
Nein. Gefeuerte Geschäftsführer erhielten Abfindungen. Politische Karrieren bekamen Knicke oder sie endeten, etwa bei Wowereit. Aber Wowereit und der langjährige Brandenburger Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) hatten sich für ihre Aufsichtsratsarbeit rechtzeitig entlasten lassen. Oppositionsforderungen, ihre Haftbarkeit neu zu prüfen, perlten bislang an den SPD-geführten Landesregierungen ab.