22 Jahre Gelber Sack und noch immer ist die Frage mit dem Blumentopf nicht geklärt. Wo soll das Plastiktöpfchen hin, wenn der Basilikum sein letztes Blatt für Mozzarella mit Tomate gab? Ist der Blumentopf an sich eine Verpackung?
Täglich mehrmals stellen sich 80 Millionen Deutsche die Frage, welcher Müll in welche Tonne gehört - gut vierzig Prozent treffen die falsche Entscheidung. So hoch ist die so genannte Fehlwurfquote. Viele sind mit den Trennvorgaben schlicht überfordert und wer sie logisch hinterfragt, muss zwangsläufig zu dem Schluss kommen, dass sie nicht logisch sind. Warum darf der Plastik-Joghurt-Becher in den gelben Sack, der Plastik-Blumentopf aber nicht? Ist Plastik nicht gleich Plastik? Vom Standpunkt der DSD - Duales System Deutschland AG - ist das tatsächlich so.
Das Unternehmen wurde 1991 gegründet und sollte das deutsche Müllproblem lösen. Damals türmten sich auf Deutschlands Deponien riesige Abfallberge. Der Platz wurde knapp. In den Jahren zuvor war vor allem immer mehr Verpackungsmüll angefallen, daher beschloss die Bundesregierung, dort anzusetzen: Diejenigen, die die Verpackungen herstellten, sollten einen Anreiz bekommen, weniger davon herzustellen, in dem man sie für die Entsorgung ihrer Verpackungen zur Kasse bat - und zwar über ein Lizenzsystem: den grünen Punkt. Unternehmen, die verpackte Waren anbieten, zahlen an die Duale System Deutschland AG einen Betrag X, der sich nach der Menge der produzierten Verpackungen richtet. Die DSD übernimmt dafür das Einsammeln und Wiederverwerten dieses Mülls. Zum Zeichen, dass das Unternehmen für seinen Müll aufkommt, darf es den Grünen Punkt auf seine Verpackungen drucken. Die Verpackungsverordnung von 1991 regelt gleichzeitig, wie viel der eingesammelten Plastikverpackungen, der Einwegglasflaschen und Marmeladengläser, Pappe und Papier wiederverwertet werden soll.
Die Schwächen des System werden schnell deutlich:
1. Die Deutschen sind zu fleißige Mülltrenner
Sie werfen alle Plastikverpackungen in die gelbe Tonne - egal, ob auf dem Joghurtbecher ein grüner Punkt prangt oder nicht. Was keine grünen Punkt trägt, nimmt aber nicht am System teil. Die DSD erhält für das Einsammeln und Aufbereiten dieses Mülls also keine Lizenzgebühr. So fallen tausende Tonnen Müll an, für dessen Wiederaufbereitung keiner bezahlt. Es ist den Unternehmen nämlich freigestellt, ob sie am DSD teilnehmen oder ihren Müll selbst entsorgen und recyceln lassen. Das öffnet Trittbrettfahrern Tür und Tor. Es besteht bis heute keine funktionierende Kontrolle darüber, wer wie viel Müll über welchen Weg abtransportiert. Und dass Kunden Verpackungen lieber zu Haus in den Gelben Sack stecken als direkt im Supermarkt zurückzulassen, kann niemand verbieten.
2. Das duale Systeme ermöglicht zu viele Trittbrettfahrer
Die DSD hat bis 2001 eine Monopolstellung inne. Auf Druck der europäischen Kartellbehörden muss Deutschland den Markt für Wettbewerber öffnen. Sie dürfen seither die gelbe Tonne mitnutzen. Mittlerweile gibt es acht große Mitbewerber: BellandVision, Eko-Punkt, Interseroh, Landbell, Redual, Veolia Umweltservice Dual, Vfw und Zentek. Die Konkurrenzsituation hat die Kosten für das Gesamtsystem deutlich verringert. "Mitte der 90er Jahre fielen Milliarden D-Mark an, gegenwärtig liegen die Kosten bei unter einer Milliarde Euro", sagt Thomas Rummler, Ministerialdirigent im Bundesumweltministerium im Juni 2013. Das kann man als Erfolg werten. Die Marktöffnung brachte aber ein neues Problem: Das System wurde extrem komplex, Trittbrettfahrer sind kaum aufzuspüren.
