2. Oktober, 15.00Uhr: Eveline Hollstein stellt sich in der Acqua-Klinik vor
Im ersten Moment fühlt sie sich dort eher „wie in einem Hotel“, sagt sie. Die Gründerzeitvilla im Leipziger Musiker-Viertel wirkt nicht wie ein Krankenhaus. Wo bis 1945 die Verlegerfamilie Baedeker lebte, stehen heute Empfangsdamen mit blauen Kostümen und gelben Halstüchern an einem langen, dunklen Holztresen.
Auch wenn sie aussehen wie Stewardessen: Was sie tun, ist die klassische Arbeit von Sprechstundenhilfen – auf hohem technologischem Niveau: Sie pflegen Patientendaten und Bildmaterial aus Voruntersuchungen in die hauseigene Datenbank ein. Und zwar so, dass die Informationen jederzeit von jedem Untersuchungs- und Behandlungszimmer aus verfügbar sind. Das ist in vielen Kliniken allenfalls ein Traum. Dort laufen Patienten meist noch mit analogen Ausdrucken durch das Haus.
15.10 Uhr: Hollstein betritt den Untersuchungsraum.
Hier wird klar, worum es trotz betont entspannter Atmosphäre mit Ledersesseln und Kunstwerken in der Acqua-Klinik geht: Die Patientin ist in einem High-Tech-Medizin-Cockpit gelandet, dem sogenannten Diagnostic Deck.
Wie im Flugzeug-Cockpit sind sämtliche Geräte und Kontrolllampen übersichtlich und ergonomisch angeordnet, der Arzt kann alles auf Armeslänge erreichen.
Als junger Chirurg habe er die Mathematikkollegen noch belächelt, die ihm von Prozessführung vorschwärmten und behaupteten, dass sich auch medizinische Eingriffe und Operationen standardisieren ließen wie die Arbeit an einem Fließband. „Das konnte ich mir damals nicht vorstellen“, sagt Strauß. Heute setzt er darauf.
Schon hier im Untersuchungsraum sind alle Geräte und Diagnoseeinheiten auch auf die Operationstechnik abgestimmt, sodass die Ärzte die Daten anschließend nahtlos in den OP-Saal übernehmen können. Die Geräte sind identisch. So hat Strauß für die Untersuchung auch ein Endoskop zur Hand. Mit dem flexiblen Glasfaserrohr kann er in Nase und Stirnhöhlen der Patientin schauen. Eveline Hollstein schaut mit. Auf einem Flachbildschirm sieht sie die Bilder, die erklären, woher ihre Schmerzen kommen.
Die Medizin-Nobelpreisträger der vergangenen zehn Jahre
Den Medizin-Nobelpreis bekamen 2017 drei US-Amerikaner für Arbeiten zur Funktion und Kontrolle der Inneren Uhr. „Jeffrey Hall, Michael Rosbash und Michael Young waren in der Lage, einen Blick ins Innere unserer biologischen Uhr zu werfen und ihre Funktionsweise zu beleuchten“, hieß es von der Nobeljury. „Ihre Entdeckungen erklären, wie Pflanzen, Tiere und Menschen ihren biologischen Rhythmus so anpassen, dass er mit dem Tag-Nacht-Rhythmus der Erde übereinstimmt.“
2016 erhielt der Japaner Yoshinori Ohsumi den Medizinnobelpreis. Er hatte die lebenswichtige Müllentsorgung in Körperzellen entschlüsselt.
Die Chinesin Youyou Tu für die Entdeckung des Malaria-Wirkstoffs Artemisinin. Sie teilte sich den Preis mit dem gebürtigen Iren William C. Campbell und dem Japaner Satoshi Omura, die an der Bekämpfung weiterer Parasiten gearbeitet hatten.
Das norwegische Ehepaar May-Britt und Edvard Moser sowie John O'Keefe USA, Großbritannien - für die Entdeckung eines Navis im Hirn. Sie fanden grundlegende Strukturen unseres Orientierungssinns.
Thomas Südhof, gebürtig aus Deutschland, sowie James Rothman und Randy Schekman, USA - für die Entdeckung von wesentlichen Transportmechanismen in Zellen.
Sir John B. Gurdon, Großbritannien, und Shinya Yamanaka, Japan - für die künstliche Herstellung von Stammzellen. Ihnen ist es gelungen, erwachsene Körperzellen in ihren embryonalen Zustand zurückversetzt haben - eine Revolution in der Stammzellforschung, weil sich diese Zellen in alle Zellen des Menschen entwickeln können.
Bruce Beutler, USA, und Jules Hoffmann, Frankreich - für ihre Entdeckungen über die Aktivierung der angeborenen Immunität.
Ralph Steinman, Kanada - für seine Entdeckung der dendritischen Zellen und ihrer Rolle in der adaptiven Immunität.
Robert Edwards, Großbritannien - für seine Entwicklung der In-vitro-Fertilisation.
Elizabeth Blackburn, Carol Greider und Jack Szostak, alle USA - für die Entdeckung, wie Chromosomen durch Telomere und das Enzym Telomerase geschützt werden.
Harald zur Hausen, Deutschland - für seine Entdeckung der Auslösung des Gebärmutterhalskrebs durch humane Papillomviren.
Francoise Barre-Sinoussi und Luc Montagnier, beide Frankreich - für die Entdeckung des HI-Virus.
Am 30. Oktober – vier Tage vor dem Eingriff – hat die Patientin noch einen Termin in der Klinik. Sie spricht mit dem Narkosearzt und sieht sich einen Videofilm an, der ihr den Ablauf der Operation erläutert. Vier Tage später bringt Joachim Hollstein seine Frau morgens in die Klinik. Die Mitarbeiterinnen bringen sie auf ihr Zimmer – mit Parkettboden, antikem Beistellschränkchen, Bonbons und Empfangskärtchen am Bett. Das ungewöhnlichste Detail: die Videokamera an der Decke. Damit können Empfangsmitarbeiter und Narkoseärzte nach den Patienten schauen, sowohl vor der OP als auch in der Aufwachphase.
Über das Videosystem sehen die Sprechstundenhilfen auch, wie weit die Patientin ist – und melden es digital in den Operationssaal, den Aufenthaltsraum und direkt an die Ärzte. Operateur Strauß sieht auf dem Flachbildschirm an der Wand, dass er noch Zeit für eine Tasse Kaffee hat.
„Wir wissen jederzeit, wie wir im Zeitplan liegen“, sagt Strauß. Nichts sei teurer als verschwendete OP-Saal-Zeit, weil Teams sich verspäten. „Das ist tatsächlich in vielen Kliniken ein Problem“, bestätigt Tobias Möhlmann, Partner bei McKinsey und Leiter des McKinsey Hospital Instituts. Gerade wenn unterschiedliche Fachabteilungen in einem OP operierten, klappten die Übergaben selten reibungslos. Strauß kommt in den beiden Operationssälen der Acqua-Klinik dagegen auf eine fast optimale Auslastung von 70 Prozent.