"Es wird getrickst, was das Zeug hält"
Bußgelder gegen Unternehmen, die zu wenig Lizenzabgaben zahlen, sind die Ausnahme. Die Hoheit dafür liegt bei den Bundesländern, doch die haben längst den Überblick verloren, wie in den Ministerien hinter vorgehaltener Hand zugegeben wird. In erster Linie profitieren Anwälte vom Wettbewerb der Dualen Systeme. Die Anbieter überziehen sich gegenseitig mit Klagen.
Grund sind vor allem die Müllmengen, die die Läden angeblich selbst zurücknehmen. Vor kurzem wettert Stefan Schreiter, Geschäftsführender Gesellschafter und CEO der DSD – Duales System Holding, die mit einem Marktanteil von 50 Prozent immer noch größter Anbieter ist: "Es wird wieder getrickst, was das Zeug hält." Es sei schon erstaunlich, was die deutschen Verbraucher angeblich alles an leeren Verpackungen in den Laden zurückbringen.
Die Menge an Verkaufsverpackungen, die laut Meldung der dualen Systeme über die Eigenrücknahme im Laden zurückgenommen werden und daher nicht am dualen System teilnehmen, hat sich in den ersten beiden Quartalen 2013 gegenüber dem Vorjahr bei Leichtverpackungen um fast 23 Prozent auf rund 51.000 Tonnen erhöht, bei Glasverpackungen sogar auf gut 28.000 Tonnen mehr als verdoppelt. Michael Wiener, CMO der Duales System Holding: "Es handelt sich um reine Buchungstricks, mit denen sich einige duale Systeme um die Übernahme von Entsorgungskosten für den Gelben Sack und die Glascontainer drücken". Während DSD 0,2 Prozent der bei ihnen lizenzierte Leichtverpackungen als Eigenrücknahme abrechnet, seien es bei den übrigen dualen Systeme im Durchschnitt 15,6 Prozent. Das sei eine " völlig absurde Größenordnung", schimpft er. Die Verpackungsverordnung lässt den Abzug der Selbstentsorger-Mengen aus dem dualen System aber ausdrücklich zu. Wiener: "Wir fordern seit Jahren von der Politik, dieses Schlupfloch endlich zu schließen.“
3. Die Verordnung verfehlt ihre Ziele
Ihr eigentliches Ziel, nämlich Verpackungsmüll zu verringern und so viele Stoffe wie möglich wieder zu verwerten hat die Verordnung verfehlt. In den ersten Jahren nach der Einführung sank die Verpackungsmenge pro Einwohner tatsächlich, mittlerweile steigt sich aber wieder. Die dualen Systeme wie Eko-Punkt, Veolia, Belland Vision usw. bieten nicht nur das klassische Lizenzsystem an, sondern auch den Abtransport und Weiterverarbeitung von Müll, den z.B. Supermärkte als Selbstentsorger sammeln. Außerdem gibt es so genannte Branchenlösungen. Ein Beispiel: Der Hersteller von Isolierschäumen in Dosen, wie sie beim Einbau von Fenstern gebraucht werden, beauftragt einen Dritten damit, Rücknahme und Wiederaufbereitung der Schaumdosen zu organisieren. Das funktioniert z.B. über den Großhandel: bestellt ein Handwerker neue Dosen, gibt er dabei die alten zurück. Diese Branchenlösungen sind in soweit sinnvoll, weil in den meisten Verpackungen noch Reste kleben, die giftig sein können und nicht im normalen Müll landen sollten. Insgesamt gibt es elf solcher Branchenlösungen - für das Bauhandwerk, Gesundheitseinrichtungen, die Landwirtschaft, Behörden, Kfz-Handwerk usw.
Jedes Unternehmen sucht nach dem kostengünstigsten Weg für die Entsorgung seines Verpackungsmülls - meist eine Mischung aus Selbstentsorgung, Lizenznahmen und Branchenlösung. Bindend ist jeweils nur die Recyclingquote, die in der Verpackungsverordnung geregelt ist. Weder das Unternehmen noch der duale Systemdienstleister haben ein Interesse daran, mehr als die vorgegeben Quote zu erfüllen. Die Quoten - zu Beginn der neuen Ordnung ehrgeizig - sind nach Meinung von Branchenkennern für den heutigen Stand der Recyclingtechnik zu niedrig.
Geschönte Quoten
Auch ist es dem beauftragen dualen System egal, ob die Plastikverpackungen tatsächlich getrennt und wieder aufbereitet werden oder ob sie in der Müllverbrennungsanlage landen. Deutschlands Müllverbrennungsanlagen haben riesige Überkapazitäten. Die Preise sind im Keller. Warum also recyclen, wenn die Verpackungsverordnung die sogenannte "thermische Verwertung" sprich Verbrennung ausdrücklich erlaubt? Wichtig ist nur, dass die Müllverbrennungsanlage eine Lizenz als Verwerter hat. Das ist z.B. der Fall, wenn die Lage Fernwärme erzeugt. Derzeit werden rund zwei Drittel des eingesammelten Verpackungsmülls verbrannt. Damit ist die Quote von einem Drittel zwar erfüllt, aber die Potenziale des Recyclings längst nicht ausgeschöpft. Eric Rehbock, Hauptgeschäftsführer des Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung bvse kritisiert: "Der Wettbewerb der dualen Systeme stellt sich ausschließlich über den Preis dar und nicht über die ökologisch sinnvollste Lösung." Der bvse fordert daher, die Recyclingquoten anzuheben und die Kapazität der Müllverbrennungsanlagen innerhalb den nächsten zehn Jahre um ein Viertel abzubauen.
4. Die Bezugsgrößen schönen die Quoten
Das Bundesumweltministerium rühmt sich der Erfolge des dualen Systems. Die Quoten würden übererfüllt. So sei die in der Verordnung für Kunststoffverpackungen angegebene Recyclingquote von 36 Prozent bereits 2009 mit 43 Prozent übertroffen worden. Die EU-Recyclingvorgabe für alle Verpackungen in Höhe von 55 Prozent wurde 2010 mit 73 Prozent deutlich übertroffen. Nicht erwähnt wird dabei, dass seit 1998 als Bezugsgröße für die Quote nicht etwa die gesamte Menge des Mülls, die am Markt ist herangezogen wird, sondern nur Menge an lizenzierte Verpackungen. Unternehmen versuchen aber bereits, möglichst wenig Verpackungen über den Grünen Punkt und seine Mitbewerber abzudecken. Sie ziehen andere Lösungen wie die erwähnte Selbstentsorgung oder Branchenlösungen vor. Die lizenzierte Menge ist also schon immer verhältnismäßig gering. "Mit der missglückten Novellierung verloren die Quoten jede Lenkungswirkung", meint Walter Hartwig, der bis Ende 2012 dem VIVO Kommunalunternehmen vorstand. Der Verband der Kommunalen Unternehmen VKU forderte Anfang Juli abermals die komplette Abschaffung der gelben Tonne und damit des dualen System. Er möchte zurück zu einem System, in dem einzig die kommunalen Unternehmen für Sammlung und Wiederverwertung zuständig sind.
5. Zu viele Begriffe sind nach wie vor nicht klar definiert
Die Auswüchse der Verpackungsverordnung sind an Skurrilität kaum mehr zu überbieten. Bis heute ist nicht eindeutig geklärt, was als Verpackung gilt und damit prinzipiell als solche am dualen System teilnehmen darf und was nicht. In der nunmehr sechsten Novelle der Verpackungsverordnung definiert die Bundesregierung tatsächlich, wann ein Blumentopf als Verpackung gilt und wann nicht (nämlich dann nicht, wenn die Pflanze bis zu ihrem Tode im Gefäß verbleibt), oder dass eine Wimperntuschebürste als Teil des Packungsverschlusses sehr wohl als Verpackung gilt.
Hoffnung Wertstoffgesetz
Für Sven Schulze vom Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut HWWI bleibt in Anbetracht der Fülle der Probleme nur eine Schlussfolgerung : "Die Verpackungsverordnung in Deutschland bedarf keiner weiteren Überarbeitung, sondern eines Neustarts."
Fazit: Keiner der am dualen System beteiligten Gruppen ist mit dem aktuellen System zufrieden: Für die Verbraucher ist es zu komplex, für die Anbieter von dualen Systemlösungen wird nach eigener Aussage in der Branche zu viel getrickst, die Bundesländer können aufgrund der Komplexität ihrer Aufsichtspflicht nicht mehr nachkommen und die kommunaler Unternehmer sehen das privatwirtschaftliche Bein des dualen Systems ohnehin als amputierfähig an. Bleibt die Frage: Wie soll der Verpackungsmüll stattdessen entsorgt und wiederverwertet werden?
In der Diskussion ist eine zentrale Stelle in Form einer privaten Stiftung, die ausgestattet mit hoheitlichen Aufgaben, die Aufsicht über sämtliche Abfallströme übernimmt und Unternehmen, die das System unterlaufen auch mit Bußgeldern belegen kann. Ein solches Modell gibt es bereits mit der Stiftung Elektro-Altgeräte Register EAR, die als gemeinsame Stelle der Hersteller tätig wird. Sie registriert Hersteller, die Elektrogeräte herstellen oder vertreiben, erfasst die Mengen der Elektrogräte, die im Umlauf sind, koordiniert die Sammelbehälter und die Abholung von Altgeräten, meldet die Mengen an das Umweltbundesamt und stellt sicher, dass alle registrierten Hersteller gleich behandelt werden. Außerdem identifiziert sie Trittbrettfahrer und meldet sich dem Bundesumweltamt. Bisher konnten sich kommunale Unternehmen und Vertreter der privatwirtschaftlichen dualen Systeme aber nicht auf ein solches Konzept für Verpackungsmüll einigen.
Die Hoffnung, dass es zumindest für den mülltrennenden Bürger in naher Zukunft einfacher wird, besteht noch. Eigentlich sollte in der nun zu Ende gehenden Legislaturperiode eine so genanntes Wertstoffgesetz erlassen werden. Größte Neuerung: Jede Art von Kunststoff- und Metallabfall sollte in die gelbe Tonne, egal ob Verpackung oder Nicht-Verpackung. Das Grübeln über den Sinn eines Blumentopfes an sich hätte ein Ende gehabt, doch auch auf die neue umfassende Wertstofftonne konnten sich die beteiligten Unternehmensverbände nicht einigen.
Dabei ist längst klar, dass unsere Mülltrennung wie bisher, nicht nötig ist. Maschinen sortieren längst besser als der Mensch. Sogar Nass- und Trockenmüll können in der selben Tonne landen. Das sagte zumindest Jürgen Hahn, Abteilungsleiter für Abfall im Umweltbundesamt, nach einem Test in der Sortieranlage Essen vor ein paar Jahren. Dort wurden Gelber-Sack-Müll und Restmüll aus der grauen Tonne zusammengekippt. "Die Ergebnisse waren fantastisch!", freute sich Hahn. Der Müll wurde vor der Sortierung getrocknet. Danach ließen sich für weniger Geld mehr Wertstoffe aus dem Müll rausholen als durch "das ganze Getrennthaltungsgewusel